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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Das Tier als Ware
> Den Verbrauchern ist Fleisch nicht besonders viel wert. Ihr Entsetzen
> über Schlachthof-Skandale ist am Ende Heuchelei.
Bild: Ohne Mitleid: Schweinehälften in einem Schlachthof
Ich habe mal in einer Fleischfabrik gearbeitet, acht Ferienwochen lang, und
habe Innereien auseinandergeschnitten und Schweinebacken von Schweineköpfen
abgeschnitten, am Band, das ist schon lange her. Und zuerst gibt es da so
einen kleinen Widerstand. Weil dieses zerschnittene Schwein einen noch so
ansieht, aus seinem einen Auge in diesem halben Kopf. Es ist noch so kurz
erst vom Leben weg. Und es gibt so einen Widerstand, in dieses Fleisch
hineinzuschneiden.
Aber dann, am Band, und wenn man es acht Stunden macht, dann schneidet man
und schneidet man, und der Widerstand verschwindet. Die Arme schmerzen.
Pausen nur, wenn das Band steht. Pinkeln nur, wenn das Band steht. Es ist
hart. Es ist kalt. Man trifft keine eigenen Entscheidungen mehr, man wird
Teil einer Maschine. Ich weiß nicht, ob es für Schlachthausmitarbeiter
ähnlich ist.
Sie können sich nicht dafür entscheiden, ein Tier am Leben zu lassen. Sie
müssen jedes Tier, das ihnen unterkommt, töten. Immer und immer wieder. Sie
sehen dieses Tier an diesem Tag zum ersten Mal. Sie haben es nicht
aufgezogen, sie haben es nicht kennengelernt. Sie können nichts für dieses
Tier fühlen. Sie sollen auch nichts für dieses Tier fühlen, denn wenn sie
anfingen, für ein Tier etwas zu fühlen, dann würde ihnen ihre Arbeit
dadurch schwerer.
Das Mitleid mit dem Tier, das sie schlachten, müsste ihnen also von
woanders her kommen. Es müsste eine Art übergeordnetes Mitleid mit dem
Geschöpf sein. Sie müssten eine Art höherer Liebe empfinden, verbunden mit
einem daraus resultierenden Verantwortungs- und Pflichtgefühl.
Ich möchte nicht ausschließen, dass so eine Haltung in einem
Schlachthausmitarbeiter existiert. Ich kannte selber einen Mann, dessen
Beruf das Schlachten war, und der durchaus Mitleid empfand und schonend
vorging, soweit es ihm eben möglich war. Der das Quälen von Tieren aufs
Schärfste verurteilte.
Aber er schlachtete allein in seiner eigenen Verantwortung in seinem
eigenen Schlachthaus. Das ist teuer und aufwendig und es bedeutet, dass man
kaum mehr als ein oder zwei Tiere am Tag schlachtet. Das massenhafte
Schlachten in einem Schlachthaus ist nicht der Boden, auf dem solche eine
Haltung sprießt. Der Mann, den ich kannte, war ein geschätzter Mensch. Er
arbeitete viel, verdiente aber auch gut und war eine anerkannte
Persönlichkeit in den Dörfern, in denen ich aufwuchs.
In Schlachthöfen arbeiten die Menschen oft für den Mindestlohn unter
miserablen Arbeitsbedingungen. Die gesellschaftliche Anerkennung ist nicht
so besonders. Unter diesen Umständen kommt es zu einer Arbeitseinstellung,
die Missstände, wie den eben aufgedeckten, in einem [1][Schlachthof in Bad
Iburg], im Landkreis Osnabrück, begünstigen, die sie aber natürlich nicht
entschuldigen. Es ist aber nicht nur der Vorgang des Schlachtens, bei dem
Tiere so behandelt werden, es hat auch etwas mit der Haltung, auch der
Verbraucher, zu tun, die ein Tier als eine bloße Ware betrachten.
## Dekadenter Umgang
Die Verbraucher tun das, die verantwortlichen Tierärzte anscheinend, und
die Schlachthofmitarbeiter tun es halt auch. Sie dürfen die Tiere nicht
quälen, das wissen sie wohl, aber sie fühlen es nicht. Sie wollen einfach
nur mit ihrer Arbeit fertig werden, irgendwie. Sie wollen es schaffen. Es
ist eine Grundeinstellung, die gesellschaftlich mitgetragen wird, wenn die
Hühnerbruststreifen im mediterranen Salat zum Mittagstisch in der Stadt
genossen werden, während der Rest des Tieres weggeschmissen oder in ärmere
Länder verschickt wird, wo dieser „Fleischabfall“ noch als Lebensmittel
gilt.
Es ist ein dekadenter Umgang mit Tieren und Umwelt und es sind nicht nur
Schlachthausmitarbeiter, auf die man mit Fingern zeigen sollte, weil sie
die „Ware“ nicht liebevoll behandeln. Den Menschen, die nicht selber
schlachten, sondern schlachten lassen, ist diese Ware nämlich auch nicht
besonders viel wert. Ein Brüstchen da, ein Filetstück da, jung soll es
sein, pubertäres Fleisch, kindliches Fleisch, täglich und bezahlbar. Und
dann Entsetzen. Das ist, am Ende, Heuchelei.
8 Nov 2018
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5540293&s=Schlachthof+Bad/
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Schlachthof
Tierquälerei
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