# taz.de -- Umweltschutz-Debatte in der SPD: Wie grün dürfen die Roten werden? | |
> SPD-Umweltpolitiker und die Basis fordern mehr Klimaschutz von ihrer | |
> Partei. Doch die Führung bremst, um nicht die letzten Anhänger zu | |
> verlieren. | |
Bild: Ein mutiges Outfit gibt es schon: Beim Debattencamp in Berlin will die SP… | |
Hannover/Berlin taz | Es ist ein Zufall, aber was für einer: Als | |
Ernst-Ulrich von Weizsäcker an diesem sonnigen Septembersamstag ans | |
Rednerpult tritt, zeigt die Uhr vier Minuten nach zwölf. Von Weizsäcker, | |
79, das grüne Gewissen der SPD, spricht in der Albert-Einstein-Schule in | |
Hannover-Laatzen eindringlich über Umweltzerstörung. Er hat die | |
Öko-Thinktanks Club of Rome und Wuppertal Institut geleitet und für die SPD | |
unter Rot-Grün im Bundestag gesessen. Jetzt warnt er vor den „riesigen | |
Problemen mit Klima, Artenverlust und Ozeanen, die man noch nicht so | |
spürt.“ Deswegen kümmere sich kaum jemand darum. Auch seine SPD nicht. | |
Es ist eben vier nach zwölf. Für die Umwelt sowieso. Und vielleicht auch | |
für die SPD. | |
In Laatzen berät die SPD, wie es weitergehen soll. Eingezwängt in die | |
gehasste Groko in Berlin, deprimiert von schlechten Umfragen, auf der Suche | |
nach Ideen für das neue Parteiprogramm. Eingeladen hat Matthias Miersch, | |
Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion, hier ist sein Wahlkreis. Er sagt: | |
„Bestimmte Fragen haben wir nie geklärt. Das müssen wir dringend | |
nachholen.“ Er meint damit Klimaschutz und Umwelt. | |
Miersch steht vor einer roten Wand mit SPD-Logo in seiner alten Schule. In | |
dieser Aula hat er vor 30 Jahren sein Abiturzeugnis in die Hand gedrückt | |
bekommen. Heute geht es um die Reifeprüfung für seine Partei. Er nennt die | |
Debatten „Wennigser Gespräche“. In Wennigsen, gleich um die Ecke, wurde | |
1945 die SPD wiedergegründet. Mehr Symbolik geht nicht. | |
## Die Basis will eine klare Linie | |
„Die SPD stand immer für den Fortschritt“, sagt der jugendlich wirkende | |
49-Jährige. Er zitiert Umfragen, die besagen, dass für SPD-Mitglieder die | |
Themen Umwelt und Klimawandel nach Jobs an zweiter Stelle stehen. Er | |
sammelt Unterstützer, sie führen eine Kampagne, die sich zu einem Aufstand | |
gegen die Parteioberen ausweitet. Denn die Sozialdemokraten sind bei dieser | |
Frage tief gespalten. Soll sich die Partei der Arbeit ernsthaft für die | |
Ökologie öffnen? Fragt man die 120 Besucher in Laatzen, ist die Antwort: | |
ja. Anderswo ist das nicht so klar. | |
Eigentlich, sagt Miersch, sei die SPD die ideale Partei, um die Aspekte der | |
Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Ökologie, Soziales – umzusetzen. In der Praxis | |
ist das Gegenteil der Fall: „Keine Partei scheint bei dem Thema so | |
zerrissen wie wir.“ | |
Stephan Weil, der SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen, sagt es so: „Wir | |
dürfen Umweltpolitik nicht nur durch die Ökobrille sehen.“ Auch Weil ist | |
nach Laatzen gekommen. Er kritisiert die Konservativen („denken nicht ans | |
Klima“) und die Grünen („stoppen die Kohle, denken erst später an die | |
Folgen“) und ist dann bei seinem eigentlichen Thema: der Autoindustrie. Die | |
dürfe man nicht überfordern. „Da sind Matthias Miersch und ich nicht einer | |
Meinung. Es ist nicht gut, erst CO2-Ziele festzulegen und dann zu fragen, | |
wie das gehen soll.“ Stephan Weil regiert ein Land mit Tausenden gut | |
bezahlter Jobs bei VW. Da sitzt er auch im Aufsichtsrat. Das Sein bestimmt | |
das Bewusstsein. | |
Hier die Ökos, da die Betriebsräte. „Es gibt in der Umweltpolitik keine | |
Klarheit in der SPD“, sagt auch Barbara Hendricks, Exumweltministerin. | |
Klarheit aber hätte die Basis gern beim SPD-„Debattencamp“. Am vorigen | |
Wochenende haben sich etwa 200 Interessierte ins ehemalige Funkhaus in | |
Berlin-Köpenick gedrängt. Der Putz blättert dort von der Wand, das Licht | |
ist diffus, die SPD will Mut und Ideen tanken. Eine Stunde lang geht es um | |
Klimaschutz, die anwesende Basis ist eindeutig öko-rot: Kostenloser | |
Nahverkehr, Subventionen für Diesel streichen, ein Preis aufs CO2, alles | |
Konsens. | |
## Martin Schulz verzichtete auf ein Ökoprofil | |
Kai Niebert sitzt auf dem Podium. Der junge Chef des Deutschen | |
Naturschutzrings ist Sozialdemokrat und einer von Mierschs Verbündeten. Er | |
fordert unter großem Beifall: „Die SPD muss in der Umweltpolitik wieder | |
Eier haben.“ Auf dem Tisch liegt ein Aufruf: „Umwelt- und Klimaschutz, | |
soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft zusammendenken!“ Darin | |
fordern 45 SPD-Umweltpolitiker von ihrer Partei: „Die ökologischen Grenzen | |
sind unverrückbar.“ Der Übergang zu einer „postfossilen, nachhaltigen | |
Entwicklung“ biete große Chancen für neue und nachhaltige Beschäftigung“. | |
Alles keine Ökorevolution, aber für manche Sozis starker Tobak. Ein Mann | |
aus dem Publikum ruft ins Mikro: „Der Parteivorstand ist noch nicht so weit | |
wie die Gesellschaft.“ | |
Die Sozialdemokraten sitzen zwischen Baum und Borke. Sie stellen mit | |
[1][Svenja Schulze die Umweltministerin] in einer Koalition, die das | |
Klimaziel für 2020 aufgibt, schlecht die Energiewende managt und die | |
Autokonzerne schützt. Im letzten Wahlkampf verzichtete Kanzlerkandidat | |
Martin Schulz auf jedes Ökoprofil. In der Fraktion fehlt ein Schwergewicht | |
zu diesen Themen, wie es unter Rot-Grün Hermann Scheer war, der das | |
„Erneuerbare Energien-Gesetz“ durchs Parlament boxte. Generalsekretär Lars | |
Klingbeil meint, als Volkspartei müsse man „ein überzeugendes Angebot für | |
die Mehrheit machen, also auch bei Umwelt- und Klimapolitik“. | |
Allerdings wehrt sich die SPD-Führung schon lange dagegen, „grüner zu sein | |
als die Grünen“, wie Altkanzler Gerhard Schröder sagt. Sigmar Gabriel, auch | |
mal Umweltminister, meint, „Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal | |
wichtiger als Industriearbeitsplätze“. Brandenburgs SPD-Ministerpräsident | |
Dietmar Woidke hängt an der Kohle und warnt in dramatischen Worten vor der | |
Machtübernahme der AfD. | |
Und SPD-Chefin Andrea Nahles brüskiert die Ökos, wenn sie sagt, für eine | |
„Blutgrätsche gegen die Braunkohle steht die SPD nicht zur Verfügung.“ | |
Nicht zuletzt stemmt sich Michael Vassiliadis, Chef der mächtigen | |
Gewerkschaft IGBCE und bestens in der SPD verdrahtet, gegen mehr Grün im | |
Rot. Ein Kohleausstieg koste Arbeitsplätze, er glaube nicht an einen | |
CO2-Preis, sondern eher an staatliche Interventionspolitik und mehr | |
Innovation. | |
## Wirklich mal was Neues | |
[2][Beim Debattencamp] nennt sich Vassiliadis selbstironisch „Darth Vader“. | |
„Der wurde am Ende auch bekehrt“, entgegnet Niebert. Die grünen Roten | |
wollen einen Kohleausstieg mit der Botschaft an die Regionen: „Wir lassen | |
euch nicht allein.“ Sie wollen ein Ende für den Verbrennungsmotor um 2030 | |
und Zukunftsjob bei E-Autos. Die Sanierung der Gebäude solle die Mieten | |
nicht weiter hochtreiben, eine gute alte SPD-Forderung. Und sie fordern ein | |
„riesiges, in sich stimmiges Investitionsprogramm“, so Niebert. | |
Falls das geplante Klimaschutzgesetz im nächsten Jahr nicht vernünftig | |
werde, entscheide sich auch daran das Schicksal der Koalition, warnt | |
Matthias Miersch. Das wäre wirklich mal was Neues: Wenn die | |
Sozialdemokraten eine Regierung wegen Umweltfragen platzen ließe. | |
Ob es der SPD in Neuwahlen helfen würde, steht auf einem anderen Blatt. Im | |
September fragte der ARD-„Deutschlandtrend“ danach, welche Partei „gute | |
Umweltpolitik betreibt“. Die Grünen bekamen 61 Prozent. Die SPD bekam 6. | |
19 Nov 2018 | |
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[1] /Einsatz-von-Glyphosat/!5545236 | |
[2] /SPD-Debattencamp-in-Berlin/!5547028 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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