| # taz.de -- Ein Jahr nach dem Friedensabkommen: Sie kämpfen immer weiter | |
| > Vor einem Jahr ist in Kolumbien das Friedensabkommen mit den | |
| > Farc-Rebellen in Kraft getreten. Doch die Umsetzung läuft schleppend. | |
| Bild: Die ehemaligen Guerilleros werden bald Eltern: Maricela Arce und Esnyder … | |
| Icononzo/Riosucio/Bogotá taz | Es gibt Momente, in denen ist Maricela Arce | |
| ihr neues Leben viel zu kompliziert. Immer diese Entscheidungen. Was gibt | |
| es heute zu tun? Welche Klamotten soll sie anziehen? Was einkaufen? Und | |
| überhaupt: Was will sie eigentlich? | |
| Anderes vermisst sie ganz und gar nicht. Die Schusswechsel, die Angst, aus | |
| der Luft bombardiert zu werden, und vor allem nicht die langen Märsche mit | |
| dem schweren Rucksack. | |
| Maricela Arce ist 33 Jahre alt, eine Frau mit sachter Stimme, der man nicht | |
| ansieht, dass sie mehr als ihr halbes Leben lang Guerillera war. Sie wollte | |
| gegen die Ungleichheit im Land kämpfen und den Paramilitärs etwas | |
| entgegensetzen, sagt sie heute. Aber es war auch Abenteuerlust dabei. Sie | |
| war erst 15, als sie, ohne sich zu verabschieden, ihre Familie verließ und | |
| aufseiten der Revolutionsarmee Farc in den Krieg zog. | |
| In der Guerilla waren ihre Aufgaben klar und von oben bestimmt. Sie kämpfte | |
| in der 40. Front, vor allem im Departamento del Meta, und lernte dort ihren | |
| Lebensgefährten kennen, vor neun Jahren war das. Sie lebten zusammen, sie | |
| kämpften zusammen. Es war ein schönes Leben, sagt sie, trotz allem. Dann | |
| endete der Krieg. | |
| ## Ein ziviles Leben | |
| Vier Jahre lang hatten Regierung und Guerilla auf Kuba verhandelt, bis das | |
| Friedensabkommen stand. Dann grätschte das Volk dazwischen, eine knappe | |
| Mehrheit lehnte das Abkommen ab. Präsident Juan Manuel Santos schwenkte – | |
| mit Rückenwind durch den Friedensnobelpreis – auf einen Plan B um. Vor | |
| genau einem Jahr haben er und der Farc-Chef den nur leicht überarbeiteten | |
| Vertrag unterzeichnet. | |
| Ein Jahr Frieden also nach fünf Jahrzehnten Bürgerkrieg. Frieden? Wirklich? | |
| Wer in diesen Tagen durch Kolumbien fährt, kann Frieden finden – in | |
| Regionen, die vorher gefährlich waren und jetzt zu bereisen sind. Auch in | |
| den sogenannten Übergangszonen, in denen vor knapp einem halben Jahr 7.000 | |
| Farc-Kämpfer ihre Waffen abgegeben haben. Aber es gibt auch Landesteile, in | |
| denen der Konflikt neu aufflammt, weil die Farc-Kämpfer ein Machtvakuum | |
| hinterlassen haben, das jetzt andere Gruppen füllen. Im Chocó etwa, der | |
| schwer zugänglichen Region zwischen Karibik und Pazifik, sagen viele: Es | |
| ist jetzt schlimmer als zuvor. | |
| Maricela Arce und ihr Partner wechseln heute nicht mehr ständig ihren | |
| Aufenthaltsort. Sie führen nun ein ziviles Leben in einem neu gegründeten | |
| Dorf, in der Farc-Zone Antonio Nariño. Sie liegt bei Icononzo, ein paar | |
| Autostunden südwestlich der Hauptstadt Bogotá. Baracken mit | |
| Wellblechdächern stehen auf den Hügeln, verbunden durch Schotterwege und | |
| Lehmpfade, es gibt Hütten mit Gemeinschaftsbädern und einen Fußballplatz. | |
| Gut 200 Menschen leben hier, knapp die Hälfte Frauen. Der Ort wird bewacht | |
| von Soldaten der kolumbianischen Armee, die in Kampfmontur an der | |
| Schotterstraße strammstehen. | |
| ## Ihren Kampfnamen benutzt sie weiter | |
| Eine große Entscheidung haben Maricela und ihr Lebensgefährte bereits | |
| getroffen: Sie gründen eine Familie. Maricela ist schwanger, 38. Woche, | |
| jeden Moment kann es so weit sein. Die Farc-Kämpfer wollten die Revolution, | |
| und jetzt bekommen sie Kinder. | |
| Maricela Arce ist ihr Kampfname, den benutzt sie weiter. Unter diesem Namen | |
| kennt man sie ja. In dem Häuschen, in dem sie jetzt wohnen, weiß und blau | |
| angestrichen, baut Arces Lebensgefährte gerade das alte Bett ab und ein | |
| neues aus Holz auf, es ist größer und gemütlicher. Es soll alles schön | |
| sein, wenn das Kind kommt. Mit dem Wiedereingliederungsgeld, umgerechnet | |
| rund 570 Euro pro Person, haben sie einen Flachbildfernseher gekauft und | |
| einen Kühlschrank. Den Boden im Haus haben sie bereits neu gemacht, jetzt | |
| kommt noch der überdachte Eingangsbereich dran. Vor dem Haus wachsen in | |
| einem Beet Tomaten, Karotten und Bananenstauden. Bald werden sie das erste | |
| Mal ernten können. | |
| Maricela Arce will ihr Kind gerne hier aufziehen. „Es soll ein ganz | |
| normales Dorf sein“, sagt sie, „aber mit weniger Korruption und | |
| Kriminalität und mehr Solidarität.“ | |
| Eines der ersten Dinge, die sie sich zulegte, als sie vor einem Jahr in die | |
| Zone kamen, war ein Smartphone. Damit hat sie ganz schnell bei Facebook | |
| ihre Schwester gefunden. Ein bisschen schaudert ihr bei dem Gedanken, dass | |
| ihre Eltern und Geschwister bald jeden Tag in der Familien-WhatsApp-Gruppe | |
| nach einem Babyfoto fragen werden. Die ständige Erreichbarkeit ist neu für | |
| sie, sie geht ihr mitunter auf die Nerven. | |
| ## Gekommen um zu bleiben | |
| In der Guerilla waren Kinder ein Störfaktor, die Kämpferinnen wurden | |
| gezwungen abzutreiben oder mussten ihr Neugeborenes weggeben. Der | |
| Friedensschluss brachte einen Babyboom. In Antonio Nariño leben inzwischen | |
| 14 Kinder, 19 weitere sind unterwegs. Deshalb soll bald ein Kindergarten | |
| eröffnen. Das Haus steht schon, es fehlen noch Möbel und Spielsachen. | |
| Überhaupt verläuft alles ziemlich schleppend, erst im Juni waren die Häuser | |
| bezugsfertig. Bis dahin schliefen sie wie vorher unter aufgespannten | |
| Plastikplanen. Vieles mussten sie selber machen, etwa zusätzliche | |
| Wasserrohre verlegen. Die Regierung erfüllte ihre Zusagen nicht oder nur | |
| zögerlich, so beschweren sich viele, auch in anderen Zonen. Manche der | |
| früheren Guerilleros bekommen offenbar auch ihre monatliche Geldzahlung | |
| nicht, sie liegt knapp unter dem Mindestlohn. | |
| Die Zonen sollten eigentlich nur für den Übergang da sein, bevor dann die | |
| Exkämpfer – im Idealfall gut auf einen neuen Job vorbereitet – ihrer | |
| eigenen Wege gehen. So hat die Regierung sich das vorgestellt. Aber die | |
| Farc-Leute sind aus dem Dschungel gekommen, um zu bleiben. Zumindest ein | |
| Teil von ihnen will Kooperativen gründen. | |
| In der Zone Antonio Nariño haben die ehemaligen Kämpfer eine Schneiderei | |
| mit einem halben Dutzend Nähmaschinen ausgestattet – Maricela hat hier | |
| einen Nähkurs gemacht – und ein Restaurant eröffnet. Sie planen, Obst und | |
| Gemüse anzubauen und ein Ökotourismusprojekt aufzuziehen. Sie wollen sich | |
| nicht auseinandertreiben lassen, sagt Maricela Arce. Sondern weiter | |
| gemeinsam für ihr Ziel einer besseren Welt kämpfen. Nur eben ohne Waffen. | |
| ## Mindestens 25 Farc-Mitglieder ermordet | |
| Die Farc wollen auch Politik machen, deswegen sind sie nun offiziell als | |
| Partei eingetragen. Die Abkürzung ist geblieben, ihren Namen haben sie | |
| geändert:. Aus den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ wurde die | |
| „Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes“. | |
| Früh am Morgen, es wird gerade hell, läuft Pastor Alape durch Gate 73C des | |
| Flughafens El Dorado in Bogotá und steigt in den Bus, der die Passagiere | |
| zum Flugzeug bringen wird. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und ein weißes | |
| Hemd, er sieht aus wie ein Geschäftsmann. Die Fluglinie Satena gehört der | |
| Armee, deshalb steht die Propellermaschine im militärischen Teil des | |
| Flughafens. Sie rollt zur Startbahn und hebt ab. Nebelschwaden über Bogotá, | |
| das Flugzeug dreht eine Linkskurve, grüne Hügel blitzen unter der | |
| Wolkendecke auf. Ein paar Turbulenzen. Pastor Alape schaut auf sein | |
| Smartphone, Terminvorbereitung. | |
| Der 58-Jährige kämpfte fast vier Jahrzehnte in der Guerilla, war zuletzt | |
| Mitglied des siebenköpfigen Führungsgremiums der Farc und sitzt im Vorstand | |
| der neuen Partei. Er ist jetzt Politiker, seinen Kampfnamen hat auch er | |
| behalten. | |
| Das Jahr nach dem Friedensschluss ist für ihn vor allem eine Enttäuschung. | |
| „Die Regierung hält ihre Versprechen nicht ein“, sagt er. Er kritisiert, | |
| dass die vereinbarte Übergangsjustiz, die Täter auf allen Seiten bestrafen | |
| und vor allem den Opfern gerecht werden soll, nun aufgeweicht wird. Für ihn | |
| ist das ein Versuch, „die Wahrheitssuche zu sabotieren“. Auch ein Problem: | |
| Die nun unbewaffneten Exguerilleros können nicht überall sicher leben. | |
| Mindestens 25 Farc-Mitglieder sollen in den vergangenen zwölf Monaten | |
| ermordet worden sein. | |
| ## Regionaler Ableger der Farc-Partei | |
| Trotzdem: Die Waffen niederzulegen, das war die beste Entscheidung, die sie | |
| treffen konnten, davon ist Pastor Alape nach wie vor überzeugt. | |
| Die Maschine landet auf dem Innenstadtflughafen von Medellín. Pastor Alape | |
| ist der Erste, der aussteigt, sein Leibwächter läuft neben ihm über das | |
| Rollfeld. Pastor Alape muss sich beeilen, er hat ein Treffen in der | |
| Regionalregierung. Und morgen werden sie hier die Gründung des regionales | |
| Ablegers der Farc-Partei feiern. Diese aufzubauen sei ein Fest, wird er bei | |
| dieser Gelegenheit in eine Kamera sagen. | |
| Vielen im Land gefällt es nicht, dass die Farc nun eine legale politische | |
| Partei sind und dass sogar Farc-Chef Rodrigo Londoño alias Timochenko als | |
| Präsidentschaftskandidat antritt. Vor allem Politiker ganz rechts außen vom | |
| Centro Democrático, der Partei des Expräsidenten Álvaro Uribe, halten die | |
| Entwicklung für dramatisch. Ihre Partei hat gute Chancen, bei den Wahlen im | |
| kommenden Frühjahr Santos’ Nachfolger zu stellen, der jetzige Präsident | |
| darf nicht noch mal antreten. Noch hat sich Uribe nicht für einen | |
| Kandidaten entschieden. | |
| Senator José Obdulio Gaviria war Uribes Präsidentenberater und zählt nach | |
| wie vor zu seinen engsten Vertrauten. Im Parlamentsgebäude im historischen | |
| Zentrum von Bogotá sitzt er in einem Salon auf einem Sofa mit lila und | |
| gelben Kissen und erklärt, warum seine Partei gegen das Friedensabkommen | |
| kämpft. Sein Lieblingswort dabei: illegitim. | |
| ## Bilanz ist sehr gemischt | |
| Dem gesamten Abkommen fehle die Legitimität, sagt er, und im vergangenen | |
| Jahr habe sich im Land gar nichts verbessert. Dass die Farc ihre Waffen | |
| abgegeben haben, bezeichnet Gaviria erst auf Nachfrage als „günstiges | |
| Element“. Die Besetzung der Wahrheitskommission, die den Konflikt | |
| schonungslos aufarbeiten soll, und die Berufung der Richter für die | |
| Übergangsjustiz: für ihn genauso illegitim wie die Tatsache, dass die Farc | |
| für eine Übergangszeit Parlamentssitze sicher haben und dass selbst | |
| Guerilleros, die schwere Verbrechen begangen haben, ohne Gefängnisstrafe | |
| davonkommen können. | |
| Im Klartext heißt das: Wenn Uribe und seine Leute die Wahlen gewinnen, | |
| droht das Friedensabkommen in weiten Teilen nicht umgesetzt zu werden. Vor | |
| allem wird es keine Landreform geben, die den Kleinbauern zu mehr Rechten | |
| verhilft. Keiner weiß, wie die Farc darauf reagieren wird. | |
| Ein Jahr nach dem Friedensabkommen ist die Bilanz sehr gemischt. In dieser | |
| Woche hat die Stiftung Paz y Reconciliación die Ergebnisse einer | |
| Untersuchung vorgelegt. „Der Krieg ist vorbei, der Postkonflikt ist in | |
| Gefahr“, haben die Sozialwissenschaftler ihren 264 Seiten langen Bericht | |
| überschrieben. Die Waffenabgabe der Farc habe hervorragend funktioniert: | |
| 1,3 Waffen pro Guerillero wurden an die Vereinten Nationen übergeben, ein | |
| Rekordwert. Vor ein paar Jahren gab es noch 2.000 Minenopfer im Jahr, jetzt | |
| 13. Die Zahl der Morde im Land ging genauso zurück wie die der | |
| Binnenvertreibungen. Das sind die guten Nachrichten. | |
| Die schlechten: Von 24 Gesetzesreformen des Friedensabkommens hat der | |
| Kongress bislang nur acht umgesetzt. Es wird mehr Koka angebaut, der Bau | |
| von Straßen und anderer Infrastruktur läuft nicht so richtig an. 1.000 | |
| Farc-Mitglieder sind noch im Gefängnis, trotz Amnestiegesetz. Mehr als 700 | |
| Guerilleros kämpfen in unterschiedlichen Gruppen weiter. In 70 Gemeinden, | |
| in denen die Farc-Rebellen präsent waren, ist neue Gewalt ausgebrochen, | |
| heftiger als zuvor. Es gibt jetzt Orte mit einem Dutzend gewalttätiger | |
| Gruppen, die kaum jemand auseinanderhalten kann. Alle vier Tage wird in | |
| Kolumbien ein Aktivist der sozialen Bewegungen umgebracht. | |
| ## Street Art meets Jungle | |
| Verschlimmert hat sich die Lage vor allem in den abgelegenen Gebieten an | |
| den Landesgrenzen und am Pazifik, wo viele den Staat nur aus dem Fernsehen | |
| kennen. | |
| Riosucio im Nordwesten Kolumbiens, in Richtung Panama: Gerade einmal 40.000 | |
| Menschen leben hier in einem Gebiet, das doppelt so groß ist wie das | |
| Saarland. Auch in dieser Gegend gibt es eine Farc-Zone. Dort haben sie | |
| Sprayer aus Medellín engagiert, um die Wände der Häuser zu verschönern. | |
| „Rebelde“ steht auf einem Haus, auf einem anderen ist ein großer Jaguar zu | |
| sehen. Street Art meets Jungle. | |
| Die Region war lange unter Kontrolle der Farc-Rebellen. Nicht weit von hier | |
| wurden 1994 bei einem Massaker der Guerilla 35 Menschen getötet. Als 2016, | |
| kurz vor der Volksabstimmung über den Friedensvertrag, Farc-Chefs die | |
| Familien der Opfer um Entschuldigung baten, war auch Pastor Alape dabei. | |
| Es ist heiß und feucht in Riosucio. Die einzige Straße, die in den Ort | |
| führt, blockiert seit zwei Tagen ein im Schlamm festsitzender Lkw, an die | |
| 50 Tonnen Holz hat er geladen. Riosucio heißt übersetzt „schmutziger | |
| Fluss“. Tatsächlich ist der Río Atrato, der durch den Ort fließt und | |
| regelmäßig über die Ufer tritt, mit Quecksilber verseucht, weil | |
| flussaufwärts illegal Gold abgebaut wird. | |
| ## So auf den Frieden gefreut, aber er kam nicht | |
| Die Region hat eine hohe strategische Bedeutung. Ein Korridor verläuft hier | |
| zum Schmuggeln von Drogen, Waffen und Rohstoffen. Deshalb haben | |
| verschiedene bewaffnete Gruppen Interesse, das Gebiet zu kontrollieren. Und | |
| deshalb musste Maritza Carpio, 37 Jahre alt, mit ihrer Familie aus ihrem | |
| Dorf fliehen, gemeinsam mit einem Dutzend anderer Familien. | |
| Ihr Dorf heißt Juin Duur, es liegt ein paar Bootsstunden von Riosucio | |
| entfernt. Die Carpios sind Indigene vom Volk der Wounaan, sprechen vor | |
| allem dessen Sprache. | |
| Sie hätten sich so auf den Frieden gefreut, sagt Maritza Carpio. Aber er | |
| kam nicht. Gekommen sind Anfang 2017 erst Guerilleros der Nationalen | |
| Befreiungsarmee ELN und wenig später Paramilitärs vom Clan del Golfo. Die | |
| Organisation ist der wohl größte Player im kolumbianischen Drogengeschäft | |
| und einer der größten Profiteure der Farc-Demobilisierung. | |
| Auch die ELN hat viel Land gutgemacht, seid die Farc keine Gebiete mehr | |
| kontrollieren. Die Guerilla mit ihren rund 1.500 Kämpfern ist dezentraler | |
| aufgestellt und weniger hierarchisch. Deshalb hilft es wenig, dass sie | |
| inzwischen auch über einen Friedensvertrag verhandelt. Der Teil der | |
| Guerilla, der im Chocó agiert, macht da nämlich nicht mit. | |
| ## Nicht mehr frei bewegen, jagen oder fischen | |
| Um sich gegen den Feind abzusichern, legen die ELN-Kämpfer auch Minen. Die | |
| aber unterscheiden nicht zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung. | |
| Mindestens ein Indigener wurde durch eine Mine getötet, mehrere verletzt. | |
| Sie können sich nicht mehr frei bewegen, sie können nicht mehr richtig | |
| jagen und fischen. | |
| Als dann Ende August eine 22-Jährige starb, weil sie in ein Feuergefecht | |
| zwischen ELN und Paramilitärs geriet, riefen Maritza Carpio und die | |
| anderen um Hilfe. Das Rathaus in Riosucio schickte Boote, sie konnten nur | |
| ein paar Kleider mitnehmen. Ihre Reisernte: verloren. | |
| Jetzt wohnen sie seit fast drei Monaten am Rand von Riosucio. Auf die | |
| Schnelle wurde ein Holzhaus auf Stelzen hergerichtet, Küche und Wassertank | |
| erneuert. Die deutsche Diakonie entsandte dafür ein Nothilfeteam. Sechs | |
| Familien teilen sich das Haus, abends legen sie in dem einzigen Raum die | |
| Matratzen zum Schlafen aus. | |
| Maritza Carpio sitzt barfuß inmitten der Hütte auf dem Boden und hält ihre | |
| jüngste Tochter auf dem Schoß. Ihre anderen vier Kinder schwirren irgendwo | |
| draußen herum, ihr Mann ist auf einer Versammlung. Vor zwei Wochen ist er | |
| noch mal in ihr Dorf zurückgekehrt, um zu schauen, ob sich die Lage | |
| gebessert hat. Hat sie sich nicht. | |
| ## „Wir sind alle bedroht“ | |
| Maritza Carpio macht das traurig, denn so richtig gut gefällt es ihr hier | |
| nicht. Allein schon der Fluss, der ist ja so schmutzig. Wie soll man hier | |
| leben? Es ist nicht so, dass sie die Farc vermissen würde. „Aber die | |
| Guerilleros haben uns Indigene zumindest immer respektiert.“ Das sei jetzt | |
| anders. Sie steht auf und stellt ihre Tochter in einen Plastiklaufstuhl. | |
| „Dieser Krieg“, sagt sie, „hört leider niemals auf.“ | |
| Ein Militärhubschrauber dröhnt über die Hütte hinweg, auf dem Fluss | |
| patrouilliert ein Boot der Marineinfanterie. Hier in der Stadt versucht | |
| der Staat Präsenz zu zeigen, ohne viel ausrichten zu können. | |
| Dabei bräuchten viele seine Unterstützung. Aktivisten von Organisationen, | |
| die in Riosucio die indigene und die Afrobevölkerung vertreten, haben | |
| Angst, offen zu sprechen. Sie sagen Sätze wie: „Sie wollen uns | |
| einschüchtern“, oder: „Wir sind alle bedroht.“ Sie sind sich einig: Mit … | |
| Farc-Rebellen war es nicht so schlimm, mit ihnen konnte man einen Weg | |
| finden, nebeneinander zu existieren. | |
| Das scheint mit der ELN nicht zu funktionieren. Etwas weiter südlich im | |
| Chocó wurde vor einem Monat ein Indigenenanführer von ELN-Guerilleros | |
| ermordet. Mehr als 1.000 Menschen haben aus Angst ihre Dörfer verlassen. | |
| Der provisorische Waffenstillstand zwischen Regierung und ELN, der kürzlich | |
| vereinbart wurde, er hält hier nicht. | |
| ## Alternativen zum Kokaanbau finden | |
| Es besteht die Befürchtung, dass die Zahl der Binnenvertreibungen insgesamt | |
| wieder ansteigt. Insgesamt wurden in den Jahrzehnten des Konflikts mehr als | |
| sieben Millionen Menschen innerhalb Kolumbiens vertrieben – so viele wie in | |
| sonst keinem Land der Welt. | |
| In Riosucio arbeitet jetzt – wie in anderen Gemeinden auch – jemand im | |
| Rathaus, der den Titel „Sekretär für Frieden, Versöhnung und Postkonflikt�… | |
| trägt. José Ángel Palomeque heißt er, ein kräftiger Typ, er trägt eine | |
| kurze Hose und gelbe Plastiksandalen. Er hängt heute dauernd an seinem | |
| Handy, hat einiges zu regeln. In ein paar Tagen kommt der Vizepräsident die | |
| Gemeinde besuchen, eine seltene Ehre. Palomeque will ihm erklären, was hier | |
| los ist. | |
| „Ich glaube nicht, dass mehr Militärpräsenz die Lösung ist“, sagt José | |
| Ángel Palomeque. Was er am wichtigsten findet: die Minen zu räumen, damit | |
| die Leute zurück in ihre Dörfer können. Landwirtschaftliche Projekte, um | |
| Alternativen zum Kokaanbau zu liefern. Bessere Straßen. Oder überhaupt | |
| welche. All das ist ja geplant, es dauert nur viel zu lang. | |
| Im besten Fall, sagt er, gibt es bald nur noch einen bewaffneten Akteur in | |
| der Region. Mit dem könnten sich die Menschen dann arrangieren. So wie | |
| bisher mit den Guerilleros der Farc. | |
| 26 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Erb | |
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