| # taz.de -- SPD nach Hessen-Wahl: Es wird keinen Bernie Sanders geben | |
| > Peer Steinbrück will einen Politiker wie Bernie Sanders an der Spitze | |
| > seiner Partei. Nur: Die verkrusteten Parteistrukturen lassen das nicht | |
| > zu. | |
| Bild: Links des US-Demokratenmainstreams: Bernie Sanders | |
| Die untergehende [1][SPD] wieder schwimmfähig machen. Zu den vielen | |
| Stimmen, die wissen, was nun zu tun ist, mischen sich jene, denen die | |
| Rettung selbst nicht gelungen ist. Dazu gehören Ex-Parteichef Sigmar | |
| Gabriel und neuerdings auch Peer Steinbrück. | |
| In einem Interview mit der [2][Süddeutschen Zeitung] schlägt der erfolglose | |
| Kanzlerkandidat von 2013 (25,7 Prozent) eine plausible Lösung für das | |
| Schlamassel der Deutschen Sozialdemokratie vor. Die SPD braucht laut | |
| Steinbrück an der Spitze eine „Person wie Bernie Sanders, nur 30 Jahre | |
| jünger“. | |
| Sanders ist parteiloser US-Senator, bezeichnet sich selbst als Sozialist | |
| und hätte in den Vorwahlen für die US-Präsidentschaftswahl 2016 fast die | |
| Nominierung der Demokraten gewonnen. [3][Mit klar linker Politik] trieb | |
| Sanders seine Vorwahlgegnerin, die zentristische Ex-Außenministerin Hillary | |
| Clinton lange vor sich her, bis sie schließlich halbherzig einige seine | |
| Forderungen, wie die nach einem deutlich höheren nationalen Mindestlohn, | |
| übernehmen musste. | |
| Doch wer in der SPD könnte die Rolle eines Bernie Sanders bekleiden? Der | |
| US-Politiker aus Vermont ist 77 Jahre alt – eine 30 Jahre jüngere Version | |
| des Linksaußen müsste also um die 47 Jahre alt sein. Das trifft zum | |
| Beispiel auf Justizministerin Katarina Barley (49) zu. Oder auf die | |
| mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (44). In der | |
| Männerriege sind die bekannteren SPDler entweder zu jung wie der Juso | |
| Vorsitzende Kevin Kühnert (29) oder zu alt, wie Heiko Maas (52). Nähe zum | |
| Sozialismus zeigen alle nicht. | |
| ## Unüberwindbare Hierarchien | |
| Doch die Idee eines jugendlichen deutschen Bernie Sanders scheitert nicht | |
| ursächlich an der Altersstruktur prominenter Sozialdemokraten, sondern an | |
| der Partei selbst und ihren Strukturen. | |
| Sanders sitzt zwar seit 27 Jahren im US-Kongress, war aber dort stets | |
| Außenseiter und nicht formell Mitglied der Demokraten, auch wenn er sich in | |
| Senat und Repräsentantenhaus jeweils der demokratischen Fraktion anschloss. | |
| Sanders steht bei den meisten Themen substanziell links des | |
| Parteimainstreams. | |
| Er will Großbanken aufspalten und Kapitalerträge der reichsten | |
| US-Amerikaner stärker besteuern. Er will Genossenschaften als | |
| Unternehmensform fördern und stärker gegen Steuerflucht vorgehen. Und was | |
| viel wichtiger ist: Er greift die eigene Partei an, die sich seiner Meinung | |
| in vielen Themen nicht klar genug positioniert. | |
| Schon daran würde jeder SPD-Politiker ab einer gewissen Hierarchiestufe | |
| scheitern. Denn aus Angst vor mangelnder Geschlossenheit jubelt auch die | |
| zweite Reihe regelmäßig dem jeweiligen Parteivorstand zu. Innerpolitische | |
| Aufstiegsmöglichkeiten ergeben sich meist nur durch Anhängerschaft und | |
| nicht durch Gegnerschaft zu den jeweiligen Parteioberen. | |
| Das zeigte sich zum Beispiel bei der „Übergabe“ des Parteivorsitzes von | |
| Martin Schulz an Andrea Nahles im vergangenen Jahr. Die halbherzige | |
| Opposition gegen die im kleinen Kreis getroffene Nachfolge kam | |
| hauptsächlich von eher unbekannten Politikern. Ein taz-Kollege schrieb | |
| [4][kürzlich treffend]: „Die SPD sozialisiert ihre Führung dazu, Fehler zu | |
| beklatschen.“ | |
| ## Mut zur Gegnerschaft | |
| Ein SPD-Sanders müsste sich explizit gegen die Führung der eigenen Partei | |
| und gegen den inhaltlichen Mainstream positionieren. Wer das in der SPD | |
| macht, wird allerdings innerparteilich marginalisiert. Einen | |
| [5][schlagkräftigen linken Flügel] gibt es seit dem Abgang Oscar | |
| Lafontaines vor fast 20 Jahren nicht mehr. Wahrnehmbar ist derzeit nur der | |
| Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert. | |
| Denn wer in der SPD etwas werden will, muss sich innerhalb des | |
| Parteiapparats bewegen können. Das liegt nicht zuletzt auch am politischen | |
| System in Deutschland. In den USA gilt ein ausgeprägtes Personenwahlrecht. | |
| Heißt: Es werden einzelne Politiker gewählt und nicht Parteien. Das | |
| erleichtert Außenseitern wie Sanders sich individuell zu profilieren. | |
| In Deutschland werden Mandate stärker über Parteilisten vergeben. Wer sich | |
| für ein Direktmandat – zum Beispiel im Bundestag – bewirbt, benötigt in d… | |
| meisten Fällen ebenfalls die Rückendeckung seiner Partei. Das macht es | |
| Außenseitern schwer, sich als innerparteiliche Gegenstimme zu etablieren. | |
| Bei der SPD ist dieses Phänomen besonders stark ausgeprägt. Während nach | |
| [6][Angela Merkels Rückzugsankündigung] gleich drei Kandidaten für den | |
| CDU-Parteivorsitz ([7][Kramp-Karrenbauer, Merz, Spahn]) mit individuellen | |
| Profilen ihre Kandidatur bekannt gaben, [8][stellte sich gegen Nahles] nur | |
| die [9][Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange] zur Wahl, die bis | |
| dahin nur in Schleswig-Holstein bekannt war. | |
| Es mangelt in der SPD also an profilierten inhaltlichen Abweichlern. Wie | |
| könnte sich das ändern? Ein erster Schritt wäre die Urwahl des | |
| Parteivorsitzenden. Die hat bei der britischen Labourpartei zum Beispiel | |
| zur Wahl des linken Außenseiters [10][Jeremy Corbyn] geführt. Eine Urwahl – | |
| auch für andere Parteiämter – könnte mögliche linke SPDler dazu ermutigen, | |
| sich stärker gegen die Parteiführung zu stellen. | |
| Zweitens sollte sich die SPD von der Idee verabschieden, mit einer Stimme | |
| sprechen zu wollen, denn das ist im Zweifel eher die Stimme der moderaten | |
| Langweiler. Wie Bernie Sanders sollten die wenigen profilierten | |
| Linkspolitiker in der SPD zu jeder Initiative der Großen Koalition oder der | |
| Parteispitze einen durchdachten Gegenentwurf vorlegen. | |
| Das Beispiel Sanders zeigt, dass innerparteiliche Opposition und ein | |
| konsequenter Linkskurs auch bei den Wählern gut ankommen. Selbst Peer | |
| Steinbrück scheint das zu erkennen. | |
| 31 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!t5008456/ | |
| [2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steinbrueck-interview-spd-1.4192199?… | |
| [3] /Debatte-US-Demokraten-im-Wahlkampf/!5525208 | |
| [4] /Kommentar-zur-Sozialdemokratie/!5543275 | |
| [5] /Linke-in-der-SPD/!5449202 | |
| [6] /Merkels-geplanter-Ausstieg-aus-der-Politik/!5543717 | |
| [7] /CDU-nach-Merkels-Rueckzugserklaerung/!5546607 | |
| [8] /Neue-SPD-Vorsitzende-Andrea-Nahles/!5500147 | |
| [9] /Kolumne-Macht/!5497660 | |
| [10] /!t5224506/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Wimalasena | |
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