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# taz.de -- Das Jahr: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
> Was für ein Jahr: Rechte in Italien, Gelbwesten-Proteste in Frankreich
> und eine glamouröse Hochzeit. Doch was hat das alles zu bedeuten?
Bild: Knutschen statt Brexit: Traumhochzeit von Meghan und Harry im Mai 2018
taz: Herr Küppersbusch, im Januar bekam die SPD kurzzeitig das, was ihr
schon lange fehlt: ein junges, frisches Gesicht. Der [1][Juso-Vorsitzende
Kevin Kühnert] führt eine Kampagne gegen die Neuauflage der Großen
Koalition an – und unterliegt. Wird er trotzdem mal Kanzler?
Friedrich Küppersbusch: Da wäre er nach Gerhard Schröder und vielleicht
Andrea Nahles der zweieinhalbste Juso-Chef, dem das gelänge. Doch erstmals
wirkt die SPD so, als könnten die Jusos sie als Seniorenbeirat absprengen
und allein weitermachen, schlimmer kann’s nicht werden. Eine „Volkspartei“
macht Kompromisse – eine Koalition aus Volksparteien macht also Kompromisse
zwischen Kompromissen und Kompromissen.
So starten SPD-Linke mit einer neuen Bürgerversicherung und landen bei 20
Euro Ersparnis für manche Kassenpatienten dank Jens Spahn. In dieser
Entkernung der Volksparteien ist die SPD elend, aber weit vorne –
Merkel-CDU gegen Merz-CDU hat gerade erst begonnen. Kühnert wird’s noch
erleben.
Das Bundesverwaltungsgericht lässt im Februar Dieselfahrverbote in Städten
zu. Hamburg erlässt als erste deutsche Stadt im Juni ein Fahrverbot für
zwei Straßen in Altona. Es folgen weitere Städte. Tangiert Sie das?
Strike. Büro in der Kölner Innenstadt, Diesel-Volvo, Feierabend. Ab Mai.
Noch werden die Gerichtsurteile auf Lunge geraucht und hübsch bedröhnt
gehofft, die Polizei werde das eh nicht kontrollieren können – oder sollen.
Im Hessen-Wahlkampf zweifelte die Kanzlerin bereits die Grenzwerte an. Von
dem, was etwa Volkswagen an Strafen und Nachrüstungen in USA und Europa
gezahlt hat, hätte man Tesla zum aktuellen Börsenkurs kaufen können. Und
ein paar Milliarden übrig gehabt.
Sprich: Nachdem in den 90ern alle Gebrauchtwagen gen Osteuropa tuckerten,
kam die Abwrackprämie. Und nun müssen wieder Neuwagen her. Die deutsche
Autoindustrie hat sich Jahrzehnte auf künstlicher Konjunktur ausgeruht.
Hinzu kamen Lobbyismus und Betrug. Während andere in die Zukunft
investierten. Mein alter Diesel ist ein wirtschaftlicher Totalschaden ab
Mai, doch was ist das gegen den der deutschen Rückenmarksindustrie?
Im März wählen die Italiener ein neues Parlament und bekommen eine
Regierung aus Links- und Rechtspopulisten, Fünf-Sterne-Bewegung und Lega.
Einen Monat später gewinnt Viktor Orbáns rechte Fidesz-Partei in Ungarn.
Verschwinden die [2][irgendwann wieder, die Rechtspopulisten]?
Unser Lieblings-Geschichtslehrer, Prof. Herfried Münkler, sagt:
„Deutschland ist zurzeit in einer Situation, in der es auf den
Charismatiker wartet.“ Also einen Mittepopulisten, wenn es so was gibt;
Macron oder Trudeau mögen Beispiele sein. Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński,
Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan und die ganze Rutsche Selbstverheißer
sind nicht nur knallrechts, sondern eben auch Projektionsflächen.
Man ist des kleinteiligen Politikbetriebs müde und wünscht sich was mit
Wumms, die Alternative zur Alternativlosigkeit. Wer die pragmatische
Politik Angela Merkels mit der Vierhodigkeit Gerhard Schröders verkauft,
gewinnt. Es ist ein schmutziger Job, aber eine sollte es machen.
In Brüssel findet im April die zweite Konferenz zur Unterstützung der
Zukunft Syriens und der Region statt, auch Russland und der Iran nehmen an
der Konferenz teil. Ist so was wie [3][Frieden in Syrien] tatsächlich
möglich?
Klar. Der Westen hat hinter allerhand Eigenheiligung das strategische Ziel
verborgen, Russland bei der Gelegenheit aus Syrien rauszuschämen. Mit der
Begründung hätte man die Befreiung Deutschlands von Hitler und den Zweiten
Weltkrieg deutlich über Mai 45 hinauszögern können. Statt also
ideologiefrei auf Putin zuzugehen und einen Mehrmächtestatus ohne Assad zu
versuchen, bekommt Syrien jetzt einen von Putins Gnaden. So dauert es
länger und kostet mehr Menschenleben.
[4][Im Mai heiraten Prinz Harry und Meghan Markle]. Endlich mal ein
bisschen Freude und Glamour in diesem Jahr. Haben Sie es auch so genossen?
Der deutsche Hochadel ist strukturell außerstande, die Märkte zu bedienen,
die ein Brexit ihm da gäbe.
Apropos Freude und Glamour: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft
scheitert im Juni bei der WM in Russland kläglich. [5][Während Mesut Özil
zurücktritt], bleiben Trainer Joachim Löw, Manager Oliver Bierhoff und
Präsident Reinhard Grindel in ihren Ämtern. Warum?
Am Beispiel des Wiederholungsweltmeisters Frankreich ließe sich behaupten:
Nationalmannschaften sind so erfolgreich, wie es ihnen gelingt, die
Bevölkerung eines Landes abzubilden. [6][Die Ära Löw bestand wesentlich
darin, den Innovationsschub der Ära Klinsmann aufzuessen]. Darin gleicht
der DFB der Merkelzeit oder der ruhmreichen deutschen Industrie.
[7][Beate Zschäpe wird im Juli zu lebenslanger Haft verurteilt]. Glauben
Sie, dass die Aufklärung der Verbrechen des NSU und die merkwürdige Rolle
der Geheimdienste nun noch von staatlicher Seite weiter verfolgt werden?
Die gewaltbereiten Ausschreitungen der 90er waren der schweflige Morast,
aus dem heimlich der NSU gedieh. Doch was war das gegen Pegida und den
Einmarsch der AfD ins Parlament? Weitere Aufklärung ist also mehr noch als
notwendig eine Frage des Selbstschutzes für die Zukunft.
Nach dem gewaltsamen Tod eines Deutsch-Kubaners marschiert im August der
rechtsradikale Mob durch Chemnitz. Medien berichten darüber. [8][Ein Video
zeigt], wie Menschen Menschen jagen. Und der damalige
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sieht die ganz große
Verschwörung, eine „gezielte Falschinformation“, „um möglicherweise die
Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“. [9][Er wähnt später
„linksradikale Kräfte in der SPD“, „Medien sowie grüne und linke Politi…
am Werk, die seine „Entlassung gefordert“ hätten]. Maaßen ist mittlerweile
im Ruhestand. Doch eine Frage bleibt: Ist das Bundesamt für
Verfassungsschutz ein Fall für den Verfassungsschutz?
Maaßen verfasste als „Leiter des Referats Ausländerrecht“ unter
Innenminister Schily 2002 ein Gutachten, wonach Deutschland den
[10][Guantánamo-Häftling Kurnaz] nicht zurücknehmen müsse. Begründung: Der
hätte sich alle sechs Monate zur Verlängerung seines Aufenthaltsstatus in
Bremen melden müssen. Aber rechtzeitig abends zum Waterboarding wieder auf
Kuba sein! Damals willfuhr der Beflissimo der rot-grünen Regierung; später
gefährdete dieser unmenschliche Akt die Beförderung von Kanzleramtsminister
Steinmeier zum Außenminister. Man wusste also, mit wem man es in Maaßen zu
tun hatte. Von 14 Verfassungsschutzpräsidenten seit Gründung erreichten nur
zwei unfallfrei die Pension. Der Rest: alte Nazis, DDR-Überläufer,
Verkehrsrowdys und ein mit internationalem Haftbefehl gesuchter Betrüger.
Also war’s auch wieder naheliegend, Maaßen zu nehmen.
Im September lässt RWE den [11][Hambacher Forst] räumen und abreißen. Der
Wald muss dem Braunkohletagebau weichen. Ist das jetzt diese Energiewende,
von der immer alle sprechen?
Für eine Nation, die vom Maschinenbau lebt, eine offensive Blamage: 20
Jahre zu blöd, einen Bagger zu konstruieren, der drumherum fahren kann. RWE
hätte sich hier grünwaschen können, dass es sich gewaschen hat.
Die Bayern-Bosse Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß legen im Oktober
einen denkwürdigen Auftritt hin: Sie fordern Respekt für ihre Spieler,
zitieren Artikel 1 des Grundgesetzes, [12][beschimpfen die anwesenden
Medienvertreter] und treten gegen ehemalige Spieler nach. War das der
Anfang vom Ende der Regentschaft des bayerischen Königspaars?
Zu dem Zeitpunkt hatte der Rechercheverbund „football leaks“ bei den Bayern
bereits Interviews geführt. Sie wussten, was an Enthüllungen auf sie zukam:
Gedankenspiele gegen die Bundesliga, die europaweite „Super-Liga“ und
buntes Korruptionsallerlei. Die Herren standen also unter erheblichem
Druck; und wenn ein Torwart sich beim Elfer benehmen würde wie sie, wäre es
Zeit für eine Auswechslung.
Im November besetzen die Gelbwesten sämtliche Kreisverkehre in Frankreich.
Hunderttausende gehen gegen die Politik von Emmanuel Macron auf die Straße.
Mittlerweile flachen die Proteste wieder ab – wegen der Feiertage oder weil
sie aussichtslos sind?
Dummerweise ist auch Macron ganz schön abgeflacht. Die [13][Proteste] mögen
in Frankreich auch Folklore sein; irgendeine liberale Regierung hingegen
braucht Europa, solange Deutschland vor sich hin nabelt.
Die britische Premierministerin Theresa May übersteht zwar im Dezember
einen Misstrauensantrag ihrer Koalition, aber hat mehr [14][Abweichler in
ihrer Fraktion] als erwartet. Wird das noch was mit dem geordneten
EU-Austritt?
Vielleicht sollte die EU Großbritannien aggressiv ausschließen. Sofort
fänden sich Rechtspopulisten, die es diesen Kontinantaldeppen mal zeigen
würden und auf Beitritt beharrten.
Fragen: Anne Fromm
Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Fernsehproduzent und verzichtet in
diesen gemütvollen und friedfertigen Tagen auf einen Hinweis auf den
aktuellen, immerwährenden und verdienten Tabellenführer.
30 Dec 2018
## LINKS
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[4] /Meghan-Markle-und-Prinz-Harry-heiraten/!5504059
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[6] /Der-Fall-Mesut-Oezil/!5526301
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[8] /Faktenlage-nach-Maassens-Behauptung/!5531208
[9] /Reaktionen-auf-Maassens-Abschiedsrede/!5547917
[10] /Steinmeier-wird-offizieller-Kandidat/!5355499
[11] /Hambacher-Wald-im-Winter/!5555282
[12] /Kolumne-Pressschlag/!5539631
[13] /Protest-in-Frankreich/!5556632
[14] /Kommentar-Misstrauensvotum-May/!5558609
## AUTOREN
Friedrich Küppersbusch
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