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# taz.de -- Kulturrevolution im Freistaat: Bayern sind anders, sowieso
> Wer den Freistaat kennt, wundert sich nicht über das Wahlergebnis: In
> Bayern hat über die Jahrzehnte eine leise Revolution stattgefunden.
Bild: Zeichen der Zeit erkannt: Markus Söder bei der „Fastnacht in Franken�…
Es war an einem Nachmittag im August, als mir ein Pfarrer eine Geschichte
erzählte, die als typisch gelten kann für diesen bayerischen Vorwahlsommer.
Er hatte einem Mann die Beichte abgenommen und ihn entlassen: „Geh hin in
Frieden.“ Die Beichte war vorbei. Da sagte der Mann, er habe noch eine
Frage. Seit Jahrzehnten sei er CSU-Wähler. Jetzt wisse er aber nicht mehr,
wen er wählen solle. Der Pfarrer antwortete, da hätten sie ja was gemein.
Bis Sonntag konnte die CSU unangefochten behaupten, sie und Bayern seien
quasi synonym. Dem war noch nie so, aber jetzt bestätigt ein amtliches
Endergebnis, [1][dass dem nicht so ist]. In Bayern hat über die Jahre eine
leise Revolution stattgefunden.
Viele Nichtbayern haben ein skurriles Bayernbild. Man weiß vielleicht,
dass Bayern nicht wegen seiner Landwirtschaft, sondern wegen seines
Portfolios an vielen mittelständischen und einigen großen Unternehmen ein
reiches Land ist. Will aber trotzdem glauben, die Bayern seien ein
traditionsbewusstes, mehrheitlich katholisches und konservatives Völkchen.
Das stimmt auch. Traditionsbewusstsein, Katholizismus und ein konservatives
Weltbild sind in Bayern aber mit einer Eigensinnigkeit verbandelt,
weswegen es nicht verwundert, dass sich viele Bayern selbst einen
anarchistischen, freisinnigen Charakter attestieren. Selbst eine
CSU-Karrierefrau wie Dorothee Bär erzählt gern, als junge Frau sei sie Punk
gewesen.
## Als die Provinz noch Provinz war
Der Bayer ist traditionsbewusst und liebt die moderne Welt. Er ist
katholisch, lässt den Papst aber einen guten Mann sein. Die Bayerin ist
konservativ und wählt grün: Weil die CSU die Partei der EU-Subventionen für
Industrielandwirtschaft und der Dobrindt viel zu nachsichtig mit den
Dieselbetrügern gewesen ist.
Als die bayerische Provinz noch Provinz war – heute ähneln viele
Kleinstädte und Dörfer eher Vorstädten mit Autobahnanschluss –, entwickelte
sich auch hier eine Gegenkultur, die über die Jahre in die Gesellschaft
ausgestrahlt und sie verändert hat. Manche haben sich gewundert, dass auf
der Münchner „Ausgehetzt“-Demo Nonnen mitliefen. Sie haben keine Ahnung vom
heutigen Bayern.
Wer verstehen will, was sich verändert hat, sollte die hervorragende
TV-Serie „Irgendwie und sowieso“ von Franz Xaver Bogner anschauen. In einer
Schlüsselszene sitzt Ottfried Fischer als „Sir Quickly“ nachts im
Glockenturm einer Kirche. Es sind die Sechziger. Der junge Mann hat genug
von seinem Nazivater und beschallt den Ort mit einem Stones-Song: „I can’t
get no satisfaction.“ Die lauten Echos dieser Szene konnte man am Sonntag
hören.
18 Oct 2018
## LINKS
[1] /Nach-der-Landtagswahl-in-Bayern/!5540776
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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