| # taz.de -- Erdoğan-Besuch in Berlin: T-Shirt-Freiheit beschränkt | |
| > Der türkische Staatschef Erdoğan fordert die Festnahme des Journalisten | |
| > Can Dündar. Merkel beklagt Differenzen. Ein Reporter wird abgeführt. | |
| Bild: Abgeführt: der Journalist Adil Yiğit | |
| Berlin taz | Recep Tayyip Erdoğan lächelt, als zwei BKA-Beamte in Zivil den | |
| Fotografen aus dem Saal zerren. Gegen Ende der Pressekonferenz hat sich der | |
| Mann ein T-Shirt übers Hemd gezogen, „Pressefreiheit für türkische | |
| Journalisten“, steht darauf, und so gekleidet schoss er in der ersten Reihe | |
| seine Fotos. Zu viel für die Sicherheitsleute: Erst forderten sie ihn auf, | |
| das Shirt wieder auszuziehen und sich nach hinten zu setzen. Weil er sich | |
| weigerte, führen sie ihn jetzt ab. | |
| Adil Yiğit heißt der Mann. In den 1970er Jahren schloss er sich in der | |
| Türkei militanten Marxisten an, später beantragte er in Frankreich Asyl und | |
| landete schließlich in Deutschland. Heute arbeitet er als Journalist, | |
| schreibt gelegentlich für die Hamburgausgabe der taz über die türkische | |
| Community und ist Herausgeber des Erdoğan-kritischen Onlinemagazins | |
| [1][Avrupa Postası]. | |
| „Ich wollte Erdoğan in die Augen schauen und ihm meinen Protest zeigen“, | |
| sagt Yiğit nach der Pressekonferenz der taz. „Er und seine Leute sperren | |
| seit Jahren Journalisten ein, aber mir können sie nichts vorschreiben. Es | |
| reicht!“ | |
| Und damit wären wir auch schon bei dem Thema, dass den [2][Staatsbesuch des | |
| türkischen Präsidenten am Freitag] dominiert: die Pressefreiheit. Erdoğan | |
| selbst hat es quasi auf die Tagesordnung gesetzt. Am Montag schickten die | |
| türkischen Behörden ein Ersuchen nach Berlin. Sie forderten die | |
| Auslieferung des Journalisten Can Dündar, der in der Türkei wegen seinen | |
| kritischen Recherchen verfolgt wird und mittlerweile in Deutschland lebt | |
| und arbeitet. Am Donnerstagmorgen wurde das Ersuchen publik, und damit war | |
| das zentrale Thema des Tages gesetzt. | |
| „Can Dündar ist ein Agent, der Staatsgeheimnisse verraten hat“, sagt | |
| Erdoğan am Mittag während seiner Pressekonferenz mit Angela Merkel im | |
| Kanzleramt. „Das ist eine Straftat. Diese Person müsste eigentlich in Haft | |
| sein.“ | |
| Dündar selbst hatte eigentlich vor, selbst zur Pressekonferenz zu kommen | |
| und von dort zu berichten. Am Vormittag berichtete die Bild-Zeitung aber, | |
| dass die türkische Seite dem Kanzleramt eine Ansage gemacht habe: Wenn | |
| Dündar kommen dürfe, nehme Erdoğan nicht an der Pressekonferenz teil. | |
| Daraufhin sagte der Journalist selbst ab: Wenn er zu dem Termin komme, | |
| werde er selbst zur Nachricht. Da bleibe er lieber fern. | |
| ## Erdoğan fordert Auslieferungen | |
| Dündar ist nicht der einzige Regierungskritiker, den die türkischen | |
| Behörden gerne in die Finger bekommen würden. Türkische Medien berichten | |
| von einer Liste mit 69 Personen, die diese Woche ebenfalls nach Berlin | |
| ging. Auch diese Personen solle die Bundesrepublik ausliefern. Erdoğan | |
| selbst spricht im Kanzleramt von Tausenden PKK-Mitgliedern und Hunderten | |
| Gülen-Anhängern in Deutschland. „Es gibt ein Auslieferungsabkommen zwischen | |
| unseren Ländern“, sagt er. „Für die Sicherheit beider Länder ist es sehr | |
| wichtig, dass das auch umgesetzt wird.“ | |
| Und was wird aus den deutschen Staatsbürgern, die noch immer aus | |
| politischen Gründen in türkischen Gefängnissen sitzen? Von sechs Fällen | |
| spricht die Bundesregierung aktuell. Angela Merkel drängte am Vormittag im | |
| Gespräch mit Erdoğan auf deren Freilassung. Der türkische Präsident blockt | |
| aber ab: In die Justiz könne er sich nicht einmischen. „Die Gerichtsbarkeit | |
| ist unabhängig. Die Urteile muss man respektieren.“ | |
| In der Pressekonferenz wird Merkel an dieser Stelle deutlich. „Bei allem | |
| Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz“, sagt sie, wünsche sie sich | |
| doch, dass „gewisse Prozeduren anders laufen würden“. Es sei ein Problem, | |
| wenn viele Menschen ohne Anklage und Verfahren in Gefängnissen säßen. Auch | |
| in anderen Fragen gebe es „tiefgreifende Differenzen“ zwischen beiden | |
| Seiten. Dass es über den Fall Dündar „unterschiedliche Meinungen gibt | |
| zwischen mir und dem Präsidenten der Türkei, das kann ich bestätigen“. | |
| Merkel kritisiert ihren Gast aber nicht nur. Zu wichtig ist ihr die Türkei | |
| als Partner. Es gebe eine Menge gemeinsamer Interessen – in | |
| Migrationsfragen zum Beispiel, bei der Terrorabwehr und im Syrienkonflikt. | |
| Am Donnerstag vereinbarte sie mit Erdoğan einen Vierergipfel. Gemeinsam mit | |
| den Präsidenten Frankreichs und Russlands wollen sie im Oktober über die | |
| Lage um die Rebellenhochburg Idlib sprechen. | |
| Weil Merkel auf Erdoğan als Partner nicht verzichten möchte, kommt sie ihm | |
| schließlich auch noch entgegen. Mit dem Wunsch nach wirtschaftlicher Hilfe | |
| kam der türkische Präsident nach Berlin. Im Detail werden er und die | |
| Kanzlerin erst während eines Arbeitsfrühstücks am Samstag über das Thema | |
| reden. Zwei Pläne bestätigten beide aber schon am Freitag: | |
| Wirtschaftsminister Peter Altmeier wird im Oktober mit einer großen | |
| Unternehmerdelegation in die Türkei reisen. Und die gemeinsame | |
| deutsch-türkische Wirtschaftskommission wird bald zum ersten Mal seit | |
| Langem wieder tagen. „Deutschland hat ein Interesse an einer wirtschaftlich | |
| stabilen Türkei“, sagt Merkel dazu im Kanzleramt. Und daran ändern offenbar | |
| auch Erdoğans Auslieferungswünsche nichts. | |
| 28 Sep 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
| Ali Çelikkan | |
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