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# taz.de -- Die Tattoos des Tänzers Sergei Polunin: Hakenkreuze in Bayerns Sta…
> Der Tänzer Sergei Polunin trägt das bei Neonazis beliebte Kolovrat-Symbol
> auf dem Bauch. Das Bayerische Staatsballett hat damit kein Problem.
Bild: Sergei Polunin bei einem Auftritt im Londoner Palladium im Jahr 2017
„Frauen versuchen jetzt Männerrollen zu übernehmen, weil ihr sie nicht
fickt, weil ihr peinlich seid.“ Auf diesem Niveau eines schlechten
Houellebecq (wenn das mal keine Tautologie ist) zog der Startänzer Sergei
Polunin in einem Instagram-Post vom 29. Dezember 2018 eine Analogie
zwischen Ballett und Leben. Sein Weltbild: „Männer sind Wölfe, Löwen,
Anführer der Familie.“
Zusammen mit einem vorangehenden Post, der ein Putin-Tattoo mit dem
Kommentar „Danke an Vladimir und jeden anderen, der für das Gute steht“
zeigte, schaffte Polunin damit etwas, was jenseits von Magersuchtsdebatten
in der Öffentlichkeit selten vorkommt: einen Ballettdiskurs. Wo endet das
Recht auf freie Meinungsäußerung für einen Solisten im hochsubventionierten
Bühnenbetrieb? Und spielt die politische Einstellung eines Startänzers
überhaupt eine Rolle, oder muss er einfach nur tanzen können? Während das
Pariser Ballett verlauten ließ, es könne Polunins Social-Media-Äußerungen
nicht mit seinen „Werten“ vereinen, und ein „Schwanensee“-Engagement
aufkündigte, hielt das Bayerische Staatsballett am Recht auf freie
Meinungsäußerung und an den abgesprochenen Engagements fest: „Raymonda“ w…
schon im Januar zu sehen, „Spartacus“ steht im März auf dem Programm.
Sergei Polunin ist ein interessanter Fall. Ursprünglich Ukrainer, soll der
29-Jährige inzwischen russischer Staatsbürger sein. Auf seinem Körper trägt
er zwischen Brust und Schlüsselbein ein Konterfei Putins, auf der rechten
Schulter eines seines Mentors und Freunds Igor Zelensky, des aktuellen
Direktors des Bayerischen Staatsballetts. Auf dem Bauch prangt ein
Kolovrat-Symbol, ein achtgliedriges, sowohl rechts- als auch linksdrehendes
Hakenkreuz, das auch im SS-Kontext nachgewiesen wurde und bei
rechtsextremen Gruppierungen und in der internationalen Neonazi-Szene
beliebt ist. Im Netz werden derzeit seine weiteren Tattoos analysiert.
Erstaunlich ist in erster Linie, dass dies noch nicht früher passiert ist.
Zwar werden Tattoos auf Ballettbühnen meist abgeklebt oder überschminkt,
aber Polunin ist auch in anderen Kontexten unterwegs. Zum Beispiel auf
YouTube. [1][Da tanzt er in der inzwischen über 22 Millionen Mal
geklickten], 2015er Videoversion von David LaChapelle zu Hoziers
kirchenkritischem Song „Take Me to Church“. Das Kolovrat-Symbol ist darauf
deutlich zu sehen. Das Putin-Tattoo gab es damals zwar noch nicht, Zweifel
am ästhetisch-politischen Programm auf dem Körper des Tänzers hätten jedoch
aufkommen können.
## Wie privat sind Tattoos?
So wundert sich der zeitgenössische, queere Choreograf Jeremy Wade nicht
nur über die LaChapelle-Verkitschung des Songs, sondern auch darüber, dass
Direktor*innen ausgerechnet Tänzer mit Kolovrat-Symbol engagieren: „Warum
entscheidet man sich für Leute mit Nazi-Symbolen, wenn es Tausende anderer
talentierter Tänzer gibt?“
Das ist die Gretchenfrage in diesem Diskurs. Talentierte Tänzer für die in
Frage stehenden Parts in Paris und München hätte es ausreichend gegeben,
aber Polunin hat eben Starqualitäten. Die Pariser Absage aufgrund von
Polunins Instagram-Post scheint vor diesem Hintergrund opportunistisch.
In München hat sich Staatsballettsdirektor Igor Zelensky nie von der
Körpersprache seines Schützlings distanziert. Auch auf Nachfrage, wie er
sich in Gesellschaft von Putin und Kolovrat fühle und wie er mit Polunins
politischen Einstellungen umgehe, antwortet der Ballettdirektor: „Sergei
Polunin und mich verbindet eine langjährige Freundschaft. Wir diskutieren
im privaten Kontext auch politische Ansichten, aber diese haben
grundsätzlich keinen Einfluss auf künstlerische Engagements. Homophobe oder
rassistische Einstellungen liegen Polunin völlig fern. Tattoos sind eine
private Angelegenheit, es ist sein Körper. Auf der Bühne werden Tattoos
generell überschminkt.“
Das ist offensichtlich ein taktisch kluges Ausweichmanöver. Allerdings
würden die bereits begonnenen Gespräche zum Thema im Münchner Staatsballett
fortgesetzt: „Es gab bereits Einzelgespräche mit Ensemblemitgliedern, ein
Compagniemeeting zum Thema findet in den nächsten Tagen statt. Wir werden
die Meinung der Tänzerinnen und Tänzer natürlich in die weitere
Entscheidungsfindung einbeziehen“, sagt Zelensky.
Wenn das tatsächlich so sein sollte, hätte der Fall vielleicht sogar sein
Gutes. Denn Sergei Polunin ernst zu nehmen lohnt sich, [2][wie ein
Netz-Video], das ihn nach seinem Staatsballettauftritt auf der Münchner
Konferenz „Digital, Life, Design“ in einem Podiumsgespräch zeigt, nicht.
Freundlich äußert er sich da zu Engeln, Dämonen und seiner Putinliebe.
Politisches Bewusstsein sieht anders aus. Wenn aber Balletttänzer*innen
sich, wie in Paris bereits geschehen, öffentlich in den Diskurs einbringen
und die Feudalstrukturen des Balletts nicht mit Mundtotheit verwechseln,
könnte es spannend werden. Allerdings werden sie in München bislang vor
offiziellen Interviewanfragen „geschützt“.
30 Jan 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=c-tW0CkvdDI
[2] https://www.youtube.com/watch?v=OVlcF5LpsaI
## AUTOREN
Astrid Kaminski
## TAGS
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