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# taz.de -- TV-Doku „Exit“ über ehemalige Neonazis: Schreie zwischen den N…
> Eine norwegische Neonazi-Aussteigerin besucht in mehreren Ländern andere
> Aussteiger. Ihre Analyse bleibt leider banal.
Bild: Europaweit auf die Suche nach anderen Aussteigern: Filmemacherin Karen Wi…
Sie hat sich also „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ angesehen.
Den Film, den am Ende nicht der widerspenstige Roland Klick inszeniert hat,
nachdem er sich mit Bernd Eichinger zerstritten hatte, sondern dessen
zahmer Hausregisseur Uli Edel. Und der Film über diese Geschichte wäre
möglicherweise der packendere geworden als der, den Karen Winther darüber
gedreht hat, wie sie sich als Kind „Christiane F.“ angesehen hat – und
daraufhin zur politischen Extremistin wurde: „Alles, was ich wollte, war,
wie sie zu sein. Auf Heroin in einem Berliner Club.“
Heroin mag da heute nicht mehr die Droge der ersten Wahl sein, aber in
Berliner Clubs zieht es bekanntlich viele Menschen aus aller Welt, ohne
dass sie sie als frisch gebackene Neonazis wieder verließen. Dass Karen
Winters Essayfilm über sich selbst und andere Neonazi-Aussteiger einen
seltsam kalt lässt, ist natürlich eine subjektive Erfahrung.
Anderen muss es anders gegangen sein – sonst wäre der Film im vergangenen
Jahr [1][nicht auf dem DOK Leipzig] dreifach ausgezeichnet worden. Eine
klitzekleine Hoffnung ist die, dass die 30 Minuten, die die dort gezeigte
Fassung länger war als die heute von Arte ausgestrahlte, den entscheidenden
Unterschied machen könnten.
Dass in dieser fehlenden halben Stunde ein bisschen mehr an Erklärung
steckt, als dass seelengeplagte Außenseiterkinder einfach nur mal irgendwo
dazugehören wollen: „Alles Dunkle und Gefährliche zog mich an. Mit sechzehn
schloss ich mich der extremen Rechten an […]. Ich erinnere mich, wie
verboten sich die Nazisymbole anfühlten. Mein Herz fing dann an, schneller
zu schlagen […]. Am Anfang war mir die Ideologie nicht wichtig.“
## „Bewunderten deutsche Neonazis“
Man muss wohl auch bereit sein, sich auf diese Erzählung in der ersten
Person Singular Präsens einzulassen, die man als schonungslos offen
begreifen kann – oder eben als furchtbar gefühlig. Irgendwann sitzt Karen
Winther dann da in der amerikanischen Provinz zusammen mit zwei
Ex-Neonazi-Gewalttäterinnen wie in einer Ex-Neonazi-Selbsthilfegruppe, und
es dauert eine kleine Weile und einiges an Selbstmitleid, bis sie darauf
kommen, dass sie andere Menschen traumatisiert haben müssen, mit dem was
sie getan haben.
„In der Szene bewunderten wir die deutschen Neonazis, sie waren trainierter
und gewalttätiger als die skandinavischen“, erklärt die Norwegerin Winther.
Der deutsche Aussteiger Manuel Bauer belegt das, wenn er von seiner
Begegnung mit einer im siebten Monat schwangeren Migrantin berichtet: „Und
ich hab ihr ganz tief in die Augen geschaut. Und im nächsten Moment hab ich
von oben mit dem Stiefel in den Bauch reingetreten. Sie hat dann Blut
gespuckt. Wir mussten die Aktion abbrechen. Sie hat so laut geschrien, dass
es gehallt hat zwischen den Neubaublöcken.“ Manuel Bauer gibt sich heute
geläutert, das Glück, selbst Vater einer kleinen Tochter zu sein, soll ihm
die Augen geöffnet haben.
Karen Winther begreift ihren Film in eigener Sache scheinbar auch als
aufdeckende Therapie nach Art der Psychoanalyse. Wenn ihr also der
[2][prominenteste deutsche Neonazi-Aussteiger, Ingo Hasselbach], mit auf
den Weg gibt: „Ich glaube, du hast dein Leben lang damit zu tun“ – dann i…
das „nicht die Antwort, auf die ich gehofft hatte“.
## Banalitäten als Analyse
Der Gedanke könnte sich auch dem einen oder anderen Zuschauer aufdrängen,
immer wieder, etwa wenn Karen Winther am Ende ihres Films bilanziert:
„Vielleicht hat mich der militante Extremismus angezogen, weil er am besten
zu meinen Gefühlen passte.“ Nun, dass es keine wohl abgewogenen,
[3][durchaus vernünftigen Gründe für Rechtsextremismus geben] kann, hatte
man sich als Nichtrechtsextremist ja schon so gedacht. Aber muss das
wirklich heißen, dass sich auch die Analyse in Banalitäten erschöpft?
Für Karen Winther offenbar schon: „Die Welt hat sich weiterbewegt. Und ich
bin bereit, das auch zu tun.“
29 Jan 2019
## LINKS
[1] /Leipziger-Dokumentarfilmfestival/!5459364
[2] /Archiv-Suche/!5505793&s=Ingo+hasselbach/
[3] /Rechte-Gewalt-Notwehr-und-Nothilfe/!5563181
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
TV-Dokumentation
Schwerpunkt Neonazis
Norwegen
Südstaaten
Ulla Jelpke
Bundeswehr
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