| # taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Mir doch egal | |
| > Ist es möglich, sich raus zu halten aus allem, was mit Politik zu tun | |
| > hat? Manche Menschen können das. Und dann schickt Gott ein Zeichen. | |
| Bild: Ein Hoch auf die Gleichgültigkeit: Feuerwerk in Hamburg | |
| „Ich bin kein politischer Mensch“, sagte der Lichtkünstler aus der Schweiz | |
| und schlürfte die letzten Spaghetti in sich hinein. Wir saßen beim | |
| Italiener im Portugiesenviertel, Donner grollte in der Nähe. | |
| „Ausgeschlossen!“, sagte die Kardiologin, „Du wohnst mitten in der Stadt, | |
| um unpolitisch zu sein, muss man allein im Nirgendwo leben.“ | |
| „In der Walachei“, fügte ihre zwanzigjährige Tochter hinzu, ohne von ihrem | |
| Smartphone aufzublicken. Die Mutter schüttelte den Kopf: „Nein, mein | |
| Schatz, da ist noch zu viel Zivilisation.“ | |
| Der Lichtkünstler sagte: „Ich kann mich auch in Zürich, Rom oder hier in | |
| Hamburg wunderbar aus allem raushalten.“ „Indem Sie nicht wählen gehen?“, | |
| fragte der Kapitän auf Landgang. | |
| „Nee“, sagte die Tochter, „man hat doch auch ohne offizielle Wahl irgendw… | |
| immer mit irgendwas zu tun, schon dadurch, auf welchen Seiten man im | |
| Internet unterwegs ist und was man da so klickt.“ „Hey, Bravo, mein Kind!�… | |
| sagte die Kardiologin. | |
| „Du als Künstler hast doch sicher einen Instagram-Account!?“, wandte sich | |
| das Mädchen an den Lichtkünstler. „Nein, ich war ja schon vorher | |
| ausgesprochen erfolgreich. Ich genieße einfach nur mein Leben, geh’ gut | |
| essen und trinken, Kultur, Natur, Lust und Liebe. Den ganzen ernsten Mist | |
| überlasse ich den anderen und irgendwann falle ich mit einem Lächeln auf | |
| den Lippen tot um.“ | |
| „Aber zu irgendwas hast du doch bestimmt ne Meinung!?“, bohrte sie weiter. | |
| Der Lichtkünstler zündete sein Nelkenzigarillo an und zuckte mit den | |
| Schultern. „Mir ist alles einerlei.“ | |
| Das Mädchen sah ihn aufmerksam an und verschränkte die Arme: „Was ist mit | |
| Geflüchteten?“ „Solange sie mir vom Leib bleiben, sind sie mir einerlei.“ | |
| „Was ist mit den rechten Bewegungen in Europa, aktuell den Populisten der | |
| Lega Nord?“ „Solange die Pasta noch schmeckt und die Amore glüht, sind sie | |
| mir einerlei.“ | |
| „Was ist mit Trump?“ „Solange er mich mit seiner Verkommenheit so gut | |
| amüsiert wie bisher, mir einerlei.“ | |
| „Was ist mit dem Plastik in den Meeren?“ „Solange es mir beim Schwimmen | |
| nicht in die Quere kommt, ist es mir einerlei.“ | |
| „Was ist mit Feminismus und der Rolle des Mannes in der westlichen | |
| Gesellschaft?“ „Solange es am Ende des Tages guten Verkehr gibt, ist es mir | |
| einerlei.“ | |
| „Was ist mit den Kriegen und der Unterdrückung in der Welt?“ „Solange mi… | |
| niemand zwingt, in schlechten Restaurants zu essen und es an meinem Tisch | |
| friedlich zugeht, ist mir auch das einerlei.“ | |
| „Was ist dir eigentlich nicht einerlei?“ „Dass du hier meinen Frieden | |
| störst.“ | |
| „Noch etwas vielleicht?“ „Ja, die perfekte ästhetische Komposition von | |
| Licht und Schatten in der Kunst.“ | |
| Das Gewitter hatte sich verzogen, ein purpurfarbenes Licht versenkte den | |
| Tag, der Lichtkünstler erhob sein Glas und sprach: | |
| „Auf den perfekten Moment und die Anmut der Gleichgültigkeit, möge der | |
| Gott, an den ich nicht glaube, ein Zeichen schicken, dass sich nichts mehr | |
| lohnt, als es sich mit leidenschaftlicher Dreistigkeit gutgehen zu lassen.“ | |
| Alle schwiegen und plötzlich hörte man es knallen, zischen und schallen. | |
| Das Feuerwerk auf dem Heiligen Geistfeld hatte begonnen. | |
| 21 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Ramadan | |
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