# taz.de -- Öffentliche Toiletten in London: Suchen nach dem Scheißhaus | |
> Zum Welttoilettentag: Als Rachel Cole-Wilkin nach London zog, fand sie | |
> kaum ein kostenloses Klo. Seitdem bietet sie Toiletten-Führungen an. | |
London dpa | Durchschnittlich verbringt jeder Mensch zwischen eineinhalb | |
und drei Jahren auf dem Klo. Doch Rachel Cole-Wilkin bringt dort ihr halbes | |
Leben zu. Die 29-Jährige zog vor sieben Jahren von San Francisco nach | |
London, um Schauspiel zu studieren. Warum sie nach dem Abschluss blieb? Ihr | |
liegen öffentliche Toiletten am Herzen. | |
Cole-Wilkin bietet seit 2012 in London die [1][„Loo Tours“] an, Führungen | |
zu stillen Örtchen. Mit erhobenem Pömpel zieht sie durch die Straßen der | |
britischen Hauptstadt, im Schlepptau Menschen, die mehr über Toiletten und | |
die Londoner Kanalisation lernen wollen. | |
In den USA seien öffentliche Toiletten kostenlos, sagt Cole-Wilkin. Bei den | |
Briten läuft das anders: Die verlangen umgerechnet oft mehr als 50 Cent pro | |
Klogang. Zu „müssen“ ist aber nun mal ein menschliches Grundbedürfnis, | |
dafür Geld zu verlangen, sei falsch, meint sie. Also nahm sie sich vor, | |
jede kostenfreie Toilette der Stadt aufzuspüren. „Ich war wie besessen“, | |
sagt sie. | |
Aus der Besessenheit entwickelte sich ein Interesse für die Geschichte der | |
Toilette und daraus die Idee, Führungen zu kuriosen Klosetten anzubieten. | |
Es gibt kaum einen passenderen Ort für die „Loo Tours“ als London: Hier | |
ließ sich 1775 der Erfinder Alexander Cumming das erste Patent auf die | |
Toilette mit Spülung ausstellen. | |
Cole-Wilkins Tour führt von der Waterloo Station über die Themse bis nach | |
Covent Garden. Gestoppt wird auch am „Jubiloo“, dem vielleicht | |
patriotischsten Klo der Stadt, direkt neben dem Riesenrad London Eye. Ein | |
Architekt hat das Häuschen entworfen, gespült wird mit Regenwasser. Alles | |
schreit hier nach Royal Britain. Die Queen lächelt von den Wänden, der | |
Union Jack ist auf den Klodeckeln, Mülleimern und Spiegeln. Das „Jubiloo“ | |
ist Cole-Wilkins Lieblingsklo – und das, obwohl man bezahlen muss. Dafür | |
ist der Service entsprechend: Nach jedem Gast wird die vaterländische | |
Schüssel einmal abgewischt. | |
Dem Nationalstolz zum Trotz munkelt man, dass das Klohäuschen bald | |
verschwunden sein könnte, der Mietvertrag läuft aus. Und selbst wenn es | |
einen neuen gibt, kann sich den der Betreiber vielleicht nicht mehr | |
leisten. [2][Die Mieten in London sind hoch], auch für öffentliche | |
Waschräume. Und müssen die in der Folge schließen, werden sie oft in | |
Wohnungen oder Bars umgebaut. | |
Die British Toilet Association (BTA) schätzt, dass es in Großbritannien 40 | |
Prozent weniger öffentliche Toiletten gibt als noch vor zehn Jahren. Das | |
liegt vor allem daran, dass die Regierung seit 2011 den Kommunen weniger | |
Geld zur Verfügung stellt. „Dadurch können die sich den Betrieb der | |
Toiletten nicht mehr leisten“, sagt Raymond Martin, Geschäftsführer der | |
BTA. Für ältere Personen und Menschen mit Behinderung brauche es mehr und | |
besser ausgestattete Waschräume. Besonders in London, einer Stadt die | |
jährlich mehr Touristen als Einwohner sieht, ist das ein Problem. | |
## Litfaßsäulen inklusive Klo | |
Auch in Deutschland sinkt die Zahl der öffentlichen Toiletten. In Berlin | |
gibt es nach Angaben von Umweltsenatorin Regine Günther nur noch rund 250 | |
Anlagen, nicht genug in einer Metropole mit über 3,6 Millionen Einwohnern. | |
Es sollen wieder mehr werden. In Nürnberg wurden der Stadt zufolge 2015 | |
sogar historische Litfaßsäulen durch solche mit integriertem Klo ersetzt. | |
Überwiegend Touristen hatten sich über zu wenige Toiletten beklagt. | |
Damit man in Großbritannien die Toiletten, die übrig sind, auch findet, | |
haben Rachel Cole-Wilkin und die BTA geholfen, [3][eine Online-Karte für | |
Klos] zu erstellen. Für das Zentrum von London gibt es mittlerweile sogar | |
eine App, die auf Waschräume mithilfe von Augmented Reality hinweist. | |
Auch das „Jubiloo“ lässt sich so finden. Von dort führt die „Loo Tour“ | |
weiter Richtung Norden, der nächste Halt ist auf der Golden Jubilee Bridge | |
mitten über der Themse – dem größten Klo Londons. | |
Jedes Jahr fließen etwa 40 Millionen Kubikmeter Abwasser in den Fluss. Das | |
liegt daran, dass Londons Kanalisation alt ist. Zu alt. 1865 wurde das | |
System fertiggestellt, die beiden Hauptkanäle verlaufen unterirdisch am | |
Ufer der Themse und sind auf die Bevölkerung Londons vor über 150 Jahren | |
ausgelegt. Damals lebten etwa zwei Millionen Menschen in der Stadt. | |
Mittlerweile kratzt die Metropole an der Neun-Millionen-Marke. Dass mehr | |
Menschen mehr Dreck machen weiß jeder – nur wohin damit, das wusste in | |
London lange keiner. | |
## Abwasser in der Themse | |
Also entschied man sich für Folgendes: Was die Kanalisation nicht packt, | |
wird in den Fluss gekippt. Dass es sich hierbei nicht gerade um eine | |
Ideallösung handelt, merkte man Anfang der 2000er. Gegenüber des London Eye | |
entsteht deswegen gerade eine Art Überlaufbecken in der Themse, das den | |
Schmutz auffangen soll. In sechs Jahren will man mit dem Bau fertig sein. | |
Bis dann rauschen jede Woche weiterhin etwa 300 olympische Schwimmbecken | |
ungeklärtes Abwasser den Fluss hinab. | |
Als die Briten zuletzt so mit der Themse umgingen, verursachten sie „The | |
Great Stink“, den großen Gestank. Durch eine Hitzewelle im Sommer 1858 | |
stank der Fluss so unerträglich, dass die Vorhänge im Parlament in | |
Kalziumchlorid getränkt wurden, um den Geruch zu überdecken. Man überlegte, | |
die Gerichtshöfe nach Oxford zu verlegen. Der Bau der Kanalisation wurde | |
von der Regierung in nur zwei Wochen beschlossen. | |
Die „Loo Tour“ führt weiter Richtung Savoy Hotel, hinter dem Gebäude steht | |
Londons letzte Straßenlaterne, die noch mit Methan aus den Abwasserkanälen | |
betrieben wird. Etwas Gutes hat das jahrhundertalte System doch. | |
19 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://dpaq.de/mWmbY | |
[2] /Sozialleistungssystem-in-Grossbritannien/!5545077 | |
[3] http://dpaq.de/aYkle | |
## AUTOREN | |
Cornelia Neumeyer | |
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