# taz.de -- Öko-Bauern in Brandenburg: Aktien für mehr Bio-Angebot | |
> Eine Bürger-AG möchte regionale Landwirtschaft fördern – ohne dass | |
> Großkonzerne den Laden übernehmen können. | |
Bild: 400 glückliche Hühner leben bei Biobauer Jochen Fritz (rechts) | |
Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Kunden für Biolebensmittel als in | |
Berlin, doch die meisten Bioprodukte kommen nicht aus der Region. Mit dem | |
Verkauf von Aktien will die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg das ändern. | |
Nach Freiburger Vorbild fördert das Unternehmen eine vielfältige, regionale | |
Landwirtschaft und ist so konstruiert, dass kein Großinvestor den Laden | |
übernehmen kann. Die Anteilsscheine werden ab dieser Woche verkauft. | |
Initiator der Bürgeraktiengesellschaft ist Timo Kaphengst. Der gelernte | |
Landschaftsökologe hat früher wissenschaftliche Studien darüber | |
geschrieben, was in der Landwirtschaft alles schiefläuft. Eines seiner | |
Themen war Landgrabbing, also der Trend, dass Investoren überall auf der | |
Welt Äcker und Felder kaufen, um dort Nahrungs- und Energiepflanzen für den | |
Export anzubauen oder mit dem Boden zu spekulieren. | |
„Dass es auch in Brandenburg einen Wettlauf um Agrarland gibt, hab ich erst | |
vor drei Jahren auf einer Veranstaltung in Chorin kapiert“, berichtet der | |
40-Jährige. Dort erzählte ein junger Biobauer, dass er mit vier Hektar | |
angefangen habe, aber keine Möglichkeit sehe, an weitere Äcker zu kommen. | |
Und obwohl der Leiter des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin ein | |
Vorkaufsrecht für frei werdende Flächen habe, könne er sie wegen horrender | |
Preise nicht sichern. „Das war für mich ein Schlüsselerlebnis“, berichtet | |
Kaphengst. | |
Der umtriebige Mann begann zu recherchieren und entdeckte, dass sich schon | |
mehrere Genossenschaften und Vereine mit dem Thema beschäftigten. Auf dem | |
Gründungstreffen des Netzwerks Flächensicherung lernte er das Konzept der | |
Regionalwert AG kennen, das der Demeter-Bauer Christian Hiß aus Freiburg | |
entwickelt hat. Dessen Betrieb produziert 70 verschiedene Gemüsesorten, | |
macht selbst Saatgut, und auch eine Kuhherde gehört zum „Hoforganismus“. | |
Doch solche Art der Landwirtschaft ist immer weniger konkurrenzfähig, weil | |
inzwischen auch viel Biogemüse in Monokulturen angebaut wird. Deshalb kam | |
Hiß auf die Idee, die ganze Wertschöpfungskette vom Acker bis zum | |
Restaurant unter einem Unternehmensdach zu vereinen und Menschen aus der | |
Umgebung durch Aktien an den Risiken, aber auch an den Gewinnen zu | |
beteiligen. Das Freiburger Modell funktioniert nun schon seit zwölf Jahren | |
und hat inzwischen mehrere Nachahmer gefunden – jetzt auch in | |
Berlin-Brandenburg. | |
Die Ausgangslage ist im Prinzip gut. Berlin ist der größte Biomarkt in | |
Deutschland, auch „regional“ ist bei der Kundschaft angesagt. Doch die | |
Nachfrage kann nicht befriedigt werden. Auf den meisten Feldern in | |
Brandenburg wachsen Raps, Mais, Weizen und Gerste – ein Großteil davon geht | |
als Tierfutter auf den Weltmarkt oder wird in Biogasanlagen eingesetzt. | |
Nicht einmal 400 Hektar Acker in Brandenburg sind mit Biofeingemüse wie | |
Salat, Möhren und Kohlrabi bestellt, das entspricht gerade einmal der Größe | |
des Tempelhofer Felds. | |
Dabei könnte Berlin die benötigten Lebensmittelmengen theoretisch | |
vollständig aus einem Radius von 71 Kilometern Umkreis beziehen, hat Ingo | |
Zasada vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung ausgerechnet. | |
Selbst eine Komplettversorgung der 3,5 Millionen EinwohnerInnen mit | |
Bioprodukten aus Brandenburg wäre möglich, wenn nicht wie bisher 30 Prozent | |
der Produktion weggeschmissen würde, bevor sie auf den Tellern landet. | |
„Wir können nicht auf die Politik warten, wir müssen die Agrarwende | |
selber machen“, sagt Bauer Jochen Fritz, der die jährliche „Wir haben es | |
satt!“-Demo organisiert und ab kommender Woche gemeinsam mit Timo Kaphengst | |
die Regionalwert AG leiten wird. 200 AktionärInnen gibt es bereits: Der | |
Biobetrieb Apfeltraum bei Müncheberg hatte vor einigen Jahren die Sanierung | |
eines Hofgebäudes mithilfe von Anteilsscheinen finanziert. | |
Bei der letzten Hauptversammlung beschlossen die Geldgeber, sich in | |
Regionalwert AG Berlin-Brandenburg umzubenennen. Nun hoffen die beiden | |
Vorstände, bis zum Jahresende weitere 100.000 Euro einzusammeln. In den | |
kommenden Jahren peilen sie dann mehrere Millionen Euro an. „Ein | |
Spaziergang wird das nicht, aber wir sind optimistisch“, sagt Timo | |
Kaphengst, der auch den Berliner Ernährungsrat mit aufgebaut hat. | |
Einsetzen wollen sie das Geld, um kleine Produzenten und Verarbeiter zu | |
stärken und zu vernetzen. „Es gibt rund um Berlin viele landwirtschaftliche | |
Betriebe, die erst ein paar Jahre alt sind und große Probleme haben, an | |
Geld zu kommen“, berichtet Fritz. Aus Sicht der Banken ist deren | |
Investitionsbedarf zu klein, als dass sich ein Kreditberater überhaupt | |
damit beschäftigte. Auch ist es für die Höfe sehr mühsam, ihre Produkte zu | |
vermarkten. | |
„Wie kommt das Ei nach Berlin?“, bringt Fritz das Problem seines eigenen | |
Betriebs in Werder auf den Punkt. Er selbst hat neben einer | |
Wasserbüffelherde auch rund 400 glückliche Zweinutzenhühner. Sie wohnen in | |
mobilen Ställen – umgebauten Bauwagen – und haben tagsüber viel Auslauf | |
zwischen Kirschbäumen, um zu picken und zu scharren. Alle zehn Tage | |
versetzt Fritz den Zaun, damit die Tiere den Bewuchs gleichmäßig abfressen | |
und den Boden düngen. Die Eier zur Markthalle Neun und anderen | |
Verkaufsstellen zu bringen ist mühsam und zeitaufwändig. Deshalb will die | |
Regionalwert AG helfen, solche Kleinmengen von verschiedenen Höfen zu | |
bündeln. | |
„Wenn Biobetriebe ein überzeugendes Konzept haben, wollen wir sie | |
unterstützen – finanziell, aber auch informell“, so Fritz. Entscheidend | |
sei, dass es auch menschlich passt. Schließlich gehe es der Regionalwert AG | |
um langfristige Partnerschaften. Mehrere Betriebe hätten bereits ihre | |
Wünsche nach einer Käserei, einer Mosterei, Hühnermobilen oder Schafställen | |
angekündigt. Auch beim Kauf weiterer Äcker wünschen sich manche finanzielle | |
Hilfe. | |
„Wir als Bürgeraktiengesellschaft wollen zusammen mit vielen Menschen etwas | |
Großes verändern“, fasst Fritz zusammen – und wie der Bauer das sagt, | |
klingt es sehr bodenständig. Für den Nebenerwerbslandwirt und | |
Demoorganisator ist ein Hof auch ein soziales Projekt. Schon mehrere | |
Schülerpraktikantinnen haben bei ihm in die Landwirtschaft | |
reingeschnuppert, und wenn ein Zaun zu bauen ist, kann Fritz auf | |
Unterstützung von Freiwilligen setzen. „Es geht ums Gemeinschaftsgefühl und | |
darum, etwas zusammen zu bewegen. | |
Nicht nur in der Berliner Bevölkerung, sondern auch in der Politik sehen | |
die beiden Männer derzeit die Bereitschaft zu strukturellen Veränderungen. | |
Die für Verbraucherschutz zuständige Staatssekretärin Margit Gottstein | |
erarbeitet bis Ende 2018 zusammen mit der Zivilgesellschaft eine | |
Ernährungsstrategie. | |
Zudem hat der Senat im Haushalt Geld für ein Haus der Ernährung | |
eingestellt, das sich um eine gute Kantinenversorgung kümmern soll. „Die | |
Regionalwert AG ist ein Zahnrad von vielen in einem großen Netzwerk“, | |
meint Jochen Fritz. „Wir schließen die Lücke, Geld für Investitionen zu | |
beschaffen“, ergänzt Timo Kaphengst. | |
1 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
## TAGS | |
Ernährung | |
Berlin Brandenburg | |
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft | |
Gärtnern | |
Schwerpunkt Klimagerechtigkeit | |
Landwirtschaft | |
Biofach | |
Landwirtschaft | |
Landwirtschaft | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umweltprojekt für Grundschulen: Ackern mal anders | |
Mit Hilfe der Ackerdemia pflanzen Grundschulkinder Gemüse an – oft auf dem | |
eigenen Schulhof. Eine Lektion in Sachen Ernährung und Umweltschutz. | |
Klimafreundlich Essen in Berlin: Geschmack der Zukunft | |
Der Berliner Ernährungsrat setzt sich für gutes und klimafreundliches Essen | |
für alle ein – und nutzt dafür die Kollektivintelligenz in der Stadt. | |
Brandenburgs Landwirtschaft: Weniger Heuschrecken, mehr Kraniche | |
Der Ackerflächenverkauf an Investoren könnte bei Koalitionsverhandlungen in | |
Brandenburg ein Thema werden. Regionalwert AGs wollen darauf nicht warten. | |
Alternatives Wirtschaften in Mexiko: Bio-Honig auf Reisen | |
Armut und Kriminalität bestimmen den Alltag in der Mixteca-Region. Ein | |
Imker kämpft dagegen an – er hat es zur weltgrößten Biomesse geschafft. | |
Die Dürre und die Landwirtschaft: Es fehlt an Grün, an Matsch, an allem | |
In ganz Deutschland leiden die Bauern unter dem trockenen Wetter. Auch ihre | |
Rinder müssen sie früher schlachten, weil es an Futter mangelt. | |
Pestizidverseuchung auf dem Biohof: Vom Winde vergiftet | |
Drei Bauern gründen einen Biohof. Sie bestellen Beete, freuen sich auf die | |
Ernte. Dann setzt auf dem Nachbarhof ein Großbauer Pestizide ein. | |
Essay über Massentierhaltung: Ei. Ei. Eieieieiei | |
Der Gifteier-Skandal betrifft überwiegend große Farmen mit mehr als 15.000 | |
Hennen. Er zeigt, wie riskant die industrielle Geflügelhaltung ist. | |
Rückwärtsgewandte Siedler: Die rechte Landlust | |
Sie gelten als rückwärtsgewandte Elite innerhalb der Rechten. In | |
Mecklenburg haben sich sogenannte Artamanen niedergelassen. |