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# taz.de -- Sozialistische Tageszeitung „nd“: Armes Deutschland
> Die Tageszeitung „neues deutschland“ steht seit Jahren immer wieder vor
> der Pleite. Jetzt könnte es tatsächlich bald zu Ende gehen.
Bild: Bereits an der Tür bekommt man einen Eindruck von der DDR-Geschichte der…
Berlin/Grünheide taz | Es gibt niemanden, der Ingeborg Schimmelpfennig so
lange begleitet wie ihre Zeitung. „Mein nd“, sagt sie, wenn sie über das
neue deutschland spricht.
Schimmelpfennig ist 89 Jahre alt, Witwe und lebt allein in ihrem Haus am
Rand des Dorfs Grünheide in Ostbrandenburg. Es ist dunkel in dem Haus. Die
hohen Nadelbäume, unter denen es steht, nehmen ihm das Licht. Wenn
Schimmelpfennig morgens aufsteht, schmiert sie sich eine Scheibe Brot und
setzt sich an den Computer. Sie liest E-Mails und Onlinenachrichten. Dann
nimmt sie sich die Zeitung und setzt sich in ihren roten Sessel. Eineinhalb
Stunden braucht sie täglich für die Lektüre, inklusive Rätsel.
Schimmelpfennig liest das nd seit der ersten Ausgabe, seit 1946. Was würde
es für sie bedeuten, wenn die Zeitung Insolvenz anmelden müsste? „Das will
ich nicht mehr erleben“, sagt sie.
72 Jahre nach der ersten Ausgabe ist das nd in einer tiefen Krise. Die
Auflage sinkt, online nimmt es kaum Geld ein, vor einem Jahr stand die
Insolvenz unmittelbar bevor. Die Linkspartei, die Gesellschafterin der
Zeitung ist, gab ihr nochmal einen Kredit, angeblich 1 Million Euro. Ein
Jahr später stellt sich wieder die Frage: Ist das nd am Ende? Und was macht
die Linkspartei?
Zu DDR-Zeiten, als das nd noch Propagandaorgan war, arbeiteten dort mehr
als 500 Menschen, eine Million Exemplare wurden täglich verkauft,
überregionale Konkurrenz gab es praktisch nicht. Heute sind es bei 100
Mitarbeitern noch gut 22.000 Exemplare, Tendenz sinkend.
Alle Tageszeitungen kennen diese Entwicklung. Nur läuft sie beim nd
schneller ab, weil die Leserschaft älter ist und stirbt. Der Großteil der
nd-Leser sind alte Ostdeutsche. Manche in der Linkspartei sagen, dass die
Zeitung vor allem in Ostberliner Altenheimen stark sei. Wenn das so ist,
dann ist das Ende der „sozialistischen Tageszeitung“ absehbar. „Lieber
verzichte ich drei Tage auf Essen als auf mein nd“, sagt Ingeborg
Schimmelpfennig.
## „SED-Duktus in der Zeitung“
Sie erzählt von ihrem Leben mit der Zeitung: 1929 wird sie in Halle
geboren. Die Mutter sitzt im Krieg im Gefängnis, weil sie für die KPD
arbeitet. Kurz nach Kriegsende wird die Mutter erschossen. Von wem, wird
nie aufgeklärt. Schimmelpfennig wächst bei ihren Großeltern auf, zwei
überzeugte Kommunisten. Ihre erste Kommunismusschulung erhält sie von den
beiden als kleines Kind.
Am 23. April 1946, da ist Schimmelpfennig 17 Jahre alt, erscheint die erste
nd-Ausgabe. „Das größte Ereignis für unser Volk nach der faschistischen
Tragödie: Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist geschaffen“,
lautet der erste Satz im SED-Zentralorgan.
Schimmelpfennig tritt in die SED ein und lernt Margot Honecker kennen, die
da noch Feist heißt. Schimmelpfennig und sie bauen in Halle den
Jugendverbund FDJ auf. Dann geht Schimmelpfennig nach Leipzig, um zu
studieren, sie will Lehrerin für Marxismus-Leninismus werden. „Den
SED-Duktus in der Zeitung“, sagt sie heute, „fanden wir ganz normal.“
„Das Herz des größten Menschen unserer Epoche, des Genossen J. W. Stalin,
hat aufgehört zu schlagen“, titelt das nd etwa am 7. März 1953.
„Leipzig fördert den friedlichen Welthandel zum Nutzen der Völker“,
schreibt die Redaktion am 16. März 1987 zur Eröffnung der Leipziger Messe
und druckt in einer Ausgabe 43 Fotos des SED-Generalsekretärs Erich
Honecker.
Dann fällt die Mauer, die Treuhand soll einen Käufer für die Zeitung finden
und scheitert. „Zum Glück“, sagt Ingeborg Schimmelpfennig. Denn dass die
Zeitung bis heute in der Hand der Linkspartei ist, der
Nachfolgeorganisation der SED, findet sie wichtig für die Identität des
Blatts. Die Linkspartei hat inhaltlich aber keinen direkten Einfluss mehr.
Aber ob das nd überleben wird oder nicht, hängt von Entscheidungen der
Partei ab.
## Zu links für die taz
Es gibt auch einen Teil der Leserschaft, der nicht mit der DDR-Geschichte
der Zeitung verknüpft ist. Leute wie Ralf Hoffrogge. Mit seinen 38 Jahren
ist Hoffrogge einer der jüngeren Abonnenten des nd. Und er hat zwei
Antworten darauf gefunden, wie er seiner kriselnden Zeitung helfen will.
Die erste: Wenn er in Bochum aus dem Zug steigt, wo er an der Universität
Geschichte lehrt, lässt er sein nd im Bahnhof auf einer Bank liegen. „Damit
noch ein Westdeutscher das nd für sich entdeckt.“
Die zweite: Er schreibt Leserbriefe, wie die Zeitung aus der Krise kommen
könnte. Sie solle an den Universitäten präsenter sein, solle sich auf ihren
Kern besinnen. Weniger linksliberaler Mainstream, öfter die Klassenfrage
stellen.
Hoffrogge ist in Westdeutschland geboren, wurde an der Universität in den
Bildungsstreiks politisiert. Er hat verschiedene Blätter durchprobiert. Er
hat die Süddeutsche gelesen, aber bei der fände er kaum noch linke
Positionen. Mit der taz wurde er schon als Student nie richtig warm, weil
der damalige Bildungsredakteur immer wieder für Studiengebühren plädierte.
Dass die taz [1][2014 eine Anzeige der AfD druckte], bestärkte ihn in
seiner Sicht: „Dieses postmoderne anything goes würde das nd nicht machen.“
Ingeborg Schimmelpfennig und Ralf Hoffrogge stehen für die zwei Pole der
nd-Leser und für zwei Strömungen der deutschen Linken. Sie: ostdeutsch,
Kriegsgeneration, DDR, Vergangenheit. Er: westdeutsch, an der Universität
politisiert, zu links für die taz. Beiden ist das nd ein publizistisches
Zuhause. Das Ende der Zeitung, sagen sie, wäre ein massiver Verlust für die
Meinungsvielfalt in Deutschland.
Wäre es das wirklich?
Zum ersten Mal [2][seit dem Ende der Financial Times Deutschland] und
[3][der Insolvenz der Frankfurter Rundschau Ende 2012] steht mit dem neuen
deutschland wieder eine Tageszeitung auf der Kippe. Und wie bei der FR, die
zum Teil der SPD gehörte, ist auch beim nd mit der Linken wieder eine
Partei involviert.
## Vielfältiges linkes Spektrum
An einem Mittwoch im Oktober versammeln sich im Konferenzraum des neuen
deutschland elf Redakteure, um die nächste Ausgabe zu planen. Der Raum ist
so klein, dass die Redakteure gerade so um den Tisch passen. Die breiten
Stühle haben Armlehnen und sind mit braunem Kord bezogen. An der Wand hängt
ein Foto mit Peter Sodann, er sitzt in einem Strandkorb und liest das nd.
Peter Sodann ist für die Zeitung, was Helmut Schmidt für die Zeit und Rudi
Dutschke für die taz ist.
Nacheinander stellen die Redakteure ihre Themen vor: In Berlin steht die
#unteilbar-Demo an, in der Türkei ein Deutscher vor Gericht, [4][ein Film
über schwule Fußballer startet in den Kinos,] in Bamberg, Koblenz und
Potsdam beginnen Prozesse gegen Neonazis, ein großer Text soll die
Hintergründe zu dem in einer Gefängniszelle in Kleve verbrannten Syrer
beleuchten.
Besprochen werden auch Kommentarthemen. „Hartz IV ist doch unser Thema“,
sagt eine Redakteurin. „Aber dazu haben wir alles schon tausendmal
geschrieben“, sagt Chefredakteur Wolfgang Hübner.
Am nächsten Tag wird ein Kommentar über die Hartz-IV-Sanktionen auf der
Meinungsseite stehen, ein Kommentar zu den höheren Pflegebeiträgen auf
Seite eins. Keine andere Tageszeitung in Deutschland hat an diesem Tag so
viele Texte über Neonazis, Geflüchtete und soziale Themen im Blatt wie das
nd.
Das linke Spektrum der deutschen Presselandschaft ist vielfältig. Von der
orthodoxen Jungen Welt über die taz bis zur Süddeutschen Zeitung erscheinen
täglich mehrere mehr oder weniger linke Tageszeitungen. Dazu wöchentlich
der Freitag [5][und die Jungle World, und wer will,] findet auch in der
Zeit linke Positionen. Da drängt sich die Frage auf, ob für das nd
überhaupt noch Platz ist.
Ingeborg Schimmelpfennig, die Altleserin, sagt: „Das nd hält wie keine
andere die Verbindung zum Sozialismus. An allem, was gut war in der DDR,
halten die fest: Genossenschaften, Kindergärten, die Idee der
Vergesellschaftung von Arbeit.“
## Von materiellem Wert
Ralf Hoffrogge, der Jungleser, sagt: „Das nd ist das zentrale
Referenzmedium für die linke Bewegung in Deutschland.“
Der Parteivorstand der Linkspartei sagt: „Gerade angesichts der
Rechtsentwicklung darf eine linke Gegenöffentlichkeit wie das nd nicht
verschwinden.“
So steht es in einem Antrag, den der Linken-Vorstand beim Parteitag im Juni
2018 in Leipzig angenommen hat. Zähneknirschend von manchen, heißt es dazu
aus Vorstandskreisen. Denn die Frage, wie die Linke ihrer Verantwortung als
Gesellschafterin der Zeitung nachkommt, ist umstritten.
Den Antrag für den Parteitag hatten Genossen auch im Namen der Redaktion
des nd eingebracht. Sie wehrt sich dagegen, dass die Partei der Zeitung das
Letzte nehmen könnte, das noch von materiellem Wert ist: das Grundstück des
Verlags am Berliner Ostbahnhof. So hatte es der Parteivorsitzende Bernd
Riexinger im April vergangenen Jahres der nd-Belegschaft angekündigt. Die
Redaktion fürchtet, dass das ihr Todesstoß sein könnte.
Das Verlagsgebäude des nd befindet sich in bester Berliner Lage. 25.000
Quadratmeter ist das Grundstück groß, zweieinhalb Fußballfelder, eine
Goldgrube. In einer Akte im Grundbuchamt von Berlin-Kreuzberg findet sich
ein Vermerk von 2004, in dem der Wert auf knapp 5 Millionen Euro geschätzt
wird. Er dürfte sich mittlerweile vervielfacht haben. In Parteikreisen
schätzt man einen zweistelligen Millionenbetrag.
Das Gebäude darauf ist hoffnungslos veraltet. Die Gardinen, die in einigen
Fenstern hängen, sehen aus, als seien sie vor der Wende aufgehängt worden.
Ein Paternoster bringt die nd-Mitarbeiter auf ihr Stockwerk. Redaktion und
Verlag nehmen heute nur noch eine Etage ein. Auf den anderen sitzen die
Rosa-Luxemburg-Stiftung, die DKP und diverse Vereine. Sie alle sind Mieter
in dem Gebäude. Müsste das nd die ortsübliche Miete zahlen, gäbe es die
Zeitung wohl längst nicht mehr.
## Niemand wolle das Grundstück verkaufen
Das Eigentümergeflecht von Grundstück und Verlag ist kompliziert: Der
Verlag Neues Deutschland gehört je zur Hälfte der Partei Die Linke und
einer Beteiligungsgenossenschaft, der Communio eG, die der Partei nahe
steht. Ihr Vorsitzender und Mehrheitseigner, Matthias Schindler, ist seit
Ende vergangenen Jahres auch Geschäftsführer des nd. Er war hoher
Mitarbeiter bei der Stasi und ist seit Anfang der 1990er Jahre im Umfeld
des nd und der Vermögensverwaltung der Linken aktiv.
2006, als die westdeutsche WASG und die ostdeutsche PDS dabei waren, zur
Linkspartei zu fusionieren, erhielt Schindler die Anteile am nd. Angeblich,
so heißt es aus Parteikreisen, weil Dietmar Bartsch, der damalige
Geschäftsführer und heutige Fraktionsvorsitzende, verhindern wollte, dass
der Lafontaine-Flügel Zugriff auf die Zeitung bekäme. Offiziell bestätigen
will das niemand.
Das Grundstück, auf dem das Verlagsgebäude steht, gehört mehrheitlich dem
Verlag Neues Deutschland. Das wollen Linkspartei und die Communio ändern,
so dass sie beide künftig direkt mehr Anteile an der
Grundstücksgesellschaft besitzen würden. Passiert ist das bis heute nicht.
Die Gesellschafter seien gerade in der Diskussion über eine Neuausrichtung
der Grundstücksgesellschaft, sagt der heutige Linkspartei-Schatzmeister
Harald Wolf der taz.
Die Redaktion glaubt, die Partei wolle mit diesem Schritt ihr Vermögen
sichern. Im Falle einer Insolvenz der Zeitung würde das Grundstück wohl in
die Insolvenzmasse fallen. Für die Partei wäre es damit verloren.
Harald Wolf, Schatzmeister der Linkspartei, bestreitet das. „Alle
Maßnahmen, die wir gegenwärtig diskutieren, dienen der Existenzsicherung
des nd.“ Er beteuert: Niemand wolle das Grundstück verkaufen oder die
Zeitung abwickeln.
Denn was auch stimmt: Keine Bank, niemand, gibt einem Unternehmen Kredite,
das wie das nd gerade kurz vor der Insolvenz steht. Einer GmbH, der nur das
Grundstück gehört, dagegen schon. Aus Sicht der Linkspartei kann es also
durchaus sinnvoll sein, das Grundstück aus den finanziellen Schwierigkeiten
des Verlags herauszuhalten.
## Verantwortung der Linkspartei
Die Partei argumentiert gegenüber den Mitarbeitern des nd: Ihr müsst Wege
finden, euch selbst zu finanzieren, den Auflagenrückgang zu stoppen, neue,
junge Leser zu gewinnen. Eine Rettung von oben, durch die Partei, kann es
nicht geben.
Die nd-Belegschaft argumentiert: Die Linkspartei hat Verantwortung für uns.
Um die Zeitung weiterzuentwickeln, brauchen wir finanzielle Sicherheit. Die
darf uns über das Grundstück nicht entzogen werden.
Als die Frankfurter Rundschau im Jahr 2012 Insolvenz anmelden musste, warf
die Linkspartei der SPD „Verrat an der Arbeiterbewegung“ vor. Nun steht sie
selbst vor der Frage: Agiert sie nach ihrem politischen Selbstverständnis
als Kämpferin für ArbeitnehmerInnen und rettet die 100 Arbeitsplätze in der
Zeitung? Oder agiert sie als kühl kalkulierende Unternehmerin, die Kosten
und Nutzen abwägt?
Bisher entschied sie sich für Ersteres. Seit Jahren schon gibt die Partei
immer wieder Kredite oder schießt Geld zu. Zuletzt Ende 2017, als sie
zusammen mit dem zweiten Gesellschafter noch einmal ein Darlehen von einer
Million Euro gab, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Im Frühjahr 2018
schlug Geschäftsführer Schindler den nd-Beschäftigten vor, ihr 13. und 14.
Monatsgehalts zu kürzen und dafür auf betriebsbedingte Kündigungen zu
verzichten. Die Linkspartei wollte das damals nicht kommentieren. Laut
Verdi sind diese Pläne aber erst mal wieder vom Tisch.
Bis Sommer 2020 bestünde erst einmal eine gesicherte Grundlage für das nd,
sagt Geschäftsführer Matthias Schindler. Und dann?
Ein Teil der Mitarbeiter würde die Zeitung am liebsten von einer
Genossenschaft getragen sehen, so wie bei der taz. Matthias Schindler
hingegen, der Genossenschaftsprofi, hält nichts davon. „Die Zeitung kann
nur überleben, wenn sie sich aus den Erlösen ihres Verkaufs wirtschaftlich
trägt.“
## Mehr Platz für Analysen
Eine Idee für die Zukunft, die die Redaktion schon jetzt gestemmt hat, ist
die neue Wochenendausgabe. Seit Ende Oktober erscheint das nd samstags in
neuer Form: mehr Seiten, mehr Platz für Analysen, Hintergründiges und
eigene Geschichten. Dafür ist die Ausgabe unter der Woche dünner geworden.
[6][Eine erste Bilanz zeigt:] Die Wochenzeitung läuft nicht so schlecht.
2.000 neue LeserInnen hat das nd damit gewonnen, fast die Hälfte davon
jünger als 40, mehr Westdeutsche als Ostdeutsche.
Die jungen RedakteurInnen versuchen mittlerweile, im Netz auch mit den
großen Verlagen mitzuhalten: Während der G20-Proteste in Hamburg
berichteten sie live über mehrere Tage, [7][gerade haben sie mit Supernova
ein linkes Onlinemagazin gegründet,] einen Videoredakteur und
Datenjournalist eingestellt.
Doch auf dem Weg in die Zukunft steht dem nd wohl auch seine Vergangenheit
im Weg. Der Name neues deutschland schrecke viele ab, sagt Chefredakteur
Wolfgang Hübner. Die einen denken bei dem Klang noch immer an DDR-Zeiten,
und die anderen, junge Linke, vermuten bei dem Wort „Deutschland“ eine
Rechtspostille. Deswegen heißt die neue Wochenendausgabe auch nur noch nd
Woche.
Wolfgang Hübner kam 1985 zum neuen deutschland. Er hatte bei der
Sächsischen Zeitung volontiert und in Leipzig, am sogenannten Roten
Kloster, Journalismus studiert. An das Arbeiten im damaligen Zentralorgan
habe er sich erst gewöhnen müssen. Die Seite eins wurde nachmittags an die
Parteiführung geschickt. Oft schaute Erich Honecker persönlich drüber.
„Heute ist das alles anders“, sagt Wolfgang Hübner. Die Redaktion der
Zeitung ist jünger und diverser geworden. Viele Redakteure haben kaum
Erinnerungen an die DDR, weil sie beim Fall der Mauer zu jung waren oder in
der BRD geboren wurden. Es sind vor allem junge Redakteure, die im Laufe
dieser Recherche immer wieder bitten, man möge nicht mehr auf der
SED-Vergangenheit des Blatts herumreiten.
Ein Hauch von Kaltem Krieg weht gelegentlich noch durch die
Auslandsberichterstattung. Da werden Putin und seine „Großmacht im Osten“
hofiert. Aus Syrien berichtet Karin Leukefeld, die einzige deutsche
Journalistin, die in den Kriegsjahren eine offizielle Akkreditierung vom
Regime erhielt. Entsprechend Assad-freundlich lesen sich ihre Texte. Sie
hat ihre Fans unter den nd-Lesern, genau wie der prorussische Kurs einiger
Altredakteure. Das kann man in den Leserbriefen nachlesen.
## Als Erneuerer gekommen
Ingeborg Schimmelpfennig überfliegt den Politikteil nur. Am meisten
interessiert sie der Kulturteil. Sie kommt ins Schwärmen, wenn sie davon
spricht.
Regelmäßig fährt Schimmelpfennig auch auf Leserreisen, die die Zeitung
anbietet. Im Mai diesen Jahres war sie bei einer nd-Exkursion nach
Schulzenhof dabei, einem Ort im Norden Brandenburgs, wo die
DDR-Schriftsteller Erwin und Eva Strittmatter lebten.
Weil es so schlecht um das nd steht, wirbt Schimmelpfennig in ihrem
Freundeskreis für Abos. Nur wird der Freundeskreis immer kleiner.
Die Linke hat in den vergangenen Jahren im Westen viele neue Wähler
gewonnen. Vor allem in einem urbanen, akademischen, exgrünen Milieu. Es
ist, in Parteiflügeln gesprochen, das Milieu von Katja Kipping.
Kipping ist seit dem Jahr 2012 Bundesvorsitzende der Linken. Ebenfalls 2012
bekam das nd einen neuen Chef: Tom Strohschneider. Er hatte beim nd
volontiert, arbeitet dann beim Freitag und bei der taz und kehrte als
Chefredakteur zum nd zurück.
Beide Personalien passierten unabhängig voneinander. Aber es gibt
Parallelen: Kipping und Strohschneider kamen als Erneuerer. Sie war 34, er
38 Jahre alt, als sie ihre Posten antraten.
Kipping hat es geschafft, der Linken ein neues Image zu geben: jünger,
hipper, kosmopolitischer. Strohschneider hat das nd von altem Muff befreit.
Er ließ ein frisches Layout entwickeln, riss Wände ein, um Ressorts
umzubauen. Er verstärkte die Onlineredaktion und stellte junge Redakteure
ein.
Die Frage ist, warum es die Partei geschafft hat, eine neue Klientel zu
gewinnen, die Zeitung aber nicht. Vielleicht, weil Wähler nicht dasselbe
sind wie Leser. Junge Leute haben noch nie viel Geld für Journalismus
bezahlt.
Ralf Hoffrogge beobachtet in seinem Freundeskreis, dass viele
ausschließlich online „für lau“ lesen. Er selbst hat ein Print- und
Digitalabo des nd, liest aber vor allem die gedruckte Zeitung. Hoffrogge
wünscht sich eine FAZ von links: „Die sind meinungsstark, setzen Themen und
stehen zu ihrem bürgerlich konservativen Image.“ So eine Geradlinigkeit für
den Sozialismus sähe er gern beim nd.
## Kampagne unterstellt
Das sind hohe Ansprüche an eine schrumpfende Zeitung. Ende 2017 gab Tom
Strohschneider aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Chefredakteurs auf.
Das war ein harter Schlag für die Belegschaft. Den Tausendsassa, der dem nd
neues Leben eingehaucht hatte, könne niemand ersetzen, erzählen Redakteure
noch heute.
Sein Stellvertreter, Wolfgang Hübner, rückte auf. Vorübergehend, sagte er
damals. Jetzt, ein Jahr später, stellt sich Hübner darauf ein, den Job noch
eine Weile machen zu müssen. Er ist 59 Jahre alt, eigentlich würde er sich
für sich und das Wohl der Zeitung wünschen, dass jemand Jüngeres übernehmen
würde.
2019 wollen die beiden Gesellschafter einen neuen Chefredakteur einsetzen.
Den zu finden, dürfte schwierig werden. Wer will schon ein Blatt im
Krisenmodus übernehmen? In den vergangenen Monaten sind auch mehrere
Redakteure gegangen, weil ihnen die Perspektive zu unsicher war.
Hinter vorgehaltener Hand erzählen nd-Mitarbeiter auch, wie einige
Linken-Politiker hartnäckig versuchten, ihre Beiträge in die Zeitung zu
bringen. Im Parteivorstand wiederum bemängeln einige, dass das nd nicht nah
genug dran sei an Entwicklungen in der Partei, Flügelkämpfe nicht gerecht
abbilde.
Sahra Wagenknecht machte das publik, [8][als sie in einem offenen Brief
ihren Rücktritt als Fraktionschefin androhte] und dem nd indirekt
unterstellte, eine Kampagne gegen sie zu fahren. Das zeigt, welches
Konfliktpotenzial dieses Gesellschaftermodell birgt.
Und über allem schwebt die Frage, wie lange die Gesellschafter noch bereit
sind, in das neue deutschland zu investieren. Harald Wolf, der
Schatzmeister der Linken, hatte sich in seiner Bewerbungsrede auf dem
Parteitag im vergangenen Juli zum nd bekannt. Das zeigt: Der Erhalt des nd
ist nicht in erster Linie eine wirtschaftliche, sondern eine politische
Frage: Spätestens 2021 sind wieder Bundestagswahlen. Bis dahin muss die
Partei einen Wahlkampf stemmen und finanzieren. Wie viel bleibt da für die
Rettung einer Zeitung?
16 Jan 2019
## LINKS
[1] https://meedia.de/2014/05/20/wir-sind-eben-kaeuflich-taz-muss-sich-wegen-af…
[2] /Berufliche-Zukunft-fuer-Journalisten/!5049084
[3] /Frankfurter-Rundschau-insolvent/!5079538
[4] /Film-zur-Homosexualitaet-im-Profi-Fussball/!5541610
[5] /20-Jahre-Jungle-World/!5415924
[6] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108610.nd-diewoche-eine-erste-bil…
[7] /Linkes-Debatten-Magazin/!5529772
[8] https://www.berliner-zeitung.de/politik/brief-im-wortlaut-so-begruendet-sah…
## AUTOREN
Anne Fromm
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