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# taz.de -- Kulturtechnik des Abwischens: Barbaren mit Bremsstreifen
> Warum wir am Klopapier festhalten, anstatt uns – von östlicher Weisheit
> inspiriert – sanft den Anus wässern und föhnen zu lassen.
Bild: Probleme, die man nicht hätte, würde man sich den Allerwertesten mit wa…
Wer zuverlässig Menschen treffen will, die ihre kulturelle Selbstgewissheit
infrage gestellt sehen, der sollte auf eine Sanitärausstellung gehen. Dort
haben seit einigen Jahren die sogenannten Dusch-WCs ihren festen Platz.
Umschwirrt werden sie von Leuten, die sich mit steinernem Gesicht
vorstellen, wie das wohl ist: sich den Hintern nicht mit Papier
abzuwischen, sondern von einer Wasserdüse abspritzen und anschließend
föhnen zu lassen wie das Auto in einer Waschanlage.
Der Siegeszug dieser Toilettenautomaten durch unsere Badezimmer werde
zwangsläufig irgendwann beginnen, das behaupten zumindest die Hersteller
seit Jahren. Sie haben vernünftige Gründe auf ihrer Seite: Alte Menschen
blieben so länger unabhängig, auch ohne Pflegepersonal, das ihnen beim
Toilettengang hilft. Davon abgesehen ist warmes Wasser an den zarten
Stellen, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, durchaus was Angenehmes.
Außerdem können uns die Wälder nicht auf alle Zeit am Allerwertesten
vorbeigehen: Im Augenblick spülen wir ganze Landstriche an Tropenholz im
Klo runter, weil Eukalyptusfaser aus Brasilien so supersamtig und soft ist,
dass sich immer weniger Menschen zu Recyclingtoilettenpapier durchringen
können. Umweltschutzorganisationen kritisieren das seit Jahren. Dusch-WCs
verbrauchen zwar auch Energie, aber viel weniger, als für den Transport von
Holz und die Produktion von Toilettenpapier nötig ist.
Der Umsatz mit den Bidettoiletten zieht allmählich an, der Markt wächst,
aber bislang auf niedrigem Niveau. Nur ein bis zwei Prozent der deutschen
Haushalte haben sie installiert. Damit sie sich durchsetzen, brauche es
einen Kulturwandel, sagt Margit Harsch vom Sanitärhersteller [1][Geberit].
„Es ist fast so, als müssten die Leute ein zweites Mal [2][stubenrein]
werden.“ So ein Kulturwandel im Intimbereich ist offenbar eine komplizierte
Angelegenheit.
## Toiletten sind Zugänge zur Unterwelt
Stellen wir zunächst einmal fest, was jedem klar ist, der schon einmal im
Urlaub in ein von Fliegen umschwirrtes Loch gestarrt hat: Toiletten sind
buchstäblich Zugänge zur Unterwelt. Nur ein Keramiküberbau als
zivilisatorische Errungenschaft trennt uns von ihr. Ohne ihn hätten wir,
die es anders nicht gewohnt sind, Angst, dass etwas von dort unten in
unsere Wohnung, vielleicht sogar in unseren entblößten Körper eindringt.
Die Toilette steht damit wie ein Türwächter an der Schwelle zwischen
Möbelstück und Gebrauchsgegenstand, Bewusstem und Unbewusstem. Das macht
sie als Kulturobjekt so interessant. Die künstlerische Moderne begann,
daran sei hier nur kurz erinnert, mit einem handelsüblichen Urinal. Marcel
Duchamp reichte es 1917 für die Jahresausstellung der New Yorker Society of
Independent Artists ein. Er nannte das Werk „Fountain“.
Die Grenzen, deren Aufhebung Kunst und Gesellschaft umtreibt, sind heute
andere geworden. Sie verlaufen nicht mehr in erster Linie zwischen
künstlerischer und profaner Wirklichkeit, sondern zwischen den
verschiedenen Kultursphären. Auch das Dusch-WC ist ein Kulturhybrid, ein
Globalisierungsphänomen par excellence.
Sein Epizentrum hat es in Japan, wo bereits mehr als die Hälfte aller
Haushalte mit einem [3][„Toto“] ausgestattet sind. So lautet der Name des
Marktführers, der oft synonym mit dem Produkt benutzt wird. Die Japaner
haben kein Problem mit Hightech in der Toilette, im Gegenteil, sie sind auf
ihre fortschrittliche Hygienekultur so stolz, dass Toto im südjapanischen
Kitakyūshū sogar ein eigenes [4][Museum] eingerichtet hat.
Es erzählt die Entwicklungsgeschichte der Badezimmer- und Küchenkultur. Auf
deren halber Strecke befindet sich das, was wir Europäer unter normalen
Toiletten verstehen. Dort stehen sie bereits im Museum. Trotzdem werden
Dusch-WCs in Japan als „westliche“ Toiletten bezeichnet, nämlich in
Abgrenzung zu den Stehklos, die Toto vor etwa hundert Jahren allmählich mit
„Water Closets“ abzulösen begann und die sich dort vereinzelt auch heute
noch finden.
## Das westliche WC ist klassische Moderne pur
Anders als hierzulande aber ging die technische Entwicklung der Toilette
weiter, das Wasser blieb nicht mehr nur in der Schüssel. Ab den achtziger
Jahren begannen sich die heutigen Hightechmodelle durchzusetzen – und mit
ihr die Postmoderne in der Toilettenkultur.
Der Philosoph Jürgen Habermas schreibt über die Moderne, ihr Gestus liege
gegenüber einem aus Traditionen gefügten Weltbild in einer „Aufwertung des
Transitorischen, des Flüchtigen, des Ephemeren, in der Feier des
Dynamismus“, in der sich aber auch „die Sehnsucht nach einer unbefleckten,
innehaltenden Gegenwart“ ausspreche.
In diesem Sinne ist das westliche WC klassische Moderne pur: Das Alte,
Verdorbene wird umstandslos und mit viel Power weggespült. Die japanischen
Modelle von Toto hingegen sind schon einen Schritt weiter. Sie laden ein,
sich erst mal hinzusetzen und es sich auf der beheizten Brille gemütlich zu
machen. Klopapier findet man dort zwar meist immer noch, aber nicht mehr
unbedingt zur Reinigung, sondern zum Nachtupfen, falls einem das mit dem
Föhn für den Hintern zu lange dauert.
## Fremde Hightechhygiene als Provokation
Als Europäer kommt man sich vor wie an Bord einer Raumstation: Die
japanischen Hightechtoiletten sind massiv und mächtig, richtige Throne mit
unzähligen Bedienflächen. Sie saugen Gerüche dort ab, wo sie entstehen, auf
Wunsch übertönt Musik unziemliche Geräusche. Der Toilettengang wird zum
„ganz persönlichen Spa-Moment“, bei dem die Wunder der Technik einem mollig
warm am Anus herumsprenkeln.
So spotten wir im Westen darüber. Zumindest vorläufig. Denn vielleicht tun
wir das nur deshalb, weil wir fremde Hightechhygiene als Provokation
empfinden. Unser westliches WC, auf dem thronend wir über Menschen die
Nase rümpfen, die sich in Löcher entleeren, kommt nun, mit fernöstlicher
Technologie aufgemotzt, als kultureller Reimport zu uns zurück.
Darin liegt eine Kränkung des europäischen Selbstverständnisses als Nabel
der Welt, die man nicht unterschätzen sollte. Als sich die G7 in Schloss
Elmau trafen, wo zuvor Dusch-WCs installiert worden waren, hat der
japanische Premierminister Abe bei einer Tischrunde angeblich sinngemäß
gesagt: Jetzt habt ihr hier endlich auch mal anständige Toiletten. Die
Anekdote wird in Japan erzählt. Sie beweist – ob sie nun stimmt oder nicht
–, dass die zivilisatorischen Maßstäbe inzwischen anderswo gesetzt werden.
Plötzlich sind wir die ungewaschenen Barbaren mit den Bremsstreifen in den
Unterhosen.
## Warum mit dem Papiertuch?
Das merken wir in anderen Bereichen sowieso auf Schritt und Tritt, aber
bei der Frage, wie man sich nach dem Toilettengang wäscht, erwischt uns
diese Erkenntnis mit heruntergelassenen Hosen. Irgendwas tut sich da unter
unseren Hintern, wenn die Reinigungsdüse ausfährt, irgendwas Hochmodernes,
Fremdes, wir verlieren die Kontrolle, also kneifen wir.
Die arabische Kultur, vor der hierzulande so viele Menschen Angst haben,
wäscht sich auf der Toilette schon immer mit Wasser – und ja, natürlich ist
das untenrum viel hygienischer. Hätten wir Fäkalien irgendwo anders am
Körper kleben als dort, wo sie austreten, würden wir sie schließlich auch
nicht nur mit einem Papiertuch abwischen.
Es wäre also höchste Zeit, sich einfach mal darauf einzulassen. Dann ist
allen gedient: Die Wälder können stehen bleiben, anstatt dass wir sie
abholzen, quer durch die Welt transportieren, mit viel Strom, Wasser und
chemischen Bleichstoffen verarbeiten und anschließend im Klo runterspülen;
die Abwasserentsorger freuen sich, denn die Toilettenfeuchttücher
sammeln sich dort unten nicht mehr zu riesigen Klumpen und verstopfen die
Kanalisation; und wenn wir mal richtig alt sind, freuen wir uns, dass
unsere Kinder uns nicht den Hintern abwischen müssen, wenn bis dahin die
Rentenkasse und das Pflegesystem endgültig zusammengebrochen sind.
Also, warum lassen wir uns, bis es so weit ist, nicht ein bisschen den
Allerwertesten mit warmem Wasser massieren?
15 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.welt.de/sponsored/geberit/article167149887/Die-Revolution-mit-d…
[2] /!5330884/
[3] https://de.toto.com/perfekte-hygiene/de/index.php
[4] https://jp.toto.com/museum/en/
## AUTOREN
Philipp Bovermann
## TAGS
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