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# taz.de -- Neuer Bericht des Weltklimarats: Die CO2-Nulldiät? Hart, aber mach…
> Der Weltklimarat macht der Politik Mut: Echter Klimaschutz ist noch
> möglich. Aber es muss jetzt schnell gehen.
Bild: Der Unterschied von 1,5 und 2 Grad Erwärmung: Entweder sterben 60 Prozen…
Berlin taz | „Die nächsten paar Jahre sind wahrscheinlich die wichtigsten
in unserer Geschichte“, sagt Debra Roberts am Samstag. Sie ist Chefin der
Klimaschutzbehörde im südafrikanischen Durban und eine der Hauptautorinnen
der neuen Studie „Globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius“ des Weltklimarats
IPCC.
Der hat diesen Bericht in der vergangenen Woche im koreanischen Incheon
beschlossen. Am heutigen Montag wurde er nun veröffentlicht. Der IPCC hat
darauf hingewiesen: Welche Kraftwerke in den nächsten Jahren gebaut oder
nicht gebaut werden, wie lange noch Autos mit Verbrennungsmotoren vom Band
rollen, wie sich Städte entwickeln und wie schnell sich Industrieprozesse
von Öl, Kohle und Gas entfernen, entscheidet darüber, ob die schlimmsten
Folgen des Klimawandels vermieden werden. Oder eben nicht.
Die internationale Klimagemeinde hat diesen Bericht mit Spannung erwartet.
Er wird die Debatten auf der nächsten Klimakonferenz im Dezember und in den
kommenden Jahren prägen. Denn er gibt Antworten auf die drängendste Frage
im Poker um die Erderwärmung: Was ist im Klimaschutz überhaupt noch
machbar? Bisher laufen alle Versprechen der UN-Staaten auf eine Erwärmung
von mindestens 3 Grad hinaus.
## Die Gesetze der Physik oder die der Wirtschaft?
Für das IPCC ist klar: Noch ist die Schlacht nicht verloren, Das ehrgeizige
Ziel, die Erderwärmung bis 2100 bei 1,5 Grad zu stoppen, ist „nach den
Gesetzen von Chemie und Physik möglich“, sagt Jim Skea, einer der Autoren
und Professor für nachhaltige Energie am Imperial College in London. Ob es
auch nach den Gesetzen von Politik und Wirtschaft machbar ist, steht auf
einem anderen Blatt. Denn dafür müssten sich die Industrie, die Energie-
und Verkehrssysteme, Landwirtschaft, Gebäude und Städte „schnell und
weitreichend verändern“, heißt es.
Die globalen CO2-Emissionen, die seit Jahrzehnten nur gestiegen sind oder
gleich bleiben, „müssten vom Niveau von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen
und 2050 bei Netto-Null liegen“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer
33-seitigen „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“, die sie in Incheon
mit den Regierungsdelegationen Wort für Wort abstimmten.
Diese Expertise hatten die UN-Staaten 2015 in Auftrag gegeben. Im
historischen Pariser Abkommen zum Klimaschutz war als Ziel formuliert
worden, die Erwärmung „deutlich unter 2 Grad“ zu halten, „mit dem Blick …
eine Begrenzung auf 1,5 Grad.“ Diese Formulierung war erst ganz zum Schluss
von den besonders bedrohten Inselstaaten in den Text verhandelt worden –
und niemand wusste wirklich, was ein so ehrgeiziges Ziel bedeutet.
Gleichzeitig fragten sich die Staaten, wie das Ziel mit den „Nachhaltigen
Entwicklungszielen“ der Vereinten Nationen zusammenhänge, die weltweit
Hunger, Armut, Umweltzerstörung und soziale Spannungen lindern sollen.
Das sollen jetzt die Experten des IPCC liefern – 91 Autoren aus 40 Ländern,
die zweieinhalb Jahre lang die neueste Literatur sichteten und über 42.000
Kommentare und Anregungen aus der ganzen Welt verarbeitet haben. Ihre
Aussagen stützen sich außerdem auf Computermodelle, die in vielen
verschiedenen Szenarien unter anderem die Entwicklung von Bevölkerung,
Industrie, Stromverbrauch und Emissionen berücksichtigen.
## 0,5 Grad machen 10 Zentimeter Unterschied
Nach dem Bericht macht es einen großen Unterschied, ob die Welt sich um 1,5
oder 2 Grad erwärmt. 1,5 Grad bedeutet: 10 Zentimeter weniger Anstieg des
Meeresspiegels, 10 Millionen Menschen weniger, die ihre Heimat verlieren;
die Arktis wird im Sommer nur einmal in 100 Jahren eisfrei bleiben – im
Gegensatz zu einmal in zehn Jahren bei 2 Grad. „Nur“ 70 bis 90 Prozent der
Korallen sterben im warmen und sauren Ozean, im Vergleich zu praktisch
allen bei 2 Grad. Die Weltwirtschaft zeigt höheres Wachstum als bei 2 Grad
und „einige hundert Millionen Menschen“ weniger werden bei 1,5 Grad von
Armut bedroht sein, weil sie Stürme, Dürren und Überschwemmungen erleben.
Schon lange fordern deshalb viele arme Staaten und Entwicklungsgruppen:
„1.5 to stay alive“ – 1,5 Grad fürs Überleben.
Bereits jetzt, bei etwa einem Grad Erwärmung, seien die Folgen des Wandels
deutlich zu sehen, schreiben die Experten: Mehr Wetterextreme wie Hitze und
Dürren, Vegetationszonen verschieben sich. Um die Überhitzung zu vermeiden,
müssten die Emissionen so schnell sinken wie es das in diesem Umfang noch
nie in der Geschichte gegeben habe.
Richtig gemacht, könnte ein echter Klimaschutz die UN-Nachhaltigkeitsziele
fördern: Für bessere Gesundheit und saubere Energien sorgen. Falsch
gemacht, könnten die Maßnahmen zum Klimaschutz die Armen schwächen: etwa,
wenn Felder und Wälder nicht zur Ernährung, sondern für Bio-Energie genutzt
würden. Denn alle Modelle, die die 1,5 Grad erreichen, rechnen mit bislang
unerprobten Techniken, CO2 aus der Luft zu entfernen – meist über
Aufforstung von Wäldern oder Bio-Kraftwerke.
Die Forscher machen der Politik aber auch Mut. Im Gegensatz zu einem
früheren Textentwurf vom Januar sind Passagen abgemildert worden, die das
1,5-Grad-Ziel für praktisch unerreichbar hielten. Neue Studien haben
Eingang in den Text gefunden. „Die gute Nachricht“, sagt Autorin Valerie
Masson-Delmotte, eine französische Klimawissenschaftlerin, sei dass „einige
der Aktionen, die wir für 1,5 Grad brauchen, bereits auf dem Weg sind“.
Gemeint ist etwa der weltweite Siegeszug der Öko-Energien. Auch verschaffen
die Forscher der Politik ein bisschen mehr Luft: Das „Budget“ an
CO2-Emissionen, die die Welt noch ausstoßen darf, ehe sie die 1,5 Grad
erreicht, haben die Wissenschaftler leicht nach oben korrigiert. Statt etwa
10 bleiben der Welt demnach vielleicht noch 20 Jahre. Allerdings sind diese
Zahlen unter Klimawissenschaftlern heftig umstritten, weil die
Ungenauigkeiten in der Rechnung groß sind.
Für den Kurswechsel ist allerdings schnell viel Geld nötig, hat der IPCC
berechnet. Die Investitionen in grüne Technologien und Energiesparen
müssten sich verfünffachen und weltweit auf 900 Milliarden Dollar pro Jahr
klettern. Und das 1,5 Grad Ziel sei teurer: Die „Grenzkosten“, um auch noch
die letzte Tonne CO zu sparen, lägen bei 1,5 Grad – „drei- bis viermal so
hoch“ wie bei 2 Grad. Abwarten ist aber für die Forscher keine Lösung: Wenn
die Temperaturen über 1,5 Grad stiegen, sei es technisch nicht klar, ob
dieses „Überschießen“ wieder zurückgeholt werden könne. Und teuer sei es
für die Volkswirtschaften allemal: „Die Herausforderungen von verzögertem
Handeln bringen Risiken“, heißt es: Kosten könnten explodieren,
CO2-intensive Infrastruktur wie Kraftwerke für Jahrzehnte zementiert werden
und Investments unrentabel werden.
Allerdings habe auch echter Klimaschutz nicht nur Gewinner, stellen die
Experten fest: Ein Kurs zu 1,5 Grad könne „Risiken für die nachhaltige
Entwicklung in Regionen schaffen, die von fossilen Brennstoffen für
Einkünfte und Beschäftigung abhängig sind“. Den Passus haben Ölstaaten wie
Saudi-Arabien in den Text gedrückt. Er gilt aber genauso für die deutschen
Braunkohle-Regionen.
8 Oct 2018
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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