# taz.de -- Anne Frank-Ausstellung für Jugendliche: „So konstant ist die Eri… | |
> „Alles über Anne“ will Jugendliche für Antisemitismus auf dem Schulhof | |
> sensibilisieren, erzählt Veronika Nahm vom Anne Frank Zentrum. | |
Bild: Anne Franks Tagebuch als Tastkopie mit Brailleschrift | |
taz: Frau Nahm, Sie sind Leiterin der neuen ständigen Ausstellung. Warum | |
fokussiert sich die Erinnerung so stark auf Anne Frank? Es gibt doch viele | |
Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus, die es wert wären, | |
erzählt zu werden. | |
Veronika Nahm: So konstant ist die Erinnerung an Anne Frank gar nicht, wie | |
man denken möchte. Das Tagebuch wird immer wieder von Rechten als gefälscht | |
bezeichnet. Auch die AfD missbraucht ihr Andenken, genauso wie das der | |
Geschwister Scholl – von wegen „heute hätten sie AfD gewählt“. Außerdem | |
gibt es zu Anne Frank einfach eine sehr gute Quellenlage. Zu anderen | |
jüdischen Kindern findet man kaum Dokumente und Fotos – von Anne Frank gibt | |
es über 400 Fotos. Eben weil ihr Vater einen Fotoapparat hatte und alles | |
gut erhalten ist. | |
Und das Tagebuch selbst? | |
Das Tagebuch an sich ist einzigartig. Sie hat eben nicht nur über ihren | |
Alltag und den historischen Kontext geschrieben, den sie aus den Medien | |
kannte, sondern auch über ihre Innenwelt, Gefühle und ihre Identität. | |
Warum braucht das Anne Frank Zentrum jetzt eine neue Ausstellung? | |
Ein wichtiger Grund war weitgehende Barrierefreiheit. Die alte Ausstellung | |
stand zwölf Jahre lang, damals waren wir schon froh, dass wir einen | |
Fahrstuhl hatten. Aber blinde und taube Menschen oder Menschen mit anderen | |
besonderen Bedürfnissen konnten die Ausstellung gar nicht rezipieren. | |
Wie sind Sie das Projekt Barrierefreiheit angegangen? | |
Zum Beispiel sind die Texte in sogenannter klarer Sprache geschrieben, die | |
von Ohrenkuss entwickelt wurde, einer Organisation für Menschen mit | |
Lernschwierigkeiten. Der Unterschied zu leichter Sprache ist, dass wir den | |
Menschen mehr zutrauen, wenn sie etwas wirklich interessiert. Deshalb gibt | |
es ein Glossar, das zum Beispiel Begriffe wie Hitlerjugend näher erklärt. | |
So konnten wir auf Menschen mit unterschiedlichem Kontextwissen eingehen. | |
Außerdem gibt es bei den meisten Stationen Tastobjekte für blinde Menschen, | |
und auch Schüler*innen aus fünften und sechsten Klassen wurden durch | |
Workshops eingebunden. | |
In Berlin gibt es so viele Institutionen, die sich mit der Zeit des | |
Nationalsozialismus auseinandersetzen. Was ist das Besondere des Anne Frank | |
Zentrums? | |
Wir sind berlinweit tatsächlich die einzige Ausstellung, die sich explizit | |
an Kinder, Jugendliche und Familien richtet und sogar Jugendliche als | |
Ausstellungsbegleiter einbindet. Unsere Flyer liegen beispielsweise beim | |
Denkmal für die ermordeten Juden aus, denn diese Ausstellung ist nicht für | |
Kinder geeignet, die ist zu abstrakt. Wir aber stellen die Biografie von | |
Anne Frank in den Mittelpunkt. Sie ist der rote Faden durch den komplexen | |
Kontext. | |
Den meisten Jugendlichen müsste die Geschichte von Anne Frank aber bereits | |
bekannt sein, viele lesen das Tagebuch in der Schule. Was kann eine | |
Ausstellung da überhaupt Neues bieten? | |
Wenn das Tagebuch in der Schulzeit gelesen wird, dann meist im | |
Deutschunterricht. Der historische Kontext ist dann höchstens eine Lesart. | |
Zum anderen sind den Schüler*innen oft die Gegenwartsbezüge nicht | |
bewusst. Sie denken: „Hä, das ist doch total lange her, was hat das mit | |
heute zu tun?!“ Und das ist auch unsere Frage hier. | |
Wie gehen Sie dieser Frage nach? | |
Wir zeigen nicht nur antisemitische Angriffe gegen die Familie Frank | |
damals, sondern haben auch mit der Recherche- und Informationsstelle | |
Antisemitismus, kurz Rias, zusammengearbeitet. Es ist wichtig, aktuelle | |
Beispiele aus dem Umfeld der Schüler*innen zu bringen. | |
Wollen Sie die Kinder und Jugendlichen mit der Ausstellung politisieren? | |
Wir machen ja historisch-politische Bildungsarbeit. Dabei haben wir einen | |
klaren politischen Schwerpunkt auf Antidiskriminierung. Heute ist aber das | |
Erinnern an sich schon politisch: Erinnerung ist fragil. Wir wollen den | |
Jugendlichen aber nicht immer sagen: So, und was bedeutet das jetzt für | |
heute? Da kommen sie schon selbst drauf und fragen sich vielleicht: Warum | |
gab es Menschen, die damals geholfen haben, wenn das doch voll gefährlich | |
war?! | |
Wie gehen Sie mit Schüler*innen um, die sagen: Wir machen doch in der | |
Schule schon die ganze Zeit Nationalsozialismus? | |
Ja, da beschweren sich viele. Auch wenn das gar nicht stimmen muss, sollte | |
man sich fragen: Woher kommt dieses Gefühl? Zum einen ist es für viele | |
Erwachsene ein emotionales Thema, bei dem sie sich nicht trauen, alles zu | |
fragen. Zum anderen ist das Thema oft überladen mit moralischen Ansprüchen. | |
Wir gehen nicht davon aus, dass die Jugendlichen nach dem Besuch im Zentrum | |
sofort die Welt verändern, wir wollen sie aber inspirieren. | |
17 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
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