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# taz.de -- Asylbewerber in Ausbildung: Auf Almosen angewiesen
> Infolge einer Gesetzeslücke erhalten Geflüchtete, deren Asylverfahren
> noch läuft, keine zusätzliche Unterstützung während ihrer Ausbildung.
> Niedersachsen will das ändern.
Bild: Franzbrötchen gelingen besser, wenn der Bäcker nicht hungern muss
HANNOVER taz | Idris* will seine Ausbildung auf keinen Fall abbrechen. Die
Arbeit mit den Händen liegt ihm. Er mag es, in der Backstube den Teig zu
kneten und Brötchen daraus zu formen. „Ich sehe, was ich arbeite“, sagt er.
Der 19-Jährige hat viel für seine Bäckerlehre getan. Er kam vor drei Jahren
als Analphabet nach Deutschland. In Afghanistan hatte er nicht einen
einzigen Tag die Schule besucht. In der kleinen Gemeinde im Speckgürtel
Hannovers, in der er nun lebt, hat Idris nicht nur Deutsch gelernt, sondern
auch Lesen und Schreiben. Trotzdem hat der Afghane ein Problem: Er kann
sich seine Ausbildung eigentlich nicht länger leisten, weil er in eine
Gesetzeslücke fällt.
Auf der Terrasse eines Backsteinhauses im nahen Burgwedel ranken die
Tomatenpflanzen in die Höhe. Die meisten Früchte sind noch grün. Auf dem
Tisch steht ein Teller mit Datteln, Rosinen und Nüssen.
Idris, ein schlanker junger Mann mit kurzen braunen Haaren, ist fast jeden
Tag hier bei seiner ehrenamtlichen Unterstützerin Regina Gresbrand, die er
nur „Oma“ nennt. Sie lernen zusammen die Zutaten für einen Hefeteig oder
für den nächsten Mathetest in der Berufsschule. Die 69-Jährige ist es aber
auch, die ihn finanziell über Wasser hält. Sie hat in ihrem Bekanntenkreis
Spenden gesammelt, um Idris einen monatlichen Zuschuss zahlen zu können.
In seiner Ausbildung verdient er rund 400 Euro. Hinzu kommt eine sogenannte
Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) von 280 Euro. Nach Abzug der Miete für
seine Wohnung, der Fahrkarte für den Weg zur Schule und der Nebenkosten
bleiben ihm rund 96 Euro im Monat. „Das reicht nicht zum Leben“, sagt
Gresbrand.
Die Stadt Burgwedel hatte Idris eine zusätzliche Unterstützung für seinen
Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verwehrt. Die
rechtliche Lage ist kompliziert. Im Fall von Geflüchteten, die eine
Ausbildung machen, zieht das Sozialgesetzbuch. Das aber schließt Lehrlinge
von weiterer Unterstützung aus, wenn sie, wie Idris, bereits
Berufsausbildungsbeihilfe bekommen und noch keine Duldung haben, weil ihr
Asylverfahren noch läuft.
Das bedeutet, dass abgelehnte Asylbewerber Geld bekommen, und Menschen,
deren Verfahren noch läuft, nicht. Eine Ausnahme gilt nur für Härtefälle.
Als solche sah die Stadt Burgwedel Idris aber trotz seiner finanziellen
Notsituation nicht an. Das geht aus einem Schreiben der Stadt hervor, das
der taz vorliegt.
Christina Kreutz, die Pressesprecherin der mittlerweile zuständigen Region
Hannover erklärt das mit Blick auf die bisherige Rechtssprechung so: Ein
Härtefall habe bisher vorgelegen, wenn jemand wegen einer Krankheit,
Behinderung oder Schwangerschaft die Förderhöchstdauer überschritten habe.
„Selbst ein drohender Abbruch einer Ausbildung genügte danach bisher
nicht“, sagt Kreutz.
Der Gesetzgeber habe den Betroffenen zugemutet, ihren Lebensunterhalt durch
einen Zweitjob aufzubessern. Die Region halte davon wenig und begrüße, dass
das Landessozialgericht die Rechtslage kürzlich zugunsten von Geflüchteten
in Ausbildung ausgelegt hat.
Idris hat das mit dem Nebenjob versucht. Ganz zu Beginn seiner Ausbildung
hat er nebenbei als Tellerwäscher in einem Restaurant gearbeitet. „Er hat
in den drei Wochen sechs Kilo abgenommen“, sagt Unterstützerin Gresbrand.
„Das war zu viel“, meint auch Idris. Wegen der frühen Arbeitszeiten als
Bäcker hatte er mit dem Nebenjob kaum noch Schlaf bekommen.
## Konkretisierte Gesetze
Die Gesetzeslage wirke sich negativ auf die Integration aus, findet
Gresbrand. „Wenn er hinschmeißt und sich ins Bett legt, bekommt er wieder
Geld.“ Ihm stünden dann Asylbewerberleistungen zu. Auch die Region Hannover
ist damit unglücklich. „Wir erwarten von den politischen
Entscheidungsträgern entsprechende Regelungen“, sagt Sprecherin Kreutz.
Es handelt sich dabei um Bundesgesetze. Das Land Niedersachsen kann jedoch
mit Erlassen die Ausgestaltung der Gesetze konkretisieren. So hat das
niedersächsische Innenministerium im Oktober 2017 eine andere Gesetzeslücke
geschlossen. Menschen, die theoretisch berechtigt wären, Bafög zu beziehen,
können seither eine Unterstützung für den Lebensunterhalt nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz bekommen.
## Arbeitsgruppe auf Bundesebene
Weiterhin besteht die Lücke aber für Geflüchtete wie Idris, die eine
Beihilfe zum Ausbildungsgehalt (BAB) bekommen und trotzdem nicht davon
leben können. Darüber, wie viele Menschen in Niedersachsen davon betroffen
sind, hat das Innenministerium keine Zahlen.
Das Problem ist aber bekannt. Das Ministerium habe deshalb eine
Arbeitsgruppe auf Bundesebene ins Leben gerufen, sagt Sprecherin Svenja
Mischel. Dort würden Lösungsansätze diskutiert. Ende September solle es
einen Beschluss geben.
Die Region Hannover will Idris, der sich mit einem Anwalt gegen die
Einschätzung der Stadt Burgwedel gewehrt hatte, nach eingehender Prüfung
nun doch als Härtefall einstufen. Das kündigte Sprecherin Kreutz der taz
an: „Die Rechtsauslegung – auch aufseiten der Gerichte – ist heute weniger
strikt als vor ein paar Monaten, sodass es mehr Spielraum für eine
Entscheidung gibt.“
## Acht weitere Fälle in der Region Hannover
Idris ist erleichtert: „Man braucht in Deutschland eine Ausbildung, damit
dein Chef dir vertraut“, sagt er. Für Gresbrand ist das Problem jedoch
nicht vom Tisch. Sie kennt weitere acht Fälle in der Region Hannover, in
denen Geflüchtete große Geldsorgen während ihrer Ausbildung haben.
Einen weiteren jungen Mann hat sie monatlich mithilfe der Spenden
unterstützt. Nun hat ihr Verein „Kunst und Migration“ jedoch kein Geld
mehr. „Ich finde das ungerecht, dass man in unserem Sozialstaat auf Almosen
angewiesen ist“, sagt sie.
4 Sep 2018
## AUTOREN
Andrea Maestro
## TAGS
Sozialgesetzbuch
Asylrecht
Asylsuchende
Integration
Geflüchtete
Auszubildende
Azubis
Sozialgericht
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Angela Merkel
Geflüchtete
Daniel Günther
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