| # taz.de -- Markus Söders Kreuzerlass: Wie im Himmel, so in Bayern | |
| > Ab Juni sollen in bayerischen Amtsstuben Kreuze hängen. So will es Markus | |
| > Söder. Und vielen Leuten gefällt das auch noch. Warum? | |
| Bild: Das Kreuz auf dem Gipfel des Schafreuters wurde mehrmals gefällt und wie… | |
| ANZING/EGGSTÄDT/MÜNCHEN taz | An einem Spätsommertag des Jahres 2016 hatte | |
| sich jemand am Gipfelkreuz des Schafreuters, eines Bergs an der Grenze zu | |
| Österreich, vergangen. Der Hauptstamm des Kreuzes, fünf Meter hoch, drei | |
| Meter breit, war bis zur Hälfte durchgehackt worden. Die Polizei musste das | |
| Kreuz fällen. | |
| Der Gipfelkreuzhacker hatte zugeschlagen. Wieder einmal. | |
| An Pfingsten hatte er das Kreuz von der Dudl-Alm erwischt. | |
| Am 30. Juli das Kreuz vom Prinzkopf. | |
| Am 1. August das Kreuz vom Lärchkogel. | |
| Und jetzt den Schafreuter. | |
| Der mutmaßliche Täter war von Zeugen beobachtet worden: ein Mann mit | |
| schwarzen Haaren und Kapuze. Möglicherweise ein Schweizer Freidenker, ein | |
| Christenhasser, so erste Recherchen der Polizei Bad Tölz. Doch der Täter | |
| wurde nicht gefasst. | |
| Stattdessen stellte die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ ein neues | |
| Gipfelkreuz auf und forderte auf Facebook „Respekt für unsere christlichen | |
| Werte und bayerischen Traditionen“. Der Alpenverein nahm es ab, es war | |
| nicht wetterfest. Und stellte ein neues auf. Ein Unbekannter sägte dieses | |
| Kreuz an. Ein Unbekannter fällte es ganz. Der Alpenverein reparierte das | |
| Kreuz mit Stahlschienen. Seitdem ist Ruhe. | |
| Früher war das Kreuz in Bayern eine Selbstverständlichkeit, als Feldmarterl | |
| stand es am Wegesrand, als Kruzifix hing es in Schulen und Gerichtssälen, | |
| keiner störte sich daran. Jetzt ist das Kreuz, vereinnahmt von Wanderern, | |
| Rechtsextremen, Atheisten und der CSU, Symbol eines Kulturkampfes geworden. | |
| ## Warum macht die CSU so einen Schmarrn? | |
| Am 24. April 2018 entschied die Staatsregierung, dass ab Anfang Juni in den | |
| Eingangsbereichen aller Landesbehörden des Freistaates Bayern gut sichtbar | |
| ein Kreuz hängen solle, als „Bekenntnis zur Identität“ und „kulturellen | |
| Prägung Bayerns“. Das Kreuz, so Ministerpräsident Markus Söder, sei „nic… | |
| ein Zeichen einer Religion“, es stehe für elementare Werte wie | |
| Nächstenliebe, Menschenwürde und Toleranz. Söder hängte dann gleich am | |
| Eingang der Staatskanzlei ein Kreuz auf, gesegnet durch den früheren | |
| Kardinal von München, Friedrich Wetter. Überall waren Kameras. Söder sah | |
| dabei ein bisschen wie ein Vampirjäger aus, warf ihm später der ebenfalls | |
| gläubige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, | |
| vor. | |
| Ziemlich viele Leute nördlich des Frankenwaldes und westlich der Donau | |
| fragen sich: Warum macht die CSU schon wieder so einen Schmarrn? | |
| Peter Gauweiler lässt sich ein bisschen Zeit, bevor er darauf antwortet. | |
| „Angenommen, ein Reporter der taz wechselt in die Politik“, sagt Gauweiler, | |
| er war mal CSU-Abgeordneter, bayerischer Umweltminister und Leiter der | |
| Münchner Sicherheits- und Ordnungsbehörde. „Und will Bürgermeister werden, | |
| in seiner Heimat, mit einem emanzipatorisch durchsäuerten Programm.“ Das R | |
| in „emanzipatorisch“ grummelt. „Wenn er es geschafft hat, dann hängt er … | |
| dem Rathaus eine Regenbogenfahne auf. Das ist euer Zeichen.“ | |
| Pause. Gauweiler grinst. | |
| „Ich fände das irgendwie großartig! Einerseits. Andererseits würde ich mich | |
| trotzdem aufregen und mein Kreuz dagegen halten. Aber solche gefühlsstarken | |
| Reaktionen machen den Menschen zum Menschen. Des san wir halt.“ | |
| Peter Gauweiler ist 68 Jahre alt, seit 2015 sitzt er nicht mehr im | |
| Bundestag. Er hat nichts zu verlieren, und er hatte nie Probleme, sich mit | |
| seiner Partei anzulegen. Aus seiner Zeit bei der Münchner Stadtverwaltung | |
| nahm er einen CSU-typischen Ruf als Law-and-Order-Politiker mit, | |
| kritisierte aber auch den Bundeswehreinsatz im Kosovo, klagte gegen den | |
| Vertrag von Lissabon und hatte 2009 mit Oskar Lafontaine einen | |
| Links-rechts-Renegaten-Bierzeltauftritt am Münchner Nockherberg. | |
| ## Reflexe in Bayern und in Preußen | |
| Was ist mit der Trennung von Staat und Kirche? Gauweiler spricht über | |
| „deklaratorische Festlegungen des Staates“: Osterferien. Weihnachtsferien. | |
| Schutz der Feiertage. Tanzverbote an Karfreitag und Karsamstag. „Diese | |
| Prägung gehört zur gesellschaftlichen Grundordnung“, sagt Gauweiler. „Und | |
| eine politische Formation wie wir wird gewählt, um dieses Prinzip zu | |
| verteidigen, wenn es schwach wird.“ | |
| Gauweiler sieht wirklich so aus, wie man ihn von Karikaturen kennt: | |
| Schnauzer, mächtige Augenbrauen, die sein Gesicht in zwei Hälften teilen, | |
| Trachtenjanker. Er trägt fliederfarbene geriffelte Socken. Aus dem Fenster | |
| seines Büros sieht man den Bayerischen Hof, auf dem Fensterbrett steht ein | |
| Foto von Leo Kirch, den Gauweiler im Prozess gegen die Deutsche Bank | |
| vertreten hat. | |
| Gauweiler, als begnadeter Populist bekannt, freut sich über die Diskussion | |
| über Söders Kreuzerlass. Endlich mal wieder ein großes innenpolitisches | |
| Thema. Keine Baustellendiskussion, sondern die großen Fragen: „Woher? Und | |
| vielleicht auch: wohin?“ | |
| Wie immer, wenn in Bayern Wahlkampf ist, beschäftigte das bald die ganze | |
| Republik. Söder hatte sein Kreuz gerade erst aufgehängt, als er in der | |
| Frankfurter Rundschau zum „Kreuzzügler“ erklärt wurde und Twitter-Nutzer | |
| auf einem Foto das Kreuz in Söders Händen durch einen Dildo, Joint oder | |
| Lauch ersetzten. Man konnte beinahe in Echtzeit einen antibayerischen | |
| Reflex außerhalb Bayerns beobachten und einen darauf folgenden | |
| antipreußischen Reflex in Bayern. So weit, so kalkuliert. | |
| Sicher rechnete die CSU auch mit der Zustimmung der Kirche. Als das | |
| Bundesverfassungsgericht 1995 Teile der bayerischen Grund- und | |
| Volksschulordnung für nichtig erklärte, die vorschrieben, dass Kreuze in | |
| Klassenzimmern zu hängen hatten, organisierte die katholische Kirche eine | |
| Demo. Mehr als 25.000 Menschen versammelten sich auf dem Münchner | |
| Odeonsplatz, Bauern, Handwerker, fünfzehn katholische Bischöfe, Nonnen und | |
| Priester, viele hatten Holzkreuze dabei. Ihr Motto: „Das Kreuz bleibt“. | |
| Ministerpräsident Edmund Stoiber und fast das halbe Kabinett waren auch | |
| dabei. | |
| ## Die Kirche wehrt sich | |
| Der Beschluss aus Karlsruhe änderte wenig, die Kreuze in bayerischen | |
| Schulen blieben. In Gerichtssälen hängen ebenfalls welche, wenn auch nicht | |
| vom Gesetz vorgeschrieben. | |
| 2018, nach dem Kreuzerlass von Markus Söder, ist die Kirche kritischer. | |
| Die erste christliche Stimme, die sich in die Debatte einklinkte, war die | |
| des Würzburger Hochschulpfarrers Burkhard Hose. Er schrieb einen offenen | |
| Brief an Markus Söder und veröffentlichte ihn auf Facebook: „Ich bitte Sie | |
| eindringlich: Beenden Sie den Missbrauch des Christlichen und seiner | |
| Symbole als vermeintliches Bollwerk gegen den Islam.“ Ein paar Tage später | |
| sagte Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz | |
| und damit der oberste Katholik Deutschlands, in einem Interview: „Es steht | |
| doch dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeutet.“ Es sei nie | |
| das Symbol für ein bestimmtes Land oder eine Kultur. | |
| Peter Gauweiler spielt die Entfremdung zwischen der CSU und der Kirche | |
| herunter: „Diese Aktion von Markus Söder hat die Verbindung mit der | |
| Basiskirche wahnsinnig gestärkt.“ Gauweiler, sehr braun gebrannt übrigens, | |
| erzählt von einem Ausflug Anfang Mai nach Bichl bei Bad Tölz; dort trafen | |
| sich die Gebirgsschützenkompanien. Er zeigt Fotos auf seinem Handy. Reihe | |
| hinter Reihe hinter Reihe von Trachtlern, 4.500 Leute waren da, der Himmel | |
| mehr blau als weiß, und der Bischof von Augsburg hielt eine Rede, in der er | |
| sich sehr bedankte bei Markus Söder für den Kreuzbeschluss. Riesenbeifall, | |
| sagt Gauweiler. | |
| Er glaubt, die Kritik der Kirche kam nur von vereinzelten, mächtigen | |
| Stimmen. Die Mehrheit sei für den Kreuzerlass. Doch selbst in der CSU war | |
| Söders Vorstoß umstritten: Marion Kiechle, die neue | |
| Wissenschaftsministerin, sagte drei Tage nach Söders Verkündigung in einer | |
| Talkshow: „Ich fand das jetzt keine besonders kluge Idee.“ Einen Tag | |
| später gab sie eine Erklärung ab: Sie stehe klar zum Beschluss des | |
| Kabinetts. | |
| Gauweiler sagt: „Zu der Sache mit dem Kreuz, da rät einem eine Werbeagentur | |
| ja nicht zu. Das hat eine gewisse Tapferkeit erfordert. Das war alte | |
| Schule. Ganz alte Schule. Und wer Mut hat, der macht auch Mut.“ | |
| ## Finden die Bayern das wirklich gut? | |
| Ein paar Tage nach Söders Kreuzerlass ließ der Bayerische Rundfunk die | |
| bayerischen Bürger befragen: Wie finden Sie das Kreuz in Behörden? 56 | |
| Prozent fanden das gut. 38 Prozent schlecht. Deutschlandweit fanden es 64 | |
| Prozent schlecht. | |
| Warum finden die Bayern das so gut? Oder: Finden die Bayern das wirklich so | |
| gut? | |
| Der Wortlaut der Umfrage im Bayerischen Rundfunk lautete: „In Bayern soll | |
| künftig im Eingangsbereich jeder Landesbehörde ein Kreuz als Symbol | |
| bayerischer Identität und Lebensart angebracht werden. Finden Sie das gut | |
| oder nicht gut?“ | |
| Man kann zwei Dinge darunter verstehen. Erstens: Schön, dass da ein Kreuz | |
| hängt. Zweitens: Super, dass der Söder unser Symbol aufhängt. Es wird viele | |
| Christen geben, die sich freuen, dass Kreuze auf- statt abgehängt werden, | |
| die aber den Wahlkampfmove von Markus Söder ablehnen. Und es wird viele | |
| Leute geben, die das Kreuz an sich wenig interessiert, die sich aber über | |
| den Akt des schwungvollen Aufhängens freuen, weil da ja ihr Abendland | |
| verteidigt wird. Dazu passt eine Umfrage aus Österreich: Dort wollten 80 | |
| Prozent der Befragten, dass Österreich ein christliches Land bleibt. 7 | |
| Prozent gehen regelmäßig in die Kirche, einer von drei Christen glaubt an | |
| die Auferstehung. Dazu passt auch das Kreuz in seiner Dresdner Variante, | |
| schwarz-rot-gold gestrichen, das besonders an Montagen gesichtet wird, wenn | |
| Pegida demonstriert. | |
| Michael Brenner sitzt in seinem Büro im Historischen Institut der | |
| Ludwig-Maximilians-Universität München. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich | |
| mich noch einmal mit einem Kreuzerlass beschäftigen muss“, sagt er. | |
| Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und schrieb 2002 einen | |
| Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Damals gab ein bayerisches Gericht | |
| einem Lehrer recht, der mit einem Kreuz im Klassenzimmer nicht unterrichten | |
| wollte. Jetzt hat Brenner wieder einen Artikel geschrieben. An seiner | |
| Argumentation hat sich nicht viel geändert, sagt er. | |
| ## Ein Zeichen der Ausgrenzung | |
| Michael Brenner ist bayerischer Jude. Er wuchs in Weiden in der Oberpfalz | |
| auf, dem ersten größeren Ort hinter der tschechischen Grenze, wo | |
| amerikanische Soldaten seinen Vater, der aus Polen geflohen war, aus dem | |
| Jeep geworfen hatten. Auf dem Gymnasium in Weiden gab es damals fünf | |
| Klassen. In vieren davon waren ausnahmslos Katholiken. In der fünften waren | |
| die Protestanten untergebracht und die vier Schüler, die nirgends | |
| reinpassten: ein neuapostolischer Christ, ein iranischer Muslim, ein | |
| Atheist – und Michael Brenner. | |
| Im Klassenzimmer hing selbstverständlich ein Kreuz. Brenner sagt, damals | |
| als Kind sei ihm das nicht so klar gewesen, aber später doch: Natürlich war | |
| das Ausgrenzung. „Im öffentlichen Raum sollte sich jeder gleichbehandelt | |
| fühlen“, findet Brenner. „Inzwischen ist es ja gar keine so kleine | |
| Minderheit mehr, die nicht christlich ist. Da gehört es zum Respekt dazu, | |
| in der Öffentlichkeit keine christlichen Symbole zur Schau zu stellen.“ | |
| Brenner, der eigentlich sehr kontrolliert spricht und gestikuliert, sagt | |
| etwas fassungslos: „Ich dachte wie viele, dass die Tendenz in eine andere | |
| Richtung geht. Dass man vielleicht in Gerichtssälen die Symbole der | |
| dominanten Religion abhängt und nicht noch in zusätzlichen Räumen Kreuze | |
| aufhängt. Schon aus demografischen Gründen.“ | |
| Noch ist die Hälfte der Bevölkerung in Bayern katholisch, 20 Prozent sind | |
| evangelisch. Doch jedes Jahr treten in Bayern 70.000 Menschen aus einer der | |
| beiden großen Kirchen aus. Wie christlich ist Bayern? | |
| ## Und Jesus surft aus der Kirche | |
| An Christi Himmelfahrt, anderswo als Vatertag bekannt, haben sich 250 | |
| Besucher in der Kirche „Mariä Geburt“ in Anzing im Münchner Umland | |
| versammelt. Hinten sitzen Rentner, vorne Familien. Zwischen den Holzbänken | |
| im Gang steht auf einem Podest eine Jesusfigur. Die rechte Hand segnet, die | |
| linke Hand hält einen Stab, der in ein Kreuz mündet. Am Heiligenschein ist | |
| eine Öse befestigt, daran hängt ein Stahlseil. | |
| Der Pfarrer liest aus der Apostelgeschichte: Jesus verkündet den Jüngern, | |
| dass der Heilige Geist auf sie herabkommen werde. „Und als er dies gesagt | |
| hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf | |
| von ihren Augen weg.“ | |
| Das Seil spannt sich, die Jesusfigur kippt und steigt langsam auf. Jesus | |
| kreist gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse. Auf seinem Sockel sieht | |
| er ein bisschen aus wie einer der Surfer vom Münchner Eisbach, zwanzig | |
| Kilometer weiter westlich. | |
| Es ist ganz still in der Kirche, alle schauen hoch. Oben, durch ein Loch im | |
| Kirchenschiff, sieht man einen Arm, der eine Kurbel dreht. Es quietscht, es | |
| riecht nach Weihrauch. Nach drei Minuten ist Jesus aufgefahren, die | |
| Gemeinde singt: „Christ ist erstanden von der Marter alle.“ | |
| Nach der Predigt sagt der Pfarrer, er finde es schön, dass jetzt Kreuze in | |
| Behörden hängen sollen. Das bewahre die christlichen Werte. Auch wenn die | |
| Begründung von Söder falsch sei. Obwohl so ein echtes | |
| Himmelfahrtsaufziehen, eine barocke Tradition, wie sie es in Bayern nur | |
| noch ganz selten gibt, natürlich schon lockt, hat auch seine Gemeinde zu | |
| kämpfen. Glauben ist nicht mehr selbstverständlich. | |
| ## „Jesus war ein Freak“, sagt der Hergottschnitzer | |
| In ihrer Geschichte holte die CSU das Kreuz immer dann heraus, wenn sie | |
| sich bedroht fühlte. Zur Gründungszeit sah sie es als historische Aufgabe | |
| Bayerns, Deutschland vor dem Abgleiten in Gottlosigkeit und Sozialismus zu | |
| schützen. In den Neunzigern, als das Bundesverfassungsgericht die | |
| Schulkreuze abhängen lassen wollte, kämpfte sie gegen den Wertewandel. Sie | |
| machte die Kreuzfrage zur Kulturfrage: Christlich-abendländische Tradition | |
| oder Multikulti? Dieses Thema spielt sie seitdem in Variationen, oft unter | |
| dem Begriff „Leitkultur“. Das Kreuz ist für sie ein Abwehrsymbol. Es fasst | |
| etwas, von dem viele Leute befürchten, dass es verloren geht. | |
| Am Haus von Hubert Janson im Chiemgau hängt ein Jesus. Ohne Kreuz. „Ich | |
| wollte ihn befreien“, sagt Janson. Er ist das, was man in Bayern einen | |
| Herrgottschnitzer nennt und überall sonst einen Holzbildhauer. Er schnitzt | |
| Maibaumfiguren, verziert Bauernmöbel und zimmert Feldkreuze, Wandkreuze, | |
| Grabkreuze. Er sagt: „Jesus war ein Freak. Ein Revoluzzer. Ein tolles | |
| Vorbild.“ | |
| Janson, ein sanfter, braun gebrannter kleiner Mann, lebt sein Leben lang im | |
| Chiemgau, ein paar Kilometer vom Chiemsee entfernt. Sein Vater, ein | |
| Donauschwabe, kam nach dem Krieg als Flüchtling aus Ungarn. Janson wuchs | |
| als drittes von fünf Geschwistern auf, der Vater Schreiner, beide Brüder | |
| Schreiner; Hubert, machst was anderes, wirst Holzbildhauer. | |
| Janson ging in die Lehre nach Niederbayern. Damals, in den Achtzigern, | |
| waren Kopiermaschinen ziemlich angesagt, Kreuze gingen in Serienproduktion. | |
| Janson machte die Fransen an den Rohlingen weg und arbeitete Details ein. | |
| Mit 20, wieder zurück im Chiemgau, trat er aus der Kirche aus, eine | |
| heimliche Rebellion. Doch die Gemeindemitarbeiterin erzählte es dem | |
| Bürgermeister, und als der mal beim Essen bei den Jansons war, fragte er | |
| plötzlich: „Hubert, warum bist du denn ausgetreten?“ Der Vater, als | |
| Flüchtling sein Leben lang bemüht um Anpassung, drohte mit Enterbung. | |
| ## Die CSU, eine „Polarisierungsfirma“ | |
| Heute macht Janson vielleicht zehn Kreuze pro Jahr, ein kleines dauert eine | |
| Woche, ein großes vier. Vor allem Bauern bestellen bei ihm, Feldkreuze. Für | |
| sie sind es Symbole der Zugehörigkeit. Und der Dankbarkeit. Wenn das Haus | |
| umgebaut wurde. Wenn der neue Stall fertig ist. Janson versteht dieses | |
| Denken. Er hat gerade zusammen mit anderen ein altes Bauernhaus renoviert. | |
| Gut geglückt ist das, zum Dank wird er zwei Kastanien pflanzen und mit | |
| seiner Frau nach Altötting pilgern. | |
| Angenommen, das Landratsamt ruft bei Janson an und fragt nach einem | |
| Holzkreuz für den Eingangsbereich. Dann würde er sagen: „Sollen’s woanders | |
| machen lassen. Christen brauchen das nicht, was der Söder gemacht hat.“ Für | |
| ihn ist der Kreuzerlass billig, zum Schämen. Die CSU nennt er eine | |
| „Polarisierungsfirma“. | |
| Ein paar Kilometer von Jansons Haus entfernt steht ein Feldkreuz unter | |
| einer einzelnen Linde. Janson hat es vor ein paar Jahren restauriert. Wenn | |
| er in der Gegend ist, hält er manchmal an. Ihn freut, dass jemand ein Kreuz | |
| an den Wegesrand stellt. Es zeigt, dass sich wer kümmert. „Das prägt unsere | |
| Heimat“, sagt er. | |
| Das Kreuz ist aus Eiche, überdacht, verzinktes Blech mit Grünspanimitat, | |
| Kupfer wird oft geklaut. Jesus hat die Augen geschlossen, die Brauen | |
| sorgenvoll. Eine Raupe klettert über seinen Körper. | |
| Janson fährt weiter, am Kreuz vorbei zum Bauernhaus von Horant Hohlfeld; | |
| der ließ das Feldkreuz aufstellen. Hohlfeld, ein großer, schlaksiger | |
| Rentner mit Basecap und dichtem grauem Haar, steht vor dem | |
| Werkzeugschuppen. Seine Arbeitshose, eine alte Armani-Jeans, ist voll mit | |
| Staub und Sägemehl. | |
| Janson und Hohlfeld reden, auch über das restaurierte Feldkreuz. „Das war | |
| sauteuer, Hubert“, sagt Hohlfeld. | |
| ## Janson hat eine Theorie | |
| Zum Einzug schenkte ein Nachbar ihm einen Baum, die Linde. Und Hohlfeld | |
| dachte: Da muss ein Kreuz dazu. Ein Bekannter hatte noch ein Feldkreuz auf | |
| dem Speicher liegen, rund 150 Jahre alt. | |
| „Ich liebe mein Kreuzchen“, sagt Hohlfeld. „Einen tollen Kopf hat der | |
| Jesus, er hat Würde.“ Immer wenn Hohlfeld seine Einfahrt passiert, schaut | |
| er das Kruzifix an und denkt: „Hallo, ich bin zu Hause.“ | |
| Hohlfeld kommt aus Köln, er hat sich im Filmgeschäft bis an die Spitze | |
| hochgearbeitet, ein Selfmademan. „Denn selbst muss der Freie sich | |
| schaffen“, zitiert er Wagners Walküre. | |
| Vor knapp zwanzig Jahren zog er in den Chiemgau, er möchte nie wieder weg. | |
| „Hier ist die Welt noch in Ordnung“, sagt er. Die Leute selbstbewusst. | |
| Gläubig. Früher, erzählt er, haben sie hier den Hut vor jedem Kreuz | |
| abgenommen. Er selbst ist aus der Kirche ausgetreten. | |
| Und Söders Verordnung? Findet Hohlfeld gut. „Er steht ein für das, was | |
| wichtig ist.“ Aufregen kann er sich über Reinhard Marx, den Bischof aus | |
| München, der Söder kritisierte. Hohlfeld sagt: „Müssen wir jetzt zu jedem | |
| Kreuz einen Halbmond dazuhängen?“ Janson schweigt. | |
| Später, im Auto, sagt Janson, er hat da eine Theorie, warum die beiden sich | |
| so ähnlich und doch uneinig sind. „Ich bin hier verwurzelt, hab Freunde, | |
| Familie, Tradition. Ich brauch kein Kreuz, das mir Heimat gibt.“ Und | |
| Horant, sagt Janson, der ist nicht verwurzelt. Und jetzt greift er nach | |
| etwas. | |
| 28 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Daum | |
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