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# taz.de -- Streitgespräch über Rechtsextremismus: Wie weit müssen Aussteige…
> Programme sollen Neonazis helfen auszusteigen. Die Anforderungen sind
> umstritten: Reicht der Rückzug aus der Szene oder muss es der "radikale
> Bruch" sein? Ein Streitgespräch.
Bild: Wie gut helfen Aussteiger-Programme dabei, dass sich solche Neonazis von …
taz: Beim Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus melden sich Neonazis,
die aussteigen wollen. Wie überprüfen Sie Intention und Motive?
Jochen Schmidt: Wir treten diesen Anliegen offen entgegen. Das ist ein
gewisses Risiko, doch nur so können wir ins Gespräch kommen, um
nachzufragen, wann ein Umdenken begonnen hat. Meist treffen wir uns an
einem neutralen Platz. Im Gespräch signalisieren wir, dass wir denjenigen
als Person respektieren, das Getane aber verurteilen.
Martin Beyer: Diese Trennung lädt wenig zur Selbstreflexion ein. Hier muss
der Konflikt gesucht werden, um die Ernsthaftigkeit der Motive zu
überprüfen. Einfach zu sagen „Ich bin raus“, das darf nicht genügen.
Schmidt: Nun, wir glauben den Betroffenen in der Tat erst einmal, um eine
Basis für Gespräche haben zu können. Sind wir von der Ernsthaftigkeit
seiner Ausstiegsabsicht überzeugt, vermitteln wir die Betroffenen an
ausgewiesene Ausstiegshilfen weiter.
In Schleswig-Holstein gibt es kein Ausstiegsprogramm von
zivilgesellschaftlichen Trägern. Herr Schmidt, Sie führen Erstgespräche und
vermitteln gegebenenfalls weiter an andere Organisationen. Wer wendet sich
an Sie?
Schmidt: Die meisten Ausstiegswilligen haben selbst über einen langen
Zeitraum Gewalt erfahren, stammen aus Familien, in denen getrunken und
geschlagen wurde. In der Gruppen fühlten sie sich gut aufgehoben und mit
der Ideologie aufgewertet, die Speerspitze der Elite im Kampf für
Deutschland zu sein.
Beyer: Da bekomme ich Mitleid. Immer wieder wird bei Ausstiegshilfen das
Klischee des desorientierten Jugendlichen kolportiert, der nur Halt und
Zugehörigkeit sucht. Der Schritt in die Szene ist immer ein politischer.
Schmidt: Politisch ja, aber die Motive sind meist persönlich. Die
Ausstiegsmotivation ist das auch: Die Interessierten bekommen Druck vom
Arbeitgeber, haben eine neue Lebensgefährtin oder sind von einem Gericht
verurteilt worden. Manche fühlen sich auch von ihren Kameraden im Stich
gelassen. Einer sagte mir aber auch gleich: „Ich werde jetzt aber nicht
links.“
Tore Molander: Diese Motive klingen nicht nach einer Auseinandersetzung mit
der Weltanschauung. Ein Bruch mit ihr und mit der Szene muss erfolgen. Für
uns ist das sonst kein Aussteiger, sondern ein Aufhörer, der vielleicht
wegen der strafrechtlichen Konsequenzen oder auch wegen antifaschistischen
Engagements nicht mehr auffallen will.
Schmidt: Wir erwarten, dass die Szenekontakte beendet werden. Bei einem,
der das nicht wollte, scheiterte die Loslösung auch. Und natürlich bemühen
sich Ausstiegsprogramme, ein weiteres Umdenken zu ermöglichen.
Molander: Die Rechtsextremen erhalten ein offenes Gesprächsangebot, auch
wenn sie sich an Sie wenden, weil sie endlich Konsequenzen ihres Denkens
und Handelns spürten. Da kann das Ausstiegsbegehren doch schnell zum
Persilschein werden. Im Einzelfall muss doch auch geschaut werden, wie fest
der Betroffene verankert war und was er gemacht hat. Ein bloßes „Ich bin
raus“ kann bei einem Nazischläger sonst bloß erfolgen, um eine mildere
Strafverfolgung zu erreichen. Das Ausstiegsgespräch kann gar zur
Feigenblattfunktion werden, um Ruhe zu haben, oder dazu dienen, keinen
Ärger mehr mit der Schwiegermutter zu haben. Aufhören alleine reicht nicht,
es muss der absolute Bruch erfolgen – transparent und radikal. Er muss jede
Brücken zur Szene abbrechen. Erst wenn Informationen fließen, ist das der
Fall. Wissenslücken sind verdächtig.
Ausstiegswillige, die sich an Antifa-Gruppen wenden, wissen, dass eine
Weitergabe von Informationen erwartet wird. Sie wenden sich gerade an diese
Gruppen, weil sie oft hoffen, jetzt gegen die Szene politisch etwas
bewirken zu können.
Schmidt: Wir erwarten das nicht. Wir geben auch keine Informationen über
die Szene von Aussteigern weiter. Wir geben auch keine Beurteilungen.
Natürlich erwarten wir auch eine Auseinandersetzung mit den Einstellungen,
was überprüft wird. Er muss Empathie im Leben für andere zeigen können. Bei
straffälligen Ex-Rechtsextremen, finde ich, müsste immer ein
Täter-Opfer-Ausgleich angestrebt werden. Wir erwarten aber keinen Verrat –
um das deutlich zu sagen. Wenn jemand zu uns kommt, zeigt er bereits seinen
Willen und geht ein Risiko ein.
Wie viele haben sich seit Bestehen des Beratungsnetzwerks gemeldet?
Schmidt: In den letzten zwei Jahren haben sich sechs Ausstiegswillige
gemeldet. Einer war sein halbes Leben in der Szene.
Molander: Aussteiger erscheinen fast immer als Opfer, Opfer ihrer Kindheit,
Opfer der Gesellschaft und, und, und … Wo wird denn bei dem
Ausstiegsprozess mal deutlich herausgearbeitet, dass der Betroffene Täter
war, sich bewusst entschieden hat?
Schmidt: In dem langen Prozess der Auseinandersetzung mit seiner
Vergangenheit.
Beyer: Ja, das wissen wir aus der Sozialforschung, ein Ausstieg, der ein
nachhaltiges Umdenken beinhaltet, ist ein schwieriger und langwieriger
Prozess. Warum wird nicht gesagt, die Person steigt aus – und später, diese
Person ist nun auch ausgestiegen? Ohne diese Unterscheidung wird ein Status
gegeben, den der Betroffene nutzen und missbrauchen kann, um woanders
gleich mit seinen Interessen weitermachen kann, dann ohne die politischen
Vorzeichen.
Schmidt: Ja, das ist eine wichtige Unterscheidung. Wir haben auch erlebt,
dass jemand nur zu uns kam, um quasi diesen Status zu bekommen.
Molander: Dennoch: Müsste nicht eher von Aussteiger und Ausgestiegen
gesprochen werden? Und müsste in bestimmten Fällen nicht auch von Aufhörern
statt Ausgestiegenen geredet werden? Einige von den Aufhörern machen ja
gleich weiter in rechts-affinen Szenen: Sie gehören dann zum
Hooligan-Spektrum oder zum Rocker-Milieu.
Schmidt: Ich denke auch, dass oft zu schnell vom Aussteiger gesprochen
wird, statt davon, dass jemand gerade aussteigt. Da fehlt ein
Qualitätsmerkmal. Aber es sollte auch nicht zu viel erwartet werden. Es ist
ja schon ein Erfolg, wenn jemand aus der Szene raus ist und nicht mit
entsprechen Taten weiter auffällt.
Beyer: Der Betroffene also aus den Beobachtungen des Verfassungsschutz oder
der Polizei heraus ist? So eine Ausstiegshilfe ist keine Arbeit gegen
Rechtsextremismus, sondern nur ein apolitische Kriminalprävention.
Schmidt: Uns ist wichtig, dass der Aussteiger ein anderes Leben führt.
Schön wäre es, wenn er sich später im sozialen und multikulturellen Milieu
engagieren würde. Aber, wenn er mit den Gewalttaten aufhört, ist das auch
schon ein Erfolg.
Molander: Die Gefahr, dass sich das Denken gar nicht ändert, ist doch bei
so einem Ansatz groß. Hauptsache nicht auffällig.
Schmidt: Für die Straftaten muss der Betroffene verurteilt werden. Er muss
aber auch die Chance für einen Neuanfang erhalten.
23 Mar 2012
## AUTOREN
Andreas Speit
Andreas Speit
## TAGS
TV-Dokumentation
Rechtsextremismus
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