# taz.de -- Rechtsextremer Angriff in Bottrop: Die Aufgehetzten | |
> Mit einem Pkw versuchte ein 50-Jähriger in der Silvesternacht in Bottrop | |
> Migranten zu töten. Ähnliche Fälle gab es immer wieder. | |
Bild: Dort fuhr ein Mann Silvester gezielt in eine Menschenmenge und verletzte … | |
Als Andreas N. mit seiner Vernehmung bei der Polizei durch ist, hat er sich | |
seinen Hass von der Seele geredet. Lange hatte er zuvor gesprochen, sich zu | |
immer neuen Tiraden aufgeschwungen. Über „Kanaken“ hatte er gewettert, die | |
alles bekämen, was sie wollten. Über „die Ausländer“, die hier nicht | |
hergehörten. Er aber habe nun aufgeräumt, sagte N. So erfuhr es die taz aus | |
Sicherheitskreisen. | |
In der Silvesternacht war der 50-Jährige mit seinem Mercedes stundenlang | |
durch das Ruhrgebiet gefahren. Dann plötzlich, mitten in den | |
Feierlichkeiten, näherte er sich langsam Gruppen von Menschen, die er für | |
Migranten hielt – und gab Gas. Vier Mal geschah dies. [1][Acht Personen | |
wurden dabei verletzt]: eine 46-jährige Frau aus Syrien, ihr Mann und ihre | |
16 und 27 Jahre alten Töchter, eine 29-jährige Afghanin und ihr 4-jähriger | |
Sohn, ein 10-jähriges syrisches Mädchen, ein 34-jähriger Essener mit | |
türkischen Wurzeln. | |
Getötet wurde niemand, aber Andreas N. hatte sein Ziel auch so erreicht. Er | |
hatte Menschen aus der Gruppe der ihm so Verhassten teils lebensgefährlich | |
verletzt. Und er hatte seine Botschaft vermittelt: Ihr seid hier nicht | |
sicher. | |
Polizei und Verfassungsschutz betonen, dass ihnen Andreas N. zuvor nicht | |
bekannt war. Nicht als Straftäter, nicht als Rechtsextremist. Und dass N. | |
[2][in seiner Vernehmung auch „wirres Zeug“ redete], mit seiner | |
Arbeitslosigkeit haderte. Er litt offenbar lange an Schizophrenie. Vor | |
Jahren soll er deshalb in Behandlung gewesen sein. | |
## Mal wieder Wirrwarr | |
Was also war diese Tat? [3][Rechtsextremer Terror]? Eine Wahntat? Eine | |
Mischung aus beidem? | |
Von einem „gezielten Anschlag“ spricht die Polizei. NRW-Innenminister | |
Herbert Reul (CDU) benannte die „klare Absicht des Mannes, Ausländer zu | |
töten“. Die Bundesanwaltschaft, zuständig für politische Straftaten mit | |
besonderer Bedeutung, übernahm den Fall aber bisher nicht – offenbar wegen | |
der Hinweise auf die psychische Erkrankung. | |
Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) spricht zwar von einer | |
„offensichtlich fremdenfeindlichen Amokfahrt“, diese aber sei, so sein | |
Sprecher, der „Allgemeinkriminalität“ zuzuordnen. | |
Dieses Wirrwarr taucht nicht zum ersten Mal auf. Schon mehrmals verübten | |
Männer mit ähnlicher Vita wie Andreas N. schwere Gewalttaten, die sich | |
gegen Geflüchtete oder deren vermeintliche Unterstützer richteten. | |
## Viele ähnliche Gewalttaten | |
In Heilbronn stach im Februar 2018 Willi B., ein psychisch angeschlagener | |
Rentner, mit einem Messer auf drei Flüchtlinge ein, verletzte diese teils | |
schwer. Er habe ein Zeichen gegen die deutsche Politik setzen wollen, sagte | |
er. | |
In Torgau schoss im Juli 2017 der 44-jährige Kenneth E., Teil eines rechten | |
Drogenmilieus, [4][mit einer Pistole auf einen Syrer], nachdem er einen | |
Streit zwischen Freunden und einer Gruppe Geflüchteter beobachtet hatte. | |
Das Opfer überlebte nach einer Notoperation. | |
In Altena verletzte im November 2017 der 56-jährige Werner S., dem zu Hause | |
wegen offener Rechnungen das Wasser abgestellt worden war, den | |
CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein [5][mit einem Messer am Hals]. Er müsse | |
verdursten, während 200 Flüchtlinge nach Altena kämen, sagte der Angreifer. | |
Und bereits im Oktober 2015 hatte Frank S., ein arbeitsloser Malergeselle, | |
in Köln der Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker [6][ein Messer in | |
den Hals gerammt]. Reker überlebte. Der 45-Jährige erklärte seine Tat als | |
Zeichen gegen die „irre“ Flüchtlingspolitik, äußerte sich vor Gericht | |
rechtsextrem. Aber auch er litt laut Gutachten an einer | |
„paranoid-narzisstischen Persönlichkeitsstörung“. | |
## Gerichte urteilten unterschiedlich | |
Öffentlichkeit und Gerichte gingen sehr unterschiedlich mit diesen Tätern | |
um. Heilbronn und Torgau machten keine großen Schlagzeilen. Anders der | |
Reker-Attentäter Frank S., der zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Tat | |
sei ein versuchter Mord und ein „brutales Zeichen“ gewesen, erklärten die | |
Richter. Auch bei Kenneth E., der in Torgau auf einen Syrer schoss, sprach | |
das Gericht von einem Mordversuch. Er erhielt eine 13-jährige Haftstrafe. | |
Bei Werner S., der Altenas Bürgermeister attackierte, sah das Gericht | |
dagegen nur eine Spontantat ohne politisches Motiv: Der Täter habe sich in | |
einer Krise befunden und habe im Kurzschluss gehandelt. S. erhielt zwei | |
Jahre auf Bewährung. | |
Auch den Messerangriff in Heilbronn gegen die drei Geflüchteten wertete das | |
Gericht als Spontantat. Der 70-Jährige habe betrunken gehandelt, ebenfalls | |
aus einer Krise heraus. Er erhielt fünf Jahre Haft. Es seien die | |
kursierenden „Hetztiraden“ gewesen, die sich in seinem Kopf irgendwann | |
festgesetzt hätten, erklärte der Richter. Diese Tiraden hätten den Rentner | |
zum „Handlanger für andere“ gemacht. Der Angriff sei ein Spiegelbild der | |
heutigen Gesellschaft. | |
Ähnliches könnte nun auch für den Fall Bottrop gelten. Auch Andreas N. war | |
offensichtlich sozial abgehängt, hatte psychische Probleme. Seine Wut aber | |
richtete er auf eine Gruppe: Geflüchtete. | |
## Ein wiederkehrendes Muster | |
Von einem „wiederkehrenden Muster“ spricht der Thüringer Soziologe Matthias | |
Quent, der zu Rechtsextremismus und Radikalisierung forscht. Die | |
verschiedenen Probleme der Täter seien nicht zu negieren. „Aber es gibt | |
keine Krankheit, die zu Angriffen auf People of Color führt.“ Gehandelt | |
hätten die Männer letztlich als „tatkräftige Vollstrecker“ eines | |
gesellschaftlichen Klimas. „Ein relevanter Teil der Bevölkerung, bis hoch | |
zum Innenminister, markiert Geflüchtete und Migranten als Bedrohung“, sagt | |
Quent. „Davon fühlen sich einige zur Gewalt legitimiert.“ | |
Seit den verstärkten Einreisen von Geflüchteten 2015 zieht die AfD über | |
diese Menschen her, ruft die Pegida-Bewegung zu „Widerstand“ auf. Und | |
Bundesinnenminister Seehofer nannte die Migration unlängst die „Mutter | |
aller Probleme“, früher sprach er von „Notwehr“ gegen die | |
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Nun sagt er aber, der Vorfall in Bottrop | |
mache ihn „sehr betroffen“. | |
Zählten die Behörden 2013 837 rechtsextreme Gewaltdelikte, waren es 2015 | |
1.485. Zuletzt sanken die Zahlen wieder. Dennoch wurden im vergangenen Jahr | |
allein bis Oktober erneut 822 Gewalttaten notiert. | |
Eine Entwarnung geben die Sicherheitsbehörden nicht. In der Asyldebatte sei | |
ein Ende der Agitation der rechten Szene nicht abzusehen. Auch der | |
Verfassungsschutz spricht von einem „anhaltend hohen Gefährdungspotenzial“. | |
Dabei blieben auch schwerste Straftaten von „radikalisierten Einzeltätern“ | |
ein Risiko. | |
## In kürzester Zeit radikalisiert | |
Bereits 2015, als eine Welle von Angriffen auf Geflüchtete und ihre | |
Unterkünfte losbrach, machte das Phänomen den Ermittlern zu schaffen. Rund | |
70 Prozent der Täter waren der Polizei vorher nicht bekannt gewesen. | |
Plötzlich zündete ein Finanzbeamter einen Brandsatz an einer Unterkunft, | |
oder auch ein Feuerwehrmann. Im sächsischen Freital bildete sich eine | |
Gruppe, deren Mitglieder später als Rechtsterroristen verurteilt wurden. | |
Dazu gehörten zwei Busfahrer, ein Pizzabote und ein Altenpfleger, die sich | |
in kürzester Zeit radikalisierten. | |
Das Bundeskriminalamt gab sich in einem internen Lagebild ratlos: Gerade | |
bei „fanatisierten Einzeltätern“ stünden „kaum erfolgversprechende | |
Ermittlungs- und Präventionsansätze zu Verfügung“. | |
So wie jetzt bei Andreas N. in Bottrop. Der Politologe Florian Hartleb, der | |
ein Buch zu rechtsterroristischen Einzeltätern veröffentlicht hat, ordnet | |
auch diese Tat als Rechtsterrorismus ein. Neben seiner psychischen | |
Erkrankung habe N. offenbar eine „Kränkungsideologie“ entwickelt, die | |
tatauslösend gewesen sei: der Hass auf Migranten. „Diese Absicht darf nicht | |
entpolitisiert oder pathologisiert werden.“ | |
Auch Matthias Quent spricht bei Bottrop von Rechtsterrorismus. Andreas N. | |
stehe für eine besondere Ausformung: den „vigilantistischen Terrorismus“. | |
Hier werde nicht vorrangig gegen den Staat gekämpft, sondern für die | |
Aufrechterhaltung der Machtordnung zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Ein | |
Terror gegen Minderheiten, die als Bedrohung gesehen würden. Andreas N. sei | |
es darum gegangen, Angst unter Migranten zu verbreiten. „Das ist die | |
Botschaft der Tat. Ein klares Hassverbrechen.“ | |
## Rote Linien als Gegenmittel | |
Die Staatsanwaltschaft Essen hat für Andreas N. inzwischen einen Gutachter | |
beauftragt: Dieser soll klären, ob der 50-Jährige schuldfähig ist. Mit | |
Sorge schauen die Sicherheitsbehörden aber auch auf das Tatmittel: das | |
Auto. Schon vor Weihnachten war in Recklinghausen, unweit von Bottrop, ein | |
Mann in eine Bushaltestelle gefahren. Eine Frau starb, acht Menschen wurden | |
verletzt. Im April hatte ein 48-Jähriger in Münster mit einem Kleinlaster | |
drei Personen getötet, mehr als 20 verletzt, sich selbst erschossen. Beide | |
Fälle werteten die Ermittler als erweiterte Suizide. | |
Womöglich war Andreas N. von diesen Taten inspiriert. Er aber gab sich ein | |
politisches Motiv, suchte seine Opfer gezielt aus. Nun befürchten Ermittler | |
rechtsextreme Nachahmungstaten. Aber auch hier gilt: Wann und wo dies | |
passieren könnte, ist nicht prognostizierbar. | |
Was also tun? NRW-Innenminister Reul kündigte nach dem Bottrop-Anschlag | |
„keinerlei Toleranz für Gewalttäter“ an, „egal von welcher Ecke sie | |
kommen“. Und Seehofer versprach, die Tat werde „mit Entschiedenheit | |
verfolgt“. | |
Auch Soziologe Quent sieht als wirksames Gegenmittel, dass der Staat „rote | |
Linien markiert“. Im Fall Freital sei dies gelungen, als die Täter als | |
Terroristen mit Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt wurden, auf | |
Betreiben der Bundesanwaltschaft. In Bottrop setzte die Behörde dieses | |
Zeichen bisher nicht. | |
5 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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