# taz.de -- Modehauptstadt Kinshasa: Überzeichnung als Stil | |
> Les Sapeurs japonais und der Hiroshima Chic: Künstlerin Henrike Naumann | |
> untersucht Verbindungen in der Mode des Kongo und Japans. | |
Bild: Eines der von Naumann bei den Sapeurs gesammelten Fotos aus den 1990ern u… | |
Paris, 1981: Rei Kawakubo und Yohji Yamamoto, in ihrer Heimat Japan bereits | |
höchst erfolgreich, in Europa noch unbekannt, zeigen erstmals Mode in der | |
französischen Hauptstadt. Mit ihren ganz in Schwarz gehaltenen Entwürfen, | |
die sich von dem dramatisch-eleganten Glamour der Muglers und Versaces | |
jener Zeit kaum schärfer unterscheiden könnten, ernten sie vernichtende | |
Kritik: „Hiroshima Chic“, schreibt die Presse und meint das alles andere | |
als positiv. Recht behalten sollten die Kritiker nicht. Kawakubo, Yamamoto | |
und Issey Miyake als Dritter im Bunde der japanischen „Big 3“ sicherten | |
sich alsbald ihren Platz im Modeolymp. | |
Und – was weniger bekannt ist – eroberten im Laufe der 1980er Jahre die | |
Herzen der Angehörigen einer Modesubkultur am anderen Ende der Welt: der | |
Sapeurs von Kinshasa. Sapeurs, so nennen sich die Dandys aus dem Kongo, die | |
ihren prekären Lebensumständen zum Trotz einen extravaganten Modestil | |
zelebrieren, die regelrecht hungern, um sich Designerkleidung leisten zu | |
können. Es gibt sie in Brazzaville, der Hauptstadt der Demokratischen | |
Republik Kongo, ebenso wie eben in Kinshasa. | |
Bekannter sind Erstere mit ihrer Vorliebe für französische oder | |
italienische Couturiers. In Kinshasa hingegen orientieren sich die Sapeurs | |
modisch an Japan, seit 1986 zumindest, als der für die Sapeurs stilprägende | |
Musiker Papa Wemba für ein Konzert nach Tokio reiste. Wer in Kinshasa | |
dazugehören möchte, trägt folglich nicht Yves Saint Laurent, Chanel oder | |
Dior, sondern Comme des Garçons, Yohji Yamamoto oder Issey Miyake | |
Eine irre Fußnote in der internationalen Modegeschichte? Für die Künstlerin | |
Henrike Naumann steckt mehr dahinter. 2016 reiste sie erstmals nach | |
Kinshasa, eingeladen vom dortigen Goethe-Institut. Während ihres insgesamt | |
sechswöchigen Aufenthalts forschte die Künstlerin zunächst anhand | |
verschiedener Objekte zu Funktionen und Symbolen von Macht und | |
Zugehörigkeit, blieb dann jedoch bei den Sapeurs und deren Japanophilie | |
hängen. | |
## Mode als politischer Akt | |
Sie startete das Projekt „Comme des Kinois“ und setzte es in diesem Sommer | |
während einer dreimonatigen Künstlerresidenz bei Tokyo Arts and Space fort, | |
einem Kunstzentrum, das zum Museum of Contemporary Art Tokyo gehört. | |
„Mode“, sagt Naumann, „ist für mich ein politischer Akt.“ Gegenstände… | |
Alltags sind zentral in ihrer Kunst. Nicht einfach als Objekte, sondern um | |
mit ihnen gesellschaftliche Strukturen zu diskutieren. In Kinshasa sammelte | |
sie bei den Sapeurs Fotos aus den 1990ern und Nullerjahren, auf denen diese | |
in japanischer Mode posieren, erstellte ein digitales Archiv. Außerdem ließ | |
sie in Interviews mit ihnen führen. | |
Lucille de Witte und Wilfried Bonpili sprachen in ihrem Auftrag mit De la | |
Forêt, Pasquin Yohji Yamamoto, Tony Sosa, Dandri Ibanga, Djino Balondo, | |
Dolet Malalu, Youla Lima, Percy Mabuana Bunker und Junior Ngobila. Auch | |
Wilfried Bonpili, selbst Mitglied der Sapeurs, beantwortete Naumanns | |
Fragen. Diese Interviews stellte sie dann in Japan in Vorträgen vor. | |
Studierenden in einer Kunsthochschule erzählte sie, wie sich die Sapeurs im | |
Kongo Japan vorstellten. | |
So zum Beispiel: „Als ein Land, in dem es allen Menschen gut geht, wo die | |
Engel zu Hause sind, wo Menschen sich um nichts Sorgen machen müssen, wo | |
alle in Glaspalästen voller Designerklamotten leben, wo, wenn man krank | |
ist, ein Engel kommt und die Krankheit ins Meer wirft.“ Wie das japanische | |
Publikum darauf reagierte? „Krass“, sagt Naumann. Natürlich hätten die | |
Japaner*innen ein anderes Bild von sich und ihrer Gesellschaft, von ihrem | |
Land, das sich seit dem Anfang der 1990er Jahre in einer Wirtschaftskrise | |
befindet und erneut, seit Fukushima, in einer Nuklearkatastrophe, über die | |
nicht gesprochen wird. | |
## Der Verschwendungswahn der 1980er Jahre | |
In Tokio besorgte sich Naumann zudem alte Fuji-Einwegkameras, fotografierte | |
Einkaufszentren, Konsumtempel aus der sogenannten Bubble-Ära Ende der | |
1980er Jahre, in der die Wirtschaft Japans boomte und kurz danach | |
zusammenbrach, Bauten, wie aus dem Film „Blade Runner“, die heute vielmehr | |
auf die Krise verweisen, die auf den Verschwendungswahn folgte. | |
Bei „Comme des Kinois“ handele es sich primär um ein Diskussionsangebot f�… | |
alle Beteiligten, erklärt die Künstlerin. Beteiligte, damit meint sie die | |
Menschen, mit denen sie sowohl in Kinshasa als auch in Tokio in Kontakt | |
kam, Menschen, die sonst keine Berührungspunkte haben, aber die Mode als | |
verbindendes Element. Und die Fragen, die Naumann dabei umtreibt, danach | |
nämlich, wie Gesellschaften mit Krisen umgehen. | |
Wie der Kongo, wie Japan: Im Kongo mit dem überzeichnete Spiel der Sapeurs, | |
in Japan mit dem Drang, alles Problematische unter den Teppich zu kehren, | |
das sich dann jedoch andere Kanäle sucht, die der Popkultur, die der Mode. | |
„Das finde ich so faszinierend an Japan, dass es so wenig Worte gibt, um | |
über Atomzerstörung zu sprechen, aber so viel künstlerischen Ausdruck“, | |
sagt sie und fügt als Beispiel die Godzilla-Filme an, die als Reaktion auf | |
die atomare Bedrohung wie die japanischen Traumata der Atombombenabwürfe | |
auf Hiroshima und Nagasaki zu verstehen sind. Und eben – so umstritten der | |
Begriff selbst unter den Designer*innen ist – die Mode des Hiroshima Chic. | |
Dass sie das kann, mithilfe von Dingen und deren Design, schwelende | |
Diskurse hervorzulocken, hat Naumann mehrfach bewiesen, mit Arbeiten vor | |
allem zur Nachwendezeit und zu Formen der Radikalisierung. Billigmöbel der | |
1990er Jahre sind dabei ihr Werkzeug. In der Berliner Galerie im Turm läuft | |
momentan noch ihre Einzelausstellung „DDR Noir: Schichtwechsel“, in der sie | |
solche mit Gemälden ihres Großvaters, eines Malers des sozialistischen | |
Realismus, kombiniert. | |
## Der Kongo als Mine der Kunstwelt | |
Worum es ihr außerdem stets geht, ist es, neue Bilder von Orten zeigen, von | |
denen man bereits feste Vorstellungen zu haben scheint, bevor man sie | |
überhaupt kennt. Auf den Kongo trifft das in besonderem Maße zu, vor allem | |
auch für Künstler*innen, die sich dort häufig mit dem blutigen Geschäft um | |
die Bodenschätze für Handys beschäftigten und wiederum in gewisser Weise | |
einseitige Bilder reproduzierten. „Ich habe das Gefühl, dass der Kongo für | |
die Kunstwelt auch ein bisschen wie eine Mine ist“, sagt Naumann. Kinshasa | |
erscheint bei ihr deshalb als Modehauptstadt, Tokio indes als Stadt in der | |
Krise. | |
Im Juni wird sie wieder in Tokio in einer Gruppenausstellung „Comme des | |
Kinois“ präsentieren. Sie hat vor, ihren Ausstellungsraum als Ladengeschäft | |
zu inszenieren und dort die Interviews, die Fotos aus dem Kongo und ihre | |
eigenen von den Konsumruinen aus Japan sowie Kleidungsstücken aus Japan | |
integrieren. Wenn es nach ihr geht, ist diese Ausstellung nicht Abschluss, | |
sondern erst der Anfang. | |
Eigentlich sollten an ihrer Stelle die Sapeurs nach Japan reisen, findet | |
sie, doch das ist nicht einfach zu realisieren. Es gibt kein Budget für das | |
Projekt, Flüge von Kinshasa nach Tokio sind teuer, Visa kompliziert zu | |
bekommen. Naumanns Masterplan ist, Issey Miyake für das Projekt zu | |
gewinnen. Gar nicht einmal so unrealistisch, dass er sich dafür | |
interessieren könnte, dass die Sapeurs von Kinshasa seine Mode tragen. | |
Vielleicht könnte man ihn dann sogar umgekehrt in den Kongo einladen. Das | |
wäre was: „Kinshasa würde explodieren.“ | |
6 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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