# taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Unscheinbar an die Macht | |
> Wer in Deutschland ernst genommen will, sollte lieber keine erotischen | |
> Fantasien wecken. Das passt einfach nicht zusammen. Ein Obama wäre hier | |
> nicht drin gewesen. | |
Bild: Einfach zu scharf: Ein Obama wäre hier nicht drin gewesen. | |
„Das hat doch einen Grund, dass es in Deutschland immer nur die uncoolen | |
Frauen nach ganz oben schaffen“, sagte der Typ in Jeansjacke, | |
Strickpullover, Jeanshose, nackten Knöcheln und löchrigen Chucks vorm Pudel | |
Club bei null Grad. | |
„Merkel?“ fragte sein Kumpel im Glitzerparka. | |
„Ich mein Kramp-Karrenbauer, für die läufts doch mega.“ | |
„Stimmt, und die sieht aus wie ein unniedlicher Monchichi mit Brille.“ | |
„Merkel war ja auch nie ein Hottie, selbst nicht, als die jung war!“ | |
„Ihr labert doch scheiße“, mischte sich ein blondgelocktes Mädchen im rosa | |
Teddymantel ein „was soll denn das überhaupt heißen?“ | |
„Ganz einfach, Baby, die unscheinbaren Frauen werden beim Weg an die Spitze | |
übersehen und deshalb nicht weggemobbt.“ | |
„Warte mal, Arthur“, sagte der Glitzerparka, „vielleicht kriegen die | |
Schönen, seit sie vierzehn sind, nur zu viel Bestätigung und die | |
Unscheinbaren haben einfach mehr Ehrgeiz.“ | |
„Kleine Männer haben ja auch oft so einen krassen Ehrgeiz, so wie Prince | |
oder Tom Cruise!“, sagte Arthur. | |
„Napoleon“, fügte der Glitzerparka hinzu. | |
„Als würde sich im Leben alles nur darum drehen, wie man zufällig | |
aussieht“, sagte das Mädchen und zündete sich eine Menthol-Zigarette an. | |
Eine blassschöne Frau im schwarzen Kapuzenmantel ließ sich Feuer für ihre | |
Tüte geben und sagte: „Weniger verächtlich formuliert haben deine Freunde | |
gar nicht so unrecht, als Frau in Deutschland ist es klüger, sich zu | |
stylen, als wäre man gar kein sexuelles Wesen, wenn man intellektuell | |
Karriere machen will. Aus diesem Grund hätte ich mich manchmal am liebsten | |
voll verschleiert.“ | |
„Was machst du?“, fragte das Teddymädchen. | |
„Seit zwanzig Jahren Journalismus – und Gastronomie.“ | |
Der Strickpulli nickte kurz betroffen, dann erhellte sich sein jugendlich | |
schönes Antlitz: | |
„In Frankreich! Da kommt mein Dad her, da gab es Ségolène Royal, die hatte | |
tolle lange Haare und war auch sonst sehr weiblich.“ | |
„Aber die ist nicht Präsidentin geworden“, sagte der Glitzerparka. | |
„War aber nahe dran“, sagte Arthur mit Stolz. | |
Die Frau zog an ihrem Joint, zuckte mit den Schultern und sagte: | |
„Deutschland hat’s nicht so mit wahrhaftiger Sinnlichkeit, wer ernst | |
genommen werden will, sollte keine erotischen Fantasien wecken, das gehört | |
hier einfach nicht zusammen in eine Schublade, so wie Unterhaltung und | |
Hochkultur. Aber ich würd sagen, das gilt auch für Männer. Ein Obama wäre | |
hier auch nicht drin gewesen, nicht nur, weil er schwarz ist, der ist | |
einfach zu scharf.“ | |
Arthur sagte: „Hier gilt ja auch Veronika Ferres als Sexsymbol, Italien hat | |
Monica Bellucci, Frankreich Emmanuelle Beart und Sophie Marceau, was für | |
krasse Milfs sind das bitte! Aber wer steht auf Veronika Ferres?“ | |
„Mein Vater!“, sagte die Blondine, „der steht aber auch auf | |
Brokkoli-Cremesuppe aus der Dose.“ Alle lachten – sie sagte: „Lasst mal | |
reingehen, es ist arschkalt und ich muss mal aufs Klo.“ | |
„Falls du dir den Lippenstift nachziehen willst, hier gibt es keine Spiegel | |
auf den Toiletten“, sagte der Glitzerparka. | |
Die Frau grinste: „Irgendwie schön, so unterm Strich.“ | |
30 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Ramadan | |
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