| # taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Die Meldungen überschlagen sich | |
| > Ich glaube nicht, dass früher alles besser war. Ruhiger aber schon. | |
| > Etliches fiel unter den Tisch, wurde nicht gebraucht, um das Internet | |
| > voll zu kriegen. | |
| Bild: Das politische Tagesgeschehen auf wenige Minuten zusammengefasst: die Tag… | |
| Ich weiß gar nicht, worüber ich schreiben soll, es quillt über vor lauten | |
| Themen und mir ist alles scheißegal“, sagte ich zu der Krimiautorin. Wir | |
| saßen beim Griechen in Eimsbüttel – zum ersten Mal seit Monaten nicht auf | |
| der Terrasse. | |
| Vom Nebentisch wandte sich ein Herr im Norwegerpullover an uns: | |
| „Wie wäre es mit dem Thema, dass der verdammt heiße Sommer vielleicht an | |
| allem Schuld ist. Vielleicht können wir Deutschen mit zu viel Hitze einfach | |
| nicht umgehen.“ | |
| „Stimmt, die Abkühlung tut gut, endlich kann man wieder differenziert | |
| denken“, sagte meine Kollegin. | |
| „Ja, aber die Meldungen überschlagen sich noch immer“, sagte ich. | |
| Der warm angezogene Mann sagte: | |
| „Ja, nichts kommt zur Ruhe: Koalition, Fraktion, Nahles, Kauder, Brinkhaus, | |
| Maaßen oder Maas, ach sie alle, die Rechten, die Wagenknechts, die | |
| Kühnerts, puh!“ | |
| Seine Frau sagte: | |
| „Aber es ist doch überall viel los. Trump tönt weiter, Bill Cosby muss ins | |
| Gefängnis – der hatte immer so was Beruhigendes, solange man nicht wusste, | |
| was er treibt.“ Und meine Kollegin sagte: | |
| „Schreib doch über das Baby in der Uno- Vollversammlung oder das im | |
| Parlament in Thüringen.“ | |
| „Davon habe ich noch gar nichts gehört!“ | |
| „Schreiben Sie doch über Merkels traurige Augen“, sagte der Kellner und | |
| stellte uns Ouzos hin – ich trank dankbar und sagte: | |
| „Es muss mich wirklich interessieren, damit ich Lust habe, darüber zu | |
| schreiben. Aber gerade ist nur noch Inflation.“ | |
| Ich bin selbst Schuld. Morgens schalte ich als erstes das Nachrichtenradio | |
| ein, lese, während ich Kaffee trinke, parallel dazu über dieselben Themen | |
| im Telefon herum, später im Café noch mal in Zeitungen, die ausliegen und | |
| abends ziehe ich mir alles noch mal im TV rein und beschließe das Ganze mit | |
| Twitter, weil es da jede Sekunde noch was Neues gibt. | |
| „Konsum führt nicht zu Ruhm“, sagt ein Freund und Vater immer zu seinen | |
| handysüchtigen Teenagern – und dass das Lernen früher nicht so eine | |
| Konkurrenz hatte. | |
| Gestern hospitierte ich in einem Deutschkurs für Ausländer. Es ging dort um | |
| die Geschichte der Tagesschau. Darüber, dass es ein familiäres Ereignis | |
| war, den Fernseher am Abend einzuschalten und gespannt das politische | |
| Tagesgeschehen, auf wenige Minuten zusammengefasst, anzusehen. Danach | |
| konnte man sich Gedanken machen oder drüber reden. Informationen bekamen | |
| Zeit und Raum. Ich bin jetzt 44 Jahre alt und ich glaube nicht, dass früher | |
| alles besser war. Ruhiger aber schon. Etliche Nebenthemen fielen einfach | |
| unter den Tisch. Sie wurden nicht gebraucht, um das Internet voll zu | |
| kriegen. | |
| Ich werde diese Kolumne beenden, indem ich über das gute alte Wetter | |
| schreibe. Der Herr am Nebentisch hat manchmal Recht und man sollte ihm | |
| zuhören – wenn er sich auch die Mühe gemacht hat. Eine gute alte Form des | |
| Austausches. Lauschen und Einmischen. | |
| Er ist zu Ende, der heiße Hamburger Sommer. Und auch vieles andere scheint | |
| zu enden. Deshalb suche ich nun verkatert meine warmen Pullover zusammen | |
| und sortiere sie nach Farben. Eigentlich bin ich gar nicht so, aber ein | |
| bisschen Ordnung muss sein. | |
| 7 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Ramadan | |
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