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# taz.de -- Radsport in Kolumbien: Koka, Waffen und zwei Räder
> Wer die Geschichte des heute so erfolgreichen Radsports in Kolumbien
> erzählen will, landet schnell bei den Machenschaften der Drogenkartelle.
Bild: Ruhige Trainingsfahrten in beeindruckenden Landschaften? Nairo Quintana b…
Bogotá taz | Radsport ist ein Exportschlager Kolumbiens. Ein recht
unschuldiger Exportschlager, wenn man an das weiße Pulver denkt, in das
weltweit Entertainment-Stars, Politiker, Manager oder Journalisten ihre
Nasen tauchen und das jahrelang als Synonym für Kolumbien galt.
Radsport wird im Lande auch deshalb staatlich gefördert, weil Kletterer wie
Nairo Quintana und Egan Bernal sowie Sprinter wie Fernando Gaviria ein ganz
neues Bild vom Andenstaat vermitteln: eines von ruhigen Trainingsfahrten
durch beeindruckende Berglandschaften, eines, das von Freude, Arbeit und
Sicherheit erzählt.
Zwanzig kolumbianische Radprofis fahren im kommenden Jahr bei der
Worldtour, ein halbes Dutzend von ihnen in Chefrollen: Die Sprinter
Fernando Gaviria (UAE) und Álvaro Hodeg (Quick Step), die Rundfahrer Nairo
Quintana (Movistar), Rigoberto Urán (EF), Esteban Chaves (Mitchelton) und
Miguel Ángel López (Astana), hinzu kommt Egan Bernal mit seiner
Juniorchef-Rolle bei Team Sky. Talente in solcher Zahl können nur
heranreifen, wenn es befriedete Zonen im Lande gibt.
Und tatsächlich sind die Mordraten drastisch zurückgegangen. Paramilitärs
und Guerilla haben sich, die einen weniger, die anderen mehr,
demobilisiert. Kokain wird zwar weiter angebaut, die Narco-Bandenkriege
werden aktuell aber eher in Mexiko ausgetragen.
## Nach den Koka-Bauern kamen die Bergbaukonzerne
Ganz friedlich ist es dennoch nicht in Kolumbien. In Zonen, die von [1][der
Guerillabewegung Farc] verlassen wurden, dringen kriminelle Gruppen vor und
holzen erst den Regenwald ab und legen dann Koka- und Marihuana-Pflanzungen
an. 220.000 Hektar Wald gingen allein 2017 auf diese Art und Weise
verloren.
Nach den Holzfällern und Koka-Bauern kamen die Bergbaukonzerne. Sie haben,
ist der Wald erst einmal weg, praktisch wie rechtlich leichteren Zugang zu
den Bodenschätzen. Die kolumbianische Gesellschaft entdeckt gerade, dass
die Farc lange Zeit unbeabsichtigt eine positive Rolle als Waldhüter
gespielt hat. Das Bild vom ungestört in den Kordilleren trainierenden
Radprofi übertüncht also bis heute manche Widersprüche und Problemlagen.
Radsport wurde aber auch in den wilden Zeiten, in den Jahrzehnten der
„Violencia“, betrieben. Das führte zum Teil zu absurden Situationen. „Als
Radsportler konntest du dich in einer Trainingspause plötzlich in einer
kleinen Cafeteria wiederfinden, in der auch Angehörige der Paramilitärs
oder der Guerilla einen Kaffee zu sich nahmen“, erinnert sich Hernando
Gaviria, Vater und erster Trainer vom Sprintstar Fernando Gaviria.
Gaviria senior überstand solche Zusammentreffen unbeschadet, und ließ sich,
so erzählt er, auch bei seinen Trainingsausfahrten nicht von den jeweiligen
Territorialverschiebungen der lokalen Machthaber einschränken.
„Radsportlern taten sie nichts“, versichert er.
## Betreibt eure Karrieren in Europa
Nicht jeder dürfte das so sehen. Oliverio Rincón, in den 90ern
Etappensieger bei der Tour de France, dem Giro d’Italia und der Vuelta a
España, wurde im Jahr 2000 gleich zwei Mal von der Guerilla entführt, erst
von der ELN und dann von der Farc. Auch Luis „Lucho“ Herrera, Bergkönig bei
allen drei großen Rundfahrten und Gesamtsieger der Vuelta 1987, wurde
gekidnappt. Er war im Jahr 2001 vierundzwanzig Stunden verschleppt. Wer
seine Entführer waren, wurde nie richtig aufgeklärt. Die Entführung
ereignete sich aber in einem damaligen Herrschaftsgebiet der Farc. Das
Signal für die Sportler war klar: Im eigenen Land seid ihr nicht sicher.
Betreibt eure Karrieren in Europa.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Radsport in Kolumbien nicht vollständig
einging. Immer wieder trauten sich Sportler zum Training auf die Straßen.
Auch Rennen wurden ausgetragen. Allerdings unter besonderen Bedingungen.
Fernando Saldarriaga, Nationaltrainer Kolumbiens und Chef des Teams Manzana
Postobón, erinnert sich daran, dass bei Etappenrennen gelegentlich die
begleitenden Motorräder der Polizei anhielten, um dem Peloton zu
signalisieren, doch besser allein weiterzufahren.
„Das passierte sogar bei wichtigen Rennen. Wenn die Etappen durch Gebiete
gingen, die von der Guerilla oder den Paramilitärs beherrscht wurden,
stoppten sie und sagten uns: Fahrt ihr mal die restlichen Kilometer zum
Ziel allein weiter. Sie hatten einfach Angst. Ein Wahnsinn“, meint
Saldarriaga, und ihm wird beim Erzählen noch einmal bewusst, in welchen
Gefahren er und seine Sportler da gesteckt haben mögen.
Eine schräge Erinnerung hat Saldarriaga an die Vuelta a Colombia im Juni
2016. „Da führte eine Etappe durch den Gebirgszug Montes de María. Das
Gebiet war aufgeteilt in Einflusszonen der Farc und der Paramilitärs. Auf
dem einen Höhenzug stand die eine Gruppierung, auf dem anderen Höhenzug die
andere. Und wir, das Peloton und der Tross, mittendrin!“, erzählt er.
## Die Illusion von Frieden
Zur Krönung des Ganzen flog auch noch [2][der damalige Präsident Juan
Manuel Santos] ein. Er prämierte die Sieger. Und er nutzte die Gelegenheit,
darauf hinzuweisen, dass die einstigen Herrscher der Region, der bekannte
Farc-Kommandant „Martín Caballero“ und der Para-Anführer „Jorge 40“ l…
tot beziehungsweise im US-amerikanischen Gefängnis seien.
„Martín Caballero“ war durch einen Anschlag auf den Flughafen des nahe
gelegenen Cartagena sowie ein geplantes Attentat auf den damaligen
US-Präsidenten Bill Clinton bei dessen Besuch in Kolumbien bekannt
geworden, „Jorge 40“ vor allem durch Massaker an Bauern und Indigenen sowie
die Ermordung zweier Gewerkschafter, die den Interessen des
US-Bergbaukonzerns Drummond im Weg standen.
Santos’ Ansprache, die die Chancen des nahenden Friedens beschwor,
unterschlug freilich, was all die Radprofis und ihre Begleiter gesehen
hatten: Guerilla und Paramilitärs waren weiter kampfstark, obwohl die
Paramilitärs sich offiziell schon zehn Jahre zuvor aufgelöst hatten und die
Farc mitten in den Friedensgesprächen in Havanna steckte. Der Radsport
diente an diesem Junitag im Jahre 2016 vor allem zur Erzeugung der Illusion
von Frieden. Und Saldarriaga war froh, als die Vuelta a Colombia in weniger
umkämpfte Zonen des Landes vordrang.
Noch wilder müssen im kolumbianischen Radsport allerdings die 80er Jahre
gewesen sein. Da erschienen plötzlich Teams auf der Bildfläche, die
offiziell Drogerien und Juwelierläden als Sponsor hatten. Dahinter steckten
aber Drogenbarone, die Kolumbiens Nationalsport zur Steigerung der eigenen
Popularität nutzen wollten.
## Rennhosen mit Escobar-Aufdruck
Schillerndste Figur dabei war Roberto Escobar, der Bruder vom Drogenzar
Pablo. Roberto hatte in seiner Jugend offenbar tatsächlich Talent als
Radfahrer. Die Geschichten von seinen Siegen muss man zwar mit Vorsicht
lesen; es befanden sich Rennen darunter, die niemand kannte. Andere Siege,
die er für sich beanspruchte, wurden laut offizieller Siegerstatistik von
anderen Sportlern gewonnen. So ging etwa die Goldmedaille im Straßenrennen
bei den Bolivarspielen 1965 in Ecuador nicht an Roberto Escobar, wie er
selbst in Umlauf setzte, sondern an Severo Hernández.
Belegt ist aber, dass Escobar in den 1980er Jahren eine eigene
Fahrradfabrik eröffnete – „Bicicletas Ositto“ – und auch ein Radsportt…
gleichen Namens aufstellte. Dafür heuerten einige bekanntere Fahrer an, und
Escobar träumte gar von einer Einladung zur Tour de France. Es wäre ein
schriller Auftritt gewesen. Denn auf den Rennhosen trugen die Profis nicht
die Aufschrift irgendeines Sponsors, sondern „Pablo Escobar – Renovacion
Liberal“. Renovacion Liberal war der Name der Partei, die der Drogenzar
zwischenzeitlich auch gegründet hatte.
Mit dem Tourstart wurde es dann nichts. Einer der Fahrer aus dem Team,
Gonzalo Marín, wurde später in den USA wegen Drogenhandels und Mitarbeit im
Kartell der Escobars zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nachdem er seine
Haft verbüßt hatte, wurde er – offenbar von Gegnern der Escobars –
umgebracht.
Ein anderer Radprofi, der wegen Drogendelikten ins Gefängnis kam, war Juan
Carlos Castillo. Er nahm – im Gegensatz zu den Escobar-Protegés im
Zweiradgeschäft – an der Tour de France teil und war wichtiger Helfer von
„Lucho“ Herrera. Auch er wurde im Zuge einer „Kontenklärung“ im Milieu
umgebracht.
## Fahrräder als Drogentransportmittel
Kolumbianische Radsportler dienten in den 80er und 90er Jahren gar als
„Mulis“ der Kartelle. Sie verschluckten Kokain, versteckten es in den
Rahmen der Räder oder in den Massagebänken der Betreuer. 1991 flog am
Flughafen Rom ein elfköpfiges Nachwuchsteam als Drogenkurierabteilung auf.
Dass heutige Radprofis ihre Karriere wegen ein paar Kilo Koks aufs Spiel
setzen, ist eher unwahrscheinlich. Aus dem Radsportsponsoring sind die
Drogenbarone wohl auch ausgestiegen.
Als Drogentransportmittel sind Fahrräder aber weiter beliebt. Im September
nahm die chilenische Polizei drei Kolumbianer fest, die 18 Kilo Marihuana
auf Fahrrädern nach Chile einführten. Es war kein Koks mehr, sondern
Marihuana. Es waren auch keine Radprofis, sondern Amateure. Ein Rückgang
der Intensität auf allen Ebenen. Gut für den Sport, gut für Kolumbien.
6 Jan 2019
## LINKS
[1] /Kommentar-Waffenstillstand-in-Bogota/!5445648
[2] /Friedensnobelpreis-2016/!5346638
## AUTOREN
Tom Mustroph
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