# taz.de -- Ute Hannig über das Theater: „Die Arschlöcher sterben aus“ | |
> Die Hamburger Schauspielerin Ute Hannig über ihre Arbeit am Theater und | |
> die Aufgabe, parallel dazu vier Mädchen großzuziehen. | |
Bild: Schätzt das Theater als nicht-virtuellen Raum: Ute Hannig | |
taz: Frau Hannig, Ihre aktuelle Rolle als gehässige alte Klofrau in „Die | |
Präsidentinnen“ ist eine besondere Herausforderung, oder? | |
Ute Hannig: Da steckt viel von meiner Oma drin. Irgendwann habe ich | |
entdeckt, dass ich sie gespielt habe. Falsche Zähne, ein Rock, der nicht | |
sitzt, und alles, was mit Sexualität zu tun hat, von sich weisen. Es hat | |
sehr lange gedauert, bis ich diese Figur liebgewonnen habe. Du hältst deine | |
Rolle lange nur für bösartig, aber irgendwann erwischst du einen Zipfel, an | |
dem du sagen kannst: Hier verteidige ich sie. Du musst die Antriebe | |
verstehen. | |
Standen Sie schon als Kind immer im Mittelpunkt? | |
Ich bewundere es, wenn Leute diese Lust haben, Aufmerksamkeit auf sich zu | |
ziehen, aber so bin ich nicht. Selbst beim Mutter-Kind-Spielen habe ich | |
mich eher für das Nacherleben von seelischen Vorgängen interessiert. Ich | |
habe gemerkt, dass ich im Theater Dramen erleben kann, die es in meinem | |
Leben nicht gibt. | |
Woher kam Ihr Interesse für Theater? | |
Auf dem Gymnasium kam ich mir ein bisschen verloren vor, ich kannte dort | |
niemanden. Dann habe ich in der Theater-AG eine Rolle in „Der kleine Prinz“ | |
gespielt. Das war eine Initialzündung: Vor all den Schülern, vor denen ich | |
tagsüber in den Pausen solche Angst hatte, ganz ruhig auf der Bühne zu | |
sitzen und zu erzählen, wie verlassen sich ein Fuchs fühlt und auf | |
Freundschaft hofft. 600 Schüler waren still, weil ich die Gefühle dieses | |
Tieres offenbart habe. Das war kein Machtgefühl, sondern eines von | |
Geborgenheit. Ich fühlte mich in der Figur aufgehoben, Zuhause und sicher. | |
Können Sie nur in der Rolle zu sich selbst kommen? | |
Es gibt sicher Teile von mir, die nur auf der Bühne ihren Raum bekommen. | |
Ich habe vier Kinder und zu Hause gibt es so viel zu tun, das außerhalb von | |
mir liegt. Im Theater kann ich mich ganz um mich und meine Figur kümmern. | |
Gingen Sie denn auch als Kind schon ins Theater? | |
Mein Vater war Internist und hatte sich als Theaterarzt gemeldet. Er bekam | |
immer zwei Freikarten ganz weit vorne. Meist nahm er mich mit, denn ich war | |
die älteste von vier Kindern und meine Mutter konnte ihn nie begleiten. Mit | |
14 Jahren habe ich also alle großen Inszenierungen unter Peter Zadek | |
gesehen. Meinen 15. Geburtstag habe ich alleine im Rang des | |
Schauspielhauses bei der Premiere des Musicals „Andi“ verbracht. Neben mir | |
saßen Punk-Fans und pöbelten, schließlich standen ja die Einstürzenden | |
Neubauten auf der Bühne. Das war mein schönster Geburtstag. | |
Wie ging es weiter? | |
Ich wusste schon in der zehnten Klasse: Ich will Tanz und Schauspiel | |
studieren. Pina Bausch war mein Vorbild, ich hatte bereits jahrelang | |
Ballett und Jazz Dance gemacht. Nach einem Jahr Musical-Ausbildung in | |
Berlin bin ich zur Schauspielschule. Danach kamen drei Jahre am Schauspiel | |
Köln, dann fünf am Staatstheater Stuttgart, seitdem bin ich wieder in | |
Hamburg. | |
Ihr Mann Markus John spielt wie Sie am Hamburger Schauspielhaus. War Ihr | |
Kennenlernen so, wie man sich das vorstellt: beim Feiern nach Premieren? | |
Überhaupt nicht. Markus ist immer der letzte in der Kantine, ich stehe | |
dagegen gerne früh auf. Erst durch die Proben habe ich mich in ihn | |
verliebt, denn Markus ist jemand, der die Bühne braucht, um bestimmte Dinge | |
von sich zu zeigen. Er ist zehn Jahre älter, ich war mir sicher, dass er | |
sich gar nicht für mich interessiert. Ich sagte ganz direkt: „Ich bin in | |
dich verliebt.“ Und er: „Mir geht’s genauso.“ Und das war nicht so | |
dahingesagt. Wir waren wir uns sehr schnell einig, dass wir eine Familie | |
gründen wollten. Nach ein paar Monaten war ich schwanger. | |
Keine leichte Zeit: Er blieb in Köln, während Sie nach Stuttgart gingen. | |
Wir hatten zehn Jahre eine Pendel-Beziehung. Ich war anfangs mit den | |
Kindern in Stuttgart und Hamburg alleine. Das war der Wahnsinn. Die | |
Regisseurin hat am Tag vor der Premiere den Schluss von „Medea“ | |
geschrieben. So etwas braucht ein Stück auch: dass man sich ihm gemeinsam | |
im Rausch nähert, ohne Ablenkung. Wenn man am Tag der Premiere noch | |
nachmittags auf dem Spielplatz mit Bananenmatsch beschäftigt ist, fragt man | |
sich schon: Wie kann ich bloß in drei Stunden eine Frau spielen, die ihre | |
Kinder umbringt? | |
Ja, wie geht das? | |
Ich habe ohne Ende Kraft. Die ist mir noch nie ausgegangen, auch wenn ich | |
es mir manchmal gewünscht habe. Damit mir etwas sagt: Stopp. Ich bin | |
jahrzehntelang nur mit fünf bis sechs Stunden Schlaf ausgekommen. Das | |
Problem ist die Konzentration. Ich habe mich gesplittet. Es hätte mir nicht | |
den Boden unter den Füßen weggezogen, wenn das Theater nicht mehr da | |
gewesen wäre, aber auch die Kinder waren nicht ausschließlich mein Fokus. | |
Das führte dazu, dass ich Dinge nicht in ihrer Gänze ausgeübt habe. Da bin | |
ich einigen Rollen etwas schuldig geblieben. | |
Aber eigentlich ist der Job nicht sehr sozial kompatibel, oder? | |
Zuallererst leidet man an sich selbst. Nach einer großen Rolle fällt man in | |
ein Loch, das kann sehr schmerzhaft sein. Aber ich habe mich immer | |
geschützt. Schon nach einem Jahr in Köln merkte ich, dass ich ein | |
Gegengewicht brauche. | |
Heute haben Sie vier Töchter, ihre jüngste ist vier. | |
Ich hatte eine beinahe sportive Lust, Job und Muttersein zu bewältigen. | |
Meine Kinder waren alle gewünscht. Ich frage mich, warum die Natur das mit | |
einem macht: Wer sagt einem, dass es gut ist, vier Kinder zu haben? Ich | |
habe natürlich wiederholt, was ich selbst mit drei Geschwistern erlebt | |
habe; auch Markus hat fünf Geschwister. Wir haben uns unser vertrautes | |
Zuhause wiederhergestellt. Kaum hatte ich Freiräume nach einer Geburt, kam | |
wieder die Lust auf ein Kind. | |
… das Sie in den Theateralltag integrieren mussten. | |
Stillen in der Garderobe, dann wieder raus auf die Bühne – das fand ich mit | |
Ende 20 toll. Das fühlte sich prall an. Das war natürlich absolut | |
leistungsgesteuert. Das kommt von meinen Eltern, beide Flüchtlingskinder. | |
Dieses Ethos, aus dem Nichts etwas zu erschaffen, hat mich geprägt. Ich | |
habe nur Hauptrollen in Stuttgart gespielt und wollte gleichzeitig eine | |
gute Mutter sein, habe genäht und gebacken. Erst in Hamburg merkte ich, | |
dass ich mich selber ausbeute. Seitdem versuche ich, beide Welten zu | |
trennen. Früher war es ganz klar, dass die Kinder ständig mit ins Theater | |
kommen. Es war für sie ein zweites Zuhause. Aber das nervt auch: Man ist | |
zur Hälfte hier, und zur Hälfte da. | |
Das macht eine Paarbeziehung nicht einfacher. | |
Die Herausforderung ist, sich in einem Modell nicht zu sehr einzurichten. | |
Mal versuchen, die Rollen zu tauschen, Dinge sein zu lassen, dafür andere | |
Aufgaben zu unternehmen. Nur so bleibt eine Beziehung haltbar. | |
Haben es SchauspielerInnen denn heute leichter, Kinder zu haben? | |
Wenn früher eine Schauspielerin ein Kind hatte, war es fast immer ein | |
Unfall. Man soff und diskutierte die ganze Nacht. Heute haben auch die | |
Regisseure Kinder. Und fangen natürlich schon um zehn Uhr morgens mit den | |
Proben an. | |
Obendrein hat das Schauspielhaus die erste weibliche Intendantin seiner | |
Geschichte. | |
Und hat dabei den größten Erfolg! Wir haben so viele tolle Frauen im | |
Ensemble, dass sich die Männer schon über mangelnde Rollen beklagt haben. | |
Aber generell sind Männer noch immer mutiger, Dinge an sich zu nehmen. Das | |
hat auch damit zu tun, dass Frauen immer alle mit ins Boot holen wollen. Da | |
verliert man die Stringenz, etwas durchzuziehen. Frauen müssen sich sagen: | |
Ich bin geil, ich mach das. Es gibt männliche Regisseure, die so schlecht | |
sind – das würde sich keine Frau trauen. Immerhin: Das Theater ist heute | |
freundlicher. Die Arschlöcher sterben aus. | |
Muss man ein Arschloch sein, um komplett in einer Rolle aufzugehen? | |
Ich glaube nicht. Die Arschlöcher haben Probleme mit sich selber und der | |
eigenen Unzufriedenheit. | |
Was macht eine gute Schauspielerin aus? | |
Die beste Schauspielerin, die ich kenne, ist meine Kollegin Lina Beckmann. | |
Die hat einen unglaublichen Zugriff auf die Dinge, die sie spielt. Sie geht | |
mit ihren Figuren kräftig um, ohne sie zur Karikatur werden zu lassen. Man | |
muss ihnen einen soliden emotionalen Boden verpassen. Es wird gut, wenn du | |
Dinge virtuos darstellen und den Zuschauer berühren kannst. Wenn du noch | |
mit den Kollegen als Team etwas kreierst, wird es besonders toll. | |
Man darf die Figuren aber nicht zu nah an sich heranlassen, oder? | |
Man muss die Grenze spüren, aber auch eine Durchlässigkeit schaffen. Früher | |
dachte ich, ich müsste eine Figur ganz mit meiner Persönlichkeit füllen. | |
Inzwischen habe ich gemerkt: Eine Figur kann sich jenseits von mir | |
entwickeln. Dennoch kannst du nur etwas tun, was du im Kern selber spürst. | |
In der Sehnsucht, in der Not muss es mit dir zu tun haben. | |
Sie haben einmal gesagt: „Meine Arbeit besteht darin, die Grenze zwischen | |
Bühnenraum und Zuschauerraum zu überwinden.“ Wie ist das zu verstehen? | |
Das Theater ist einer der letzten Räume, der real und konkret ist. | |
Zuschauer und Schauspieler müssen pünktlich an einem Ort erscheinen. Das | |
öffnet Energiefelder. Manchmal ist das Publikum neugierig und aufgekratzt, | |
manchmal ist es müde. Das Publikum ist mein dritter Partner. Aber die | |
vierte Wand hat sich ja schon längst pulverisiert, manchmal nimmt das | |
performative Element sogar überhand. | |
Auf der Bühne passiert manchmal zu viel? | |
Das Theater passt sich der Medienflut an, der Zapping-Mentalität. Für | |
meinen Geschmack sollte es mehr dagegenhalten. Man muss nicht immer auf | |
schnelle Wirkung gehen. In unserer Zeit, in der das Virtuelle immer mehr | |
Raum einnimmt, wird der Theaterraum immer wertvoller. | |
Hatten Sie eigentlich geplant, nach Hamburg zurückzugehen und am | |
Schauspielhaus zu spielen? | |
So etwas kann man nicht planen. Es war auch nicht unbedingt mein Wunsch. | |
Das Schauspielhaus war für mich ein Olymp, den ich kaum berühren wollte. | |
Deshalb war ich auch noch nie in der Geisterbahn, denn ich bin sicher: | |
Meine Vorstellung davon ist viel aufregender als die Geisterbahn selbst. Es | |
fiel mir richtig schwer, das Haus durch den Bühneneingang zu betreten. Es | |
war, als ob ich den heiligen Gral entweiht hätte! | |
Jetzt sind sie bald anderthalb Jahrzehnte dort. Stellt sich da Routine ein? | |
Schade ist, dass sich ein Bild entwickelt, das die Leute von einem haben. | |
Das ist schwer zu durchbrechen. Die Leute meinen, man sei nur für diese und | |
jene Rolle gut. Routine ist weniger das Problem: Man bleibt frisch, weil | |
jede Arbeit bei null beginnt, mit neuen Kollegen und Regisseuren. Theater | |
ist flüchtig. | |
10 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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