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# taz.de -- Verweigerte Leistungen für Asylsuchende: Existenzminimum gilt für…
> Bislang verweigerten viele Landkreise die Anpassung der Leistungen an die
> Inflation. Zu Unrecht, entschied das Landessozialgericht Niedersachsens.
Bild: Inflation trifft jeden – und besonders diejenigen, die wenig Geld haben
Bremen taz | Inflation trifft auch AsylbewerberInnen – und wenn der Bund
das ein paar Jahre lang vergisst, müssen die zuständigen Landkreise die
Leistungen eigenständig anpassen. So in etwa kann man ein Urteil des
Landessozialgerichts Bremen-Niedersachsen zusammenfassen. Wann der Einzelne
davon profitiert, hängt aber vorerst noch von der Geschwindigkeit und
Willigkeit der Landkreise und des Bundes ab – oder von der Bereitschaft des
Einzelnen, vor Gericht zu klagen.
Vorausgegangen war die Klage eines geduldeten, abgelehnten Asylbewerbers
gegen den Landkreis Cuxhaven. Neben dem Geld, das er für Miete und
Nebenkosten bekommt, hat er auch Anspruch auf Geld für den „notwendigen
persönlichen Bedarf“ – 354 Euro. Dieser Wert ist seit 2017 gleich
geblieben. Zum Vergleich: Für SozialhilfeempfängerInnen, deren
„Existenzminimum“ schon 2017 bei 407 Euro und damit über dem „notwendigen
persönlichen Bedarf“ von AsylbewerberInnen lag, ist der Wert seitdem
zweimal an die Preissteigerung angepasst worden, um insgesamt 15 Euro.
Eigentlich sieht auch das Asylbewerberleistungsgesetz eine solche
regelmäßige Anpassung vor – jeweils zum 1. Januar. Bisher allerdings hatten
die Landkreise sich auf einen weiteren Satz des Gesetzes gestützt, der da
lautet:„Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt […] die Höhe d…
Bedarfe für das folgende Kalenderjahr im Bundesgesetzblatt (BGB) bekannt.“
Allerdings hatte der Bund zwischen 2017 und Frühjahr 2019 keine Anpassung
mehr bekanntgegeben. Wegen der Bundestagswahl hatte das Parlament schlicht
nicht rechtzeitig über eine neue Festsetzung entschieden. Die Landkreise
folgten den veralteten Angaben.
„So ist die Schere zwischen Asylbewerbern und Sozialhilfeempfängern
inflationsbedingt wieder weiter auseinandergegangen, als sie das eigentlich
sollte“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
## Fast 20 Jahre ohne Erhöhung
Von 1993 an gab es eine ähnliche Situation: Fast 20 Jahre lang bekamen
AsylbewerberInnen einen gleich bleibenden Betrag ausgezahlt – erst 2012
hatte das Bundesverfassungsgericht dem ein Ende bereitet. Im Urteil wurde
damals derselbe Erhöhungsmechanismus wie für andere Sozialleistungen
festgeschrieben.
Im Fall des Asylhilfeempfängers aus Cuxhaven entschied das Sozialgericht:
Dem Geduldeten stünden monatlich sechs Euro mehr zu. Da das Urteil sich nur
auf einen Bewilligungszeitraum beziehen konnte, galt es nur für Juni bis
August 2018 – für drei Monate also, für die dem Kläger ganze 18 Euro
zugesprochen wurden.
Statt das Urteil umzusetzen, wählte der Landkreis Cuxhaven aber einen Umweg
– er senkte die Stromkosten des Betroffenen, der so mehr Geld zur Verfügung
hatte, als ihm das Urteil bewilligt hätte. Dem Antrag des Klägers wurde so
entsprochen, ohne dass der Landkreis den Anspruch rechtlich anerkannt
hätte.
Eine Berufung war damit nicht mehr möglich. Trotzdem hat sich das
Landessozialgericht des Themas noch einmal angenommen und ebenfalls
entschieden: Leistungen müssen auch unabhängig von Bekanntgaben des Bundes
angepasst werden. Schließlich gelte das „Grundrecht auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum“, so das Gericht.
Amtsleiterin Sabine Sprunck vom Landkreis Cuxhaven lacht auf, als sie von
dem Urteil hört. Eigentlich will sie sich nicht äußern, verrät dann aber
doch: „Wir als Landkreise haben hier landauf, landab eine andere Auffassung
als das Gericht.“
Wenn die Landkreise nicht willig sind, Konsequenzen aus dem Urteil zu
ziehen, könnte das zum Problem werden: Das Landessozialgericht hat damit
nur einen „Ausblick auf die voraussichtliche Rechtssprechung“ gegeben. Die
Betroffenen müssten ihr Geld einklagen – jeweils für den beklagten
Bewilligungszeitraum, also drei Monate.
Theoretisch könnten die Landkreise das Thema also aussitzen und abwarten.
Klug wäre das allerdings nicht: „Wenn sie so weitermachen, wird es jede
Menge neuer Klagen geben“, prognostiziert Richter Carsten Kreschel vom
Landessozialgericht. Die Prozesskosten müssten dann voraussichtlich die
Landkreise zahlen.
4 Jul 2019
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Sozialgericht
Asylrecht
Asylsuchende
Existenzminimum
Landkreise
Asylrecht
Asylsuchende
Sozialgesetzbuch
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