| # taz.de -- Journalismus und Glaubwürdigkeit: Gefangen in der Blase | |
| > Viele Deutsche vertrauen den Medien kaum. Doch statt zu recherchieren, | |
| > woran das liegt, reden wir mit anderen Journalisten – über Journalismus. | |
| Bild: Vor allem mit der Berichterstattung über rechte Kundgebungen tut sich di… | |
| Die Frage „Wie viel Vertrauen haben Sie in die Medien?“ beantworten 52 | |
| Prozent der Deutschen mit wenig oder gar keins. 52. Das ist eine große | |
| Zahl. 52 Prozent ist die Mehrheit. | |
| Der Wert aus dem neuen ARD-Deutschlandtrend spiegelt, was in der Debatte um | |
| die Rolle der Medien vor sich hinbrodelt. Irgendwie scheinen sich Menschen | |
| und Medien entfremdet zu haben. Woran liegt das? An der AfD, Pegida, den | |
| „Lügenpresse“-Rufern? Am Internet, das inzwischen jedem die Möglichkeit | |
| bietet, nur noch Nachrichten zu lesen, die ins eigene Weltbild passen? | |
| Der US-amerikanische Journalistikprofessor Jay Rosen hat sich für die | |
| Robert Bosch Stiftung in einem Gastbeitrag in der FAZ den deutschen | |
| Journalismus angeschaut und viel Ratlosigkeit gefunden. Dafür hat er | |
| Interviews mit 53 JournalistInnen geführt, vom ehemaligen Bild-Chef Kai | |
| Diekmann bis zum Bildblog-Gründer Stefan Niggemeier und festgestellt: die | |
| Frage nach der Haltung im Journalismus stellen sich viele so drängend wie | |
| nie zuvor. | |
| Für Rosen stützt sich der deutsche Journalismus auf fünf Säulen: den hohen | |
| Stellenwert der Pressefreiheit; die Überzeugung, dass Persönlichkeitsrechte | |
| und Opferschutz wichtiger sind als ungehinderte Berichterstattung; die | |
| Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Außerdem das Ziel, | |
| Demokratie, Rechtsstaat und Minderheiten zu schützen und Objektivität: | |
| Distanz wahren und cool bleiben. Und mit dem cool bleiben, findet Rosen, | |
| haben viele JournalistInnen beim Berichten über RechtspopulistInnen ein | |
| Problem. | |
| Inzwischen, schreibt Rosen, werde in den Redaktionen „intensiv darüber | |
| debattiert, wie über Rechtspopulismus berichtet werden soll“ und „was mit | |
| Blick auf die wachsende Kluft zwischen Journalisten und Öffentlichkeit zu | |
| tun ist, die weit über die Anhänger von AfD und Pegida hinausgeht.“ | |
| Kurz gesagt: alle sind aufgeregt, keiner weiß, was er tun soll und eine | |
| Lösung ist nicht in Sicht. Und das ist völlig ok so. Der Diskurs, das | |
| Ringen um die richtige Haltung ist grundlegender Bestandteil einer | |
| Demokratie und damit auch jedes Mediums in einer Demokratie. Die eine | |
| richtige Lösung gibt es nicht. Wären die deutschen Medien einheitlich der | |
| Meinung, den richtigen Umgang mit Rechten gefunden zu haben, wäre das wohl | |
| viel eher Grund zur Sorge. | |
| ## Wir und die | |
| Das Problem, das journalistisch bei Rechten auftaucht, liegt an zwei von | |
| Rosens Säulen. Auf der einen Seite steht das Interesse, die Demokratie und | |
| die freien Medien zu schützen, wenn mal wieder jemand fordert, die | |
| „Systempresse“ abzuschaffen. | |
| Gleichzeitig erfordert die Tatsache, dass man genau das, „Systempresse“, | |
| nicht ist und alle Meinungen abbildet, Parteien wie die AfD so objektiv wie | |
| möglich zu betrachten. Der Zwiespalt ist nur natürlich und die Lösung liegt | |
| wie immer irgendwo in der Mitte. Wo genau, müssen Medien und Gesellschaft | |
| immer wieder neu ausloten und zwar ohne, dass JournalistInnen an der | |
| Lebensrealität der Menschen vorbeischreiben. | |
| Vor allem ist die Debatte um Rosens Text aber mal wieder eine völlig | |
| selbstreferenzielle: Ein Journalist redet mit JournalistInnen. Über | |
| Probleme des Journalismus. Danach spricht darüber vor allem ein Haufen | |
| JournalistInnen. Und eine Journalistin schreibt diesen Text für die taz. | |
| Klingt verdächtig nach Journalistenblase. | |
| Die Diskussion über die Distanz der Medien von der Öffentlichkeit läuft | |
| meistens nach eben diesem Schema: Wir, die Journalisten und „die“ da | |
| draußen. Durch diese Einteilung wächst die Kluft nur. Denn wer ständig | |
| damit beschäftigt ist, sich selbst zu finden, dem hört keiner mehr zu. | |
| Die Diskussion muss deshalb raus aus den Redaktionen und auf die Straße, | |
| genauso wie die JournalistInnen auch. Sie muss offen sein und alle | |
| Mitglieder der Gesellschaft miteinbeziehen. Die Debatte transparent zu | |
| führen, bringt Glaubwürdigkeit zurück. Und während sich Politik, | |
| Gesellschaft und Journalismus weiterentwickeln, muss auch die Diskussion | |
| vor allem eins: weitergehen. | |
| Die Menschen, die großes oder sehr großes Vertrauen in die Medien haben | |
| sind übrigens immerhin 47 Prozent. Und seit 2014 werden es immer mehr. | |
| 9 Sep 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Spelsberg | |
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