# taz.de -- Neues chinesisches Jahr: Armes Schwein | |
> Haustier, Würstchen, Politikum: 2019 ist das Jahr des Schweins. Bevor es | |
> im Februar losgeht, sollten wir über unsere Beziehung zum Säuger | |
> nachdenken. | |
Bild: In Deutschland ist ja ohnehin jedes Jahr ein Jahr des Schweins | |
2019 ist das Jahr des Schweins nach dem chinesischen Kalender, und weil | |
astrologischer Hokuspokus irgendwie edler klingt, wenn er mit fernöstlichem | |
Weisheitskarma serviert wird, spricht man auch hierzulande davon, dass uns | |
nun Glück, Reichtum und Zufriedenheit winken. | |
Die Glückskeksphilosophen weisen nachdrücklich darauf hin, dass das | |
Schweinejahr vor allem ideal sei, um finanziell ordentlich zu investieren, | |
womit die Ratschläge auffällig übereinstimmen mit den ökonomischen | |
Empfehlungen von Donald Trump [1][und Friedrich Merz] – es wächst halt doch | |
manchmal zusammen, was zusammengehört. Aber Obacht, das Jahr des Schweins | |
beginnt nach dem chinesischen Kalender erst am 5. Februar – vorher gekaufte | |
Aktien werden automatisch zu Ramschpapieren! | |
So weit der Service-Teil. Aber in Deutschland ist ja ohnehin jedes Jahr ein | |
Jahr des Schweins, dafür braucht es gar keine Weissagungen. Rund 30 | |
Millionen der Paarhufer leben hierzulande überwiegend in Mastanlagen, und | |
da ihre vorbestimmte Lebenserwartung darin nur ein halbes Jahr beträgt, | |
werden also Jahr für Jahr an die 60 Millionen geschlachtet. Womit | |
Deutschland Schweineland Nummer eins in der EU ist. 46 Schweine isst jeder | |
Deutsche durchschnittlich im Lauf seines Lebens. | |
Das Hausschwein gehört zu den ältesten Begleitern des Menschen. Vermutlich | |
schon vor etwa 9.000 Jahren wurden erste Wildschweine domestiziert, sowohl | |
in Asien als auch ironischerweise im arabischen Raum, wo man heute nicht | |
mehr viel mit ihnen zu tun haben will. Während das Schwein im Fernen Osten | |
als Glückssymbol und in Deutschland als fettiger Identitätsstifter verehrt | |
wird, gilt es im Islam und Judentum als unrein und darf von Leuten, die | |
sich von ausgedachten höheren Mächten Vorschriften bis in den Speiseplan | |
hinein machen lassen, nicht gegessen werden. Woher diese Abneigung rührt, | |
ist nicht ganz klar. Eine gängige Theorie lautet, dass dahinter die Furcht | |
vor der Übertragung von Trichinen stecke. Allerdings bergen auch andere | |
Nutztiere ähnlich unerfreuliche Überraschungen. | |
Vielleicht folgte die Schweineächtung eher trivialen ökonomischen statt | |
erhabenen göttlichen Gründen: Schweine sind Allesfresser und schlecht an | |
trocken-heiße Bedingungen angepasst. Deshalb waren sie in den schon vor ein | |
paar tausend Jahren zunehmend wüstenhafter werdenden Regionen im Nahen | |
Osten und Nordafrika immer weniger zur Haltung geeignet. Sie können keine | |
Gräser aufschließen, sondern bevorzugen ähnliche Nahrung wie der Mensch, | |
was bei Ressourcenmangel nicht gut ankommt. Pralle Sonne können sie nicht | |
gut ab, durch die Gegend treiben kann man sie bei Hitze auch nicht, und da | |
sie keineswegs schwitzen wie die Schweine, sondern vielmehr überhaupt nicht | |
zu schwitzen in der Lage sind, benötigen sie Suhlen, um sich abzukühlen. | |
## Schmeckt wie … Menschenfleisch? | |
Eine dritte Theorie schließlich vermutet, dass Schweine zu menschenähnlich | |
seien – das Fleisch beider Säuger schmeckt angeblich ähnlich, und als | |
Menschenopfer außer Mode kamen, seien auch die Schweine gleichsam als | |
Kollateralnutzen mit verboten worden. | |
Vielleicht aber hat der Schweinebann mit alldem auch gar nichts zu tun, | |
sondern basiert einfach nur auf stumpfen Vorurteilen: Nicht umsonst gelten | |
die Tiere als besonders dreckig und dumm, obschon beides grober Unsinn ist | |
– aber wann hätten Fakten Religionen je interessiert? | |
Auf jeden Fall ist das Schwein auf bizarre Weise gesellschaftlich | |
aufgeladen. So konnte die alberne Frage, [2][ob bei der letztjährigen | |
Islamkonferenz] unter Dutzenden Häppchen auch solche mit Schweinefleisch | |
dabei sein durften, ein Politikum mit maximaler Hysterisierung werden. Auf | |
der anderen Seite gilt das Tier den Rechten inzwischen als Schweinefleisch | |
gewordene deutsche Identität. Und das ist eigentlich ja auch eine feine | |
Pointe: Deutschtum gleich Schweinerei. Jedenfalls scheint Schweineverzehr | |
oberste Bürgerpflicht für den AfD-Anhänger, und er gerät ähnlich wie ein | |
Schwein in der Mastanlage, das versehentlich natürlichem Sonnenlicht | |
ausgesetzt wird, an den Rand eines Herzinfarkts, wenn es in der Schulmensa | |
mal keine Schweinewürstchen gibt, weil dann Islamisierung, Unterwerfung und | |
Umvolkung drohen. | |
So aufopferungsvoll, wie der Urdeutsche das Schwein für seine | |
Fettleibigkeit und gegen die drohende Islamisierung verschlingt, so billig | |
müssen Lendchen und Wurst aber auch verfügbar sein. Was in [3][der | |
industriellen Massentierhaltung] zur Optimierung der Betriebsabläufe die | |
betäubungslose Ferkelkastration zur Folge hat. | |
Spätestens seit 2013 ist die martialische Prozedur nach dem | |
Tierschutzgesetz verboten, ebenso lange versprechen die Bauernverbände, | |
Alternativen umzusetzen, die sich bislang aber in Fristverlängerungen | |
erschöpfen, zuletzt Ende November für noch mal zwei Jahre. Was bedeutet: | |
Weiteren 40 Millionen Ferkeln werden ohne Betäubung die Hoden aus dem Leib | |
geschnitten. | |
Den deutschen Wurstesser freut’s, während er sich über die | |
Schächtgewohnheiten barbarischer Muslime und Juden ereifert. | |
Solche Probleme immerhin stellen sich dem Freund des Wildbrets nicht, ganz | |
unkastriert vermehren Wildschweine sich fröhlich immer stärker, denn sie | |
profitieren von der Agrarlandschaft. In der vergangenen Jagdsaison wurden | |
mehr als 830.000 Tiere geschossen, ein neuer Rekord. Die Abschüsse sollen | |
auch der Prävention der Schweinepest dienen, die vor zehn Jahren in | |
Osteuropa wieder ausgebrochen ist und sich allmählich nach Westen | |
vorarbeitet. Sollte sie nach Deutschland kommen, drohen Milliardenschäden. | |
## Feuchter Traum aller Rechtspopulisten | |
Allerdings sind nicht Wildschweine, sondern Fleischtransporte der | |
Hauptrisikofaktor für die Ausbreitung. Trotzdem verwirklicht Dänemark an | |
der Grenze zu Deutschland gerade den feuchten Traum aller Rechtspopulisten | |
– einen 70 Kilometer langen und 1,5 Meter hohen Grenzzaun gegen | |
unerwünschte Migranten, wenn auch diesmal nur gegen wandernde Wildschweine. | |
Nach einhelliger Expertenmeinung zwar eine wirkungslose Maßnahme, aber | |
Hauptsache, es wird mal ordentlich was abgeschottet. | |
Am Ende dieses Schweinsgalopps noch ein Blick auf die ganz armen Schweine: | |
Für das Visayas-Pustelschwein von den Philippinen und das Zwergwildschwein | |
aus Südasien ist es ungewiss, ob sie das nächste Jahr des Schweins 2031 | |
überhaupt noch erleben werden. Sie stehen kurz vor der Ausrottung, von | |
Letzterem leben nur noch etwa 200 bis 500 Exemplare. | |
Schuld daran natürlich: der Mensch. Weil er beide Arten noch immer bejagt, | |
weil Hausschweine sich mit den Wildschweinen hybridisieren, weil immer mehr | |
Naturflächen zerstört werden – nicht zuletzt zur Fleischproduktion. | |
Es ist eben alles ein Schweinesystem. | |
1 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
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