# taz.de -- Präventivhaft für Demonstranten: „Wie in autoritären Regimen“ | |
> Im September wollten Münchner gegen einen EU-Gipfel in Salzburg | |
> protestieren – und wurden präventiv festgesetzt. Der Fall wird zum | |
> Politikum. | |
Bild: Festgesetzt in Freilassing: Foto der Bundespolizei vom Einsatz im Septemb… | |
BERLIN taz | Die rund 70 Demonstranten waren Mitte September auf dem Weg | |
nach Salzburg, im Zug vom Münchner Ostbahnhof zu einer Demonstration gegen | |
den dort stattfindenden EU-Gipfel. Am Bahnhof Freilassing, kurz vor der | |
österreichischen Grenze, aber war Schluss: Bundespolizisten stoppten die | |
Gruppe, nahmen 18 der Linken in Gewahrsam, und das bis zu elf Stunden lang | |
– rein präventiv. Es habe Hinweise gegeben, dass diese in Salzburg | |
„[1][Störaktionen]“ planten, so die Polizei. Das genügte. | |
Der Fall beschäftigt nun noch einmal die Politik. Die Linke spricht von | |
einem „hochproblematischen“ Vorgehen der Bundespolitik. Auch das Bündnis | |
„NoPAG“, das derzeit in Bayern gegen das im Mai [2][verschärfte | |
Polizeigesetz] protestiert, fühlt sich an „autoritäre Regime wie in der | |
Türkei und Russland“ erinnert. | |
Die Bundesregierung legt auf Anfrage der Linken nun Details offen, wie es | |
zu dem Einsatz kam. Die Antwort liegt der taz vor. „Szenekundige“ Beamte | |
hätten demnach die Demonstranten damals am Münchner Ostbahnhof erkannt und | |
die Bundespolizei informiert, dass darunter angeblich Gewalttäter seien, | |
schildert die Bundesregierung. Bei der Kontrolle in Freilassing sei dann | |
tatsächlich festgestellt worden, dass 15 Personen in der Polizeidatenbank | |
INPOL als „politisch motivierte Straftäter/PMK links“ gespeichert waren, | |
sechs mit dem Hinweis „gewalttätig“. | |
Zudem hätten die Durchsuchten „schwarze Kleidungsgegenstände“ für eine | |
mögliche Vermummung mit sich geführt: „Kapuzenpullover, T-Shirts, Schals, | |
Wetterschutzjacken und Mützen sowie vereinzelt Sonnenbrillen, | |
Fingerhandschuhe sowie in je zwei Fällen schnittfeste Handschuhe, welche | |
sich als nichttechnische Schutzbewaffnung eignen“. | |
Die Folge: Die 18 Personen wurden für Stunden festgesetzt, im längsten Fall | |
für mehr als 11 Stunden. Rechtsgrundlage sei das Bundespolizeigesetz und | |
das Europäische Freizügigkeitsgesetz gewesen, so die Bundesregierung. | |
Demnach können Ausreisen versagt werden, wenn es Hinweise gebe, dass | |
Personen im Ausland „öffentlichkeitswirksame Gewalttätigkeiten“ planten. | |
Für fünf der Festgesetzten folgten auch Anzeigen wegen Verstoßes gegen das | |
Vermummungsverbot nach bayrischem Versammlungsgesetz. | |
## „Schwerer Eingriff in Meinungsfreiheit“ | |
Die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke spricht dagegen von „schweren | |
Eingriffen in das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit“. Der Fall | |
sehe „mehr nach Polizeiwillkür als nach einem rechtlich sauberen Verfahren | |
aus“. | |
Tatsächlich bleibt offen, woran die Polizisten festmachten, dass die Linken | |
tatsächlich Straftaten planten. Die Bundespolizei teilte nach dem Einsatz | |
mit, die Festgesetzten seien zuvor „bereits mehrmals bei Demonstrationen | |
und Versammlungen aggressiv und mit erheblichen Gewaltpotential polizeilich | |
in Erscheinung getreten“. Auch die Bundesregierung verweist auf die | |
Einträge in der Polizeidatenbank und das mögliche Vermummungsmaterial. Ob | |
die Demonstranten in Salzburg aber tatsächlich Straftaten vorhatten, bleibe | |
letztlich „eine subjektive Frage, die in die ausschließliche Sphäre des | |
Betroffenen fällt“. | |
Als „schwammige polizeiliche Spekulation“, kritisiert das Jelpke. Und die | |
Linken-Politikerin verweist auch auf die „chronisch unzuverlässigen | |
Polizeidateien“. So wurden etwa beim G20-Gipfel in Hamburg im vergangenen | |
Jahr mehreren Journalisten die [3][Akkreditierung entzogen], weil diese | |
fehlerhaft in einer BKA-Datenbank vermerkt waren. Jelpkes Fazit: „Offenbar | |
ging es darum, linke Demonstranten zu schikanieren und ihnen ihr | |
Demonstrationsrecht zu nehmen.“ Diese Praxis müsse „grundsätzlich | |
überprüft“ werden. | |
## „Genereller Trend hin zu mehr Repression“ | |
Die Bundesregierung hat dagegen bis heute nichts an dem Einsatz zu | |
bestanden. Es gebe „keinen Anlass, die Rechtmäßigkeit der von der | |
Bundespolizei getroffenen Maßnahmen anzuzweifeln“, heißt es dort. | |
Für das Bündnis gegen das bayrische Polizeigesetz steht der Fall indes für | |
einen „generellen Trend hin zu mehr staatlicher Repression, der in Bayern | |
besonders ausgeprägt ist“. Zwar seien die Ingewahrsamnahmen nicht mit dem | |
neuen bayrischen Polizeigesetz begründet worden, das den Beamten dort nun | |
weite Spielräume gewährt, darunter die Verhängung von Präventivhaft für | |
Gefährder. Hier aber zeige sich, „wohin die ständige Ausweitung von | |
Überwachung und Kontrolle führen kann“. | |
Eine Premiere indes war der Polizeieinsatz nicht. Schon beim [4][G20-Gipfel | |
in Hamburg] wurde die Bundespolizei ähnlich aktiv, nur andersherum: Damals | |
verweigerten die Beamten 62 ausländischen Demonstranten die Einreise nach | |
Deutschland. Auch dies erfolgte präventiv – mit dem Vorwurf, die Männer und | |
Frauen planten bei den Gipfelprotesten Gewalttaten. | |
14 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/64017/4068326 | |
[2] /Verschaerfte-Polizeigesetze-in-den-Laendern/!5547223 | |
[3] /Pannen-der-Polizei-beim-G20-Gipfel/!5456018 | |
[4] /G20-Sonderausschuss-in-Hamburg-endet/!5525262 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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