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# taz.de -- Friedensprozess in Kolumbien: Sonderjustiz ohne Biss
> Ein spezielles Gericht soll Menschenrechtsverbrechen aus mehr als fünf
> Jahrzehnten aufklären und ahnden. Doch seine Kompetenzen sind begrenzt.
Bild: Was wird aus ihr? Eine Farc-Kämpferin in Kolumbien, Archivbild vom Janua…
Bogotá taz | Drei Buchstaben haben in den letzten Wochen Kolumbien in Atem
gehalten: JEP. Jurisdicción especial para la Paz, so viel wie Sonderjustiz
für den Frieden, heißt das Gesetzesprojekt, welches den Opfern des mehr als
fünfzig Jahre währenden Konflikts in Kolumbien endlich Aufklärung und ein
Minimum an Rechtsprechung bringen sollte. Sollte – denn Menschenrechts- und
Opferorganisationen fürchten, dass die hehren Ziele der Sonderjustiz
behindert werden.
Internationale Rechtsexperten zwischen Bogotá, London, New York und
Guatemala-Stadt hatten das Konzept der Sonderjustiz entwickelt. Sie wurde
in das Friedensabkommen zwischen der Farc-Guerilla und der kolumbianischen
Regierung aufgenommen.
Im Kern besteht die JEP aus einem Sondertribunal für den Frieden, dessen 51
Richter bereits ernannt wurden. Das Verfahren ist erprobt, es basiert auf
den Erfahrungen anderer Friedens- und Versöhnungsprozesse. Es beinhaltet
eine Kombination aus Strafverfolgung schwerer Verbrechen und Anreizen, bei
der Aufklärung aktiv mitzuwirken – im Austausch für Straffreiheit bei
minder schweren Vergehen.
So weit, so gut. Doch mit der Umsetzung in nationales Recht tat sich die
kolumbianische Regierung extrem schwer. Erst kam es zu Verzögerungen – wie
bei nahezu allen wichtigen Vereinbarungen zwischen der 1964 gegründeten
Guerilla und der Regierung des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel
Santos, dem Träger des Friedensnobelpreises 2016. Dann intervenierte auch
das Verfassungsgericht und stutzte die Autonomie der 51 bereits Ende
September ernannten Richter.
## Verfassungsgericht mischt sich ein
Das kritisieren Menschenrechtsorganisationen scharf. „Seit ihrer Ernennung
in einem überaus transparenten Prozess sind die Richter zum Nichtstun
verdammt“, erklärt der Direktor der Organisation Fasol, Carlos Ojeda
Sierra. Fasol kümmert sich um verfolgte Richter, Staatsanwälte und
Ermittler der Staatsanwaltschaft: Werden sie bedroht, bringt die
Organisation sie in Sicherheit und betreut die Familien.
Ojeda Sierra, selbst Sohn eines von der Farc ermordeten Richters, hat auch
Bedenken, wenn es um den Implementierungsprozess der JEP geht. „Der mutet
manchmal wie Sabotage an, denn der Institution, die unserer nicht
funktionierenden Justiz zeigen soll, wie es geht, werden die Kompetenzen
beschnitten“, so der 36-Jährige.
Damit spricht er einen Punkt an, der Konsens unter den Opferorganisationen
Kolumbiens ist: Sie hatten gehofft, dass die JEP im Paket abgestimmt werden
würde und so ohne Änderungen die beiden Kammern des Parlaments passieren
könnte. Doch das Gegenteil ist der Fall – das Verfassungsgericht hat nicht
nur angeordnet, dass jeder einzelne Artikel der JEP in Senat und Kongress
diskutiert werden muss, womit auch Abwandlungen möglich werden. Die Richter
legten auch fest, dass gegen Urteile der Sonderjustiz vor ebenjenem
Verfassungsgericht Berufung eingereicht werden kann.
## Konkurrenz zwischen den Gerichten
Alirio Uribe Muñoz, Abgeordneter der linken Polo Democrático Alternativo,
führt diese Entscheidung auf zwei Faktoren zurück: Zum einen auf die
Konkurrenz zwischen den Gerichten – zum anderen auf diejenigen, die durch
den Friedensprozess etwas zu verlieren haben. „Wir wussten, dass
einflussreiche Politiker, aber auch Unternehmer und Militärs zu den
Drahtziehern der paramilitärischen Gewalt gehören“, sagt der 56-jährige
Kongressabgeordnete. „Dass ihr Ziel die Straffreiheit ist, kann nicht
überraschen, und da sind sie ein Stück weit vorangekommen.“
In der Kritik stehen Veränderungen wie etwa die, dass Zivilisten nur noch
mit ihrer Einwilligung vor die JEP geladen werden dürfen. Wenn die normale
Justiz funktionieren würde, wäre das kein Problem, so Alirio Uribe Muñoz.
„Dann müssten sich Unternehmer, einschlägig bekannte Politiker, Militärs
und Großgrundbesitzer eben dort verantworten und höhere Haftstrafen
akzeptieren, weil sie mit den Paramilitärs kooperiert haben. Aber sie
funktioniert eben nicht.“
Das belegen auch die Statistiken. Demnach werden zwischen 95 und 99 Prozent
der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kolumbien nicht geahndet. Genau
deshalb lockt die JEP aussagewillige Täter mit einer Maximalstrafe von acht
Jahren, um verwertbare Aussagen zu erhalten und die Aufklärung der
zahllosen Menschenrechtsverbrechen anzukurbeln.
## Mehr als Straflosigkeit, immerhin
Zahlreichen Politikern im kolumbianischen Senat ist das aber ein Dorn im
Auge. So brachten sie eine Diffamierungskampagne gegen die JEP-Richter in
den Umlauf. Die wurden zwar in einem transparenten Verfahren nominiert.
Doch die Gegner dieser Sonderjustiz erklärten, die Richter seien nur
nominiert worden, um gegen den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez und seine
rechten Partei Centro Democrático zu ermitteln.
Jeder der 51 Richter, der schon einmal in einem Menschenrechtsfall aktiv
gewesen sei, müsse abgelehnt werden, lautet die Forderung. „Ein
entsprechendes Gesetz wurde im Senat formuliert und man kann nur hoffen,
dass es vom Verfassungsgericht kassiert wird“, sagt Iván Cepeda, Senator
des Polo Democrático Alternativo.
„Für die Opfer sind diese Eingriffe in die Struktur der JEP ein massiver
Dämpfer ihrer Hoffnungen auf Aufklärung“, sagt Cepeda. Trotzdem hat er
Hoffnung: „Klar ist, man schafft diesen Justizapparat. Dadurch werden die
Opfer endlich die Möglichkeit haben, ihr Recht einzuklagen.“ Ein
Fortschritt in dem von Straflosigkeit geprägten Land.
## UN fordern Reintegrationsprogramme
Etwas zuversichtlicher stimmt Kritiker auch, dass es neben der JEP noch die
Wahrheitskommission und die „Einheit für die Suche nach gewaltsam
Verschwundenen“ gibt, die ihre Arbeit alsbald aufnehmen werden und
ebenfalls Licht in die Verbrechen von mehr als fünf Dekaden des Konflikts
bringen soll.
„Das macht mir Hoffnung“, sagt Gustavo Gallón von der kolumbianischen
Juristenkommission. Allerdings wünscht sich Gallón auch mehr
Aufmerksamkeit und Kritik vonseiten internationaler Organisationen und der
Staaten, die den Friedensprozess begleitet haben.
Die Vereinten Nationen zumindest haben die Regierung Santos gerade
nachdrücklich aufgefordert, die Reintegrationsprogramme für die ehemaligen
Farc-Guerilleros endlich aufzulegen – ein weiteres Versäumnis in der
schleppenden Umsetzung des Friedensabkommens.
9 Jan 2018
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Kolumbien
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