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# taz.de -- Dienstjahre in Sportvereinen?: Freiwillig in die Pflicht genommen
> Der organisierte Sport in Deutschland profitiert von Freiwilligen. Jetzt
> wird über Wehrpflicht und Dienstjahr diskutiert. Welche Folgen kann das
> haben?
Bild: Nicht selten lebt auch das Kinderturnen von jungen Leuten, die ihr freiwi…
Als im Jahr 2011 die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt wurde, endete damit
automatisch auch der Zivildienst. Soziale Einrichtungen sahen sich
plötzlich vor Probleme gestellt, denn die in aller Regel engagierten jungen
Männer, die nicht zur Bundeswehr wollten, fehlten plötzlich.
Nun wird über die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres [1][für
junge Menschen diskutiert], das nicht nur in Kindergärten, Altenheimen und
Jugendzentren absolviert würde, sondern auch in Sportvereinen und
-organisationen. Bis 2011 hatte es, allerdings wenig bekannt, die
Möglichkeit gegeben, dort den Zivildienst abzuleisten. Auch Spitzensportler
konnten so ihre Karriere weiterverfolgen.
Mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Bundesfreiwilligendienst
(BFD) existieren derzeit zwei Möglichkeiten, sich ein Jahr lang zu
engagieren – auch im Sport. Wie wichtig sind sie derzeit für die Vereine,
und wäre eine allgemeine Dienstverpflichtung für sie eine attraktive
Alternative? Jan Holze, Vorsitzender der Deutschen Sportjugend, hatte
bereits zu Beginn der Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht deutliche
Worte gefunden. „Wir benötigen keinen Pflichtdienst“, hatte er gesagt und
stattdessen gefordert, „die bereits vorhandenen Freiwilligendienste
auszubauen“.
Die Resonanz habe ihn durchaus erstaunt, sagt Holze nun, einige Wochen
später. „Viel Zustimmung kam von jungen Menschen, die das Thema ja nun
besonders betrifft, während ältere eher zurückhaltend reagierten.“
Gegenüber der taz konkretisiert Holze: „Im Sportbereich haben wir mehr
Anfragen als Plätze, die Nachfrage ist um 50 Prozent höher als das Angebot
– in den großen Verbänden wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg
sind schon ab Mai alle Plätze für den kommenden Herbst besetzt.“
Nach wie vor sei „die Sportorganisation der Bereich, der die meisten
Engagierten anzieht“, erklärt Holze weiter. Entsprechend sei dort auch die
Zahl der Abbrecher geringer als in den anderen Sparten. „Insgesamt beendet
ein Drittel der Bundesfreiwilligendienstleistenden das Engagement
vorzeitig, im Sport sind es dagegen weniger als 20 Prozent.“
## Pflichtdienst nutzt Vereinen nicht
Gleichwohl müsse auch dort auf die veränderten Bedürfnisse junger Menschen
reagiert werden: „Wir stellen fest, dass andere Rahmenbedingungen notwendig
sind. Für junge Menschen, deren heutige Lebensmodelle andere sind als vor
10, 20 Jahren, ist der Sport zunehmend attraktiv für kurzfristiges
Engagement, vor allem wenn es um konkrete Aufgaben geht“, stellt Holze
fest. „Sich vier Jahre lang als Schatzmeister in einem Verein zu
engagieren, ist für viele, die beispielsweise zur Arbeit pendeln müssen,
fast unmöglich – dafür helfen sie zum Beispiel dann begeistert bei der
Organisation eines Sportfestes mit und steigen damit vielleicht in eine
Engagementkarriere ein.“
Ein sozialer Pflichtdienst nutze Vereinen dagegen nicht, sagt Holze:
„Freiwillige sind motiviert – jemand, der sich praktisch zwangsweise
bewirbt, kann dagegen schnell zu einer Belastung werden. Die Leidenschaft,
die ein Engagement, insbesondere die Arbeit mit Menschen – auch im Sport –
einfach braucht, ist bei Zwang nicht zu erwarten.“
Besonders ärgert sich Holze aber darüber, dass die derzeit bestehende
Förderung von jungem Engagement zur Disposition steht: „In einem Projekt
geht es beispielsweise darum, junge Menschen mit Behinderung dabei zu
unterstützen und zu motivieren, Verantwortung in Vereinen zu übernehmen.“
Es wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
finanziert – noch, denn die Förderung läuft Ende des Jahres aus.
„Hier würde ich mir eine Fortsetzung wünschen, denn wir brauchen diese
gezielte Förderung von Menschen mit erschwerten Zugangsbedingungen, um sie
an ein Engagement im Sport heranzuführen. Bevor man Pseudodebatten führt,
sollte man einfach mal nachschauen, welche Erkenntnisse und Erfahrungen
dabei helfen können, die Rahmenbedingungen für Freiwillige, die diese
Gesellschaft unbedingt braucht, weiter zu verbessern – und entsprechende
Aktivitäten verstärkt fördern. Damit wäre viel mehr gewonnen.“
## Keine Abbrecher
13 Freiwillige sind pro Jahr beim FC St. Pauli engagiert, wie Michel Welke,
sportlicher Leiter bei den „Rabauken“, berichtet. Die Zahl der Bewerbungen
ist allerdings weitaus größer, zwischen 100 und 150 sind es normalerweise –
in diesem Jahr wurde erstmals ein BewerberInnentag veranstaltet, bei dem
die potenziellen Freiwilligen sich und ihre Fähigkeiten vorstellen konnten.
„Wir haben klare Kriterien, dazu gehören Volljährigkeit, eine Trainerlizenz
und auch der Führerschein“, sagt der 31-Jährige, der neben der sportlichen
Leitung auch die pädagogische Begleitung der Freiwilligen übernimmt, denn
zum Tätigkeitsbereich gehört nicht nur das Training der Kinder zwischen 6
und 13 Jahren im Rahmen der Fußballschule, sondern auch die Kooperation des
Vereins mit rund 40 Hamburger Grundschulen. Dort können die Kids
nachmittags als Neigungskurs „St.-Pauli-Training“ wählen.
Abbrecher habe es bislang noch nie gegeben, erklärt Welke ein bisschen
stolz. „Die meisten Freiwilligen haben aber auch ein grundsätzliches
Interesse an der Arbeit in einem Sportverein und wollen perspektivisch ein
entsprechendes Studienfach belegen oder suchen einen Einstieg als Trainer.“
Langeweile brauchen sie überdies nicht zu befürchten, „bei uns sind sie gut
ausgelastet, wir bieten wirkliche Vielfalt – und Einblicke in fast alle
Bereiche, bis hin zur Unterstützung des Platzwartes, ins Sozialmarketing
und Mithilfe bei unserem Projekt mit geflüchteten Kindern. Ebenso
unterstützen wir unser Nachwuchsleistungszentrum durch zum Beispiel
Fahrdienste für die Toptalente.“
Das Engagement der Freiwilligen müsse arbeitsmarktneutral sein, bestätigt
Welke, „in allen Bereichen sind sie bei uns daher immer nur unterstützend
tätig; der vorgesehene Trainer ist beispielsweise ständig dabei.“
Eigentlich würden die Dienste der Freiwilligen aber sogar Arbeitsplätze
generieren, findet Welke, „denn manches würde man ohne fest eingeplante
Unterstützung gar nicht ausgebaut bekommen.“
## Komplett ehrenamtlich geführt
Zugleich gibt er zu, dass kleinere Vereine den engagierten jungen Menschen
natürlich nicht die professionellen und vielfältigen Möglichkeiten bieten
können, die der FC St. Pauli hat: „Wir wollen ihre Hilfe gut nutzen, ohne
sie zu benutzen oder auszunutzen“, betont Welke, daher werden eine
Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel sowie eine Karte für
Heimspiele bereitgestellt. „Und außerdem bieten wir an, dass sie die
B-Lizenz im Fußball machen können, wenn sie das möchten – natürlich auch
ein bisschen mit der Hoffnung verbunden, dass sie uns beziehungsweise dem
Fußball danach vielleicht als Trainer erhalten bleiben.“
Wie aber sieht es bei kleinen Breitensportvereinen aus, kann man dort von
FSJ und BFD profitieren? Der 1885 gegründete TDK Duisburg bietet seinen
knapp 500 Mitgliedern von A wie Abenteuerspielplatz (dabei werden die in
Turnhallen vorhandenen Geräte kreativ eingesetzt) bis W wie Wassergymnastik
ein umfangreiches Programm. Nein, sagt Geschäftsführer Hans-Georg Drayß,
„an uns ist noch niemand herangetreten, aber ich wüsste auch gar nicht, was
wir Freiwilligen anbieten könnten.“
Der Verein wird komplett ehrenamtlich geführt, vom Vorstand bis zu den
Übungsleitern engagieren sich rund 30 Menschen, ohne dafür bezahlt zu
werden. „Sportlich sind wir komplett besetzt, wir versuchen, unseren
Mitgliedern in allen Altersklassen etwas zu bieten, für die Betreuung von
Freiwilligen bliebe gar keine Zeit. Und in anderen Bereichen, zum Beispiel
der Geschäftsführung, ist auch nicht so viel zu tun, das schafft man allein
– da noch jemanden reinzuquetschen, der helfen soll, wäre kontraproduktiv.“
Und daran würde auch ein eventuell eingeführtes soziales Dienstjahr nichts
ändern: „Jemanden dafür zu bezahlen, dass er oder sie Ehrenamtlichen
Unterstützung zukommen lässt, die gar nicht gebraucht wird, das geht
einfach nicht.“
## Der Gesellschaft etwas zurückgeben
Bei Makkabi Frankfurt, einem der größeren jüdischen Sportvereine in
Deutschland, wirbt man dagegen auf der Website um junge Menschen, die sich
für das FSJ oder den BFD interessieren. Geboten wird nicht nur Mithilfe
beim Trainings- und Spielbetrieb in allen Abteilungen, sondern auch bei
Organisatorischem wie Reise- und Eventplanung.
Für Vereinspräsident Alon Meyer, der gleichzeitig Präsident des
Dachverbandes der deutschen Makkabi-Vereine ist, sind die Freiwilligen „ein
echter Zugewinn“. Seit rund neun Jahren bietet der Verein für sie Stellen
an, „ohne sie wäre vieles definitiv schwieriger“, sagt er. Die
Zugangsvoraussetzungen halte man dabei bewusst gering. „es bewerben sich ja
ohnehin meistens Leute, die sehr sportaffin sind“. Manchmal breche jemand
ab, „manchmal muss man sich von jemandem trennen“, berichtet Meyer, „das
ist auch schon der große Unterschied zum Zivildienst früher“.
Ein generelles soziales Dienstjahr hält Meyer für „sehr wichtig.“ So werde
ein Bewusstsein vermittelt, dass man der Gesellschaft etwas zurückgeben
solle. Zudem sei Engagement auch immer „ein Verständigungsprojekt: wir
haben beispielsweise nicht nur jüdische Bewerber, sondern auch sehr viele
nichtjüdische und darunter eine Menge muslimische. Ttrotz mancher
Unterschiede gemeinsam, Hand in Hand, zu arbeiten und etwas zu erreichen,
ist doch immer eine gute Erfahrung.“
20 Aug 2018
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## AUTOREN
Elke Wittich
## TAGS
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Freiwillige
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