# taz.de -- Unbesetzte FSJ-Stellen in Bremen: Freiwillige fehlen jetzt schon | |
> Nur wenige Jugendliche haben sich in den vergangenen Corona-Monaten in | |
> Bremen auf ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) beworben. | |
Bild: Freiwillige ökologische Jahre sind noch halbwegs beliebt. In der Altenpf… | |
BREMEN taz | Händeringend suchen soziale Träger, kulturell und ökologisch | |
tätige Organisationen nach jungen Erwachsenen für ein freiwilliges soziales | |
Jahr (FSJ). „Nur für etwa 40 Prozent der rund 700 Stellen in Bremen liegen | |
derzeit Bewerbungen vor“, sagt Andreas Rheinländer. Der Geschäftsführer des | |
gemeinnützigen Sozialen Friedensdienstes Bremen (SFD) ist bei der | |
Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligendienste zuständig für die FSJler. | |
„In den letzten Jahren waren zu diesem Zeitpunkt schon die meisten Plätze | |
vergeben“, sagt er, schließlich beginnt das einjährige Praktikum für 17- | |
bis 25-Jährige im August. | |
Dass die Nachfrage das Angebot deutlich überschreite, sei aber schon längst | |
nicht mehr der Fall, berichtet Rheinländer. „Die Bewerberzahlen sind stark | |
rückläufig“, sagt Gabriele Meineke, Assistenz der Geschäftsführung bei der | |
Werkstatt Bremen. „Jugendliche gucken heutzutage nach ihrer Schulzeit | |
lieber erst mal die Welt an oder legen eine Pause ein“, erklärt sie. Nur 13 | |
von 25 FSJ-Plätzen seien in der Werkstatt derzeit besetzt. Besser wird das | |
in naher Zukunft nicht: Für die nächsten zwölf Monate habe noch niemand | |
unterschrieben. | |
Die noch verschärfte Situation 2020 hat für Rheinländer vor allem einen | |
Grund: Corona. Krisenbedingt war das Ende des Schuljahres lange Zeit | |
unklar, Schulabschlüsse wurden nach hinten verschoben. Das Abitur läuft bis | |
29. Mai, Nachschreibetermine gibt es bis 20. Juni. Etwa die Hälfte der | |
FSJler seien Abiturienten, so Rheinländer, die mit dem Engagement gern die | |
Wartezeit auf einen Studienplatz berufsorientierend nutzen. | |
„Jugendliche sind grundsätzlich verunsichert, was die Zukunft angeht“, | |
meint der SFD-Chef. Veranstaltungstechnikerin lernen, Sportkarriere | |
starten, Musik studieren? Ein FSJ im Theater? Work und Travel im Ausland? | |
Vieles davon scheint in der Krise illusorisch. „Dabei wäre ein FSJ gerade | |
in dieser Situation eine sinnvolle Möglichkeit, sich darüber klar werden, | |
wie es nach dem Abschluss weitergehen soll“, sagt Rheinländer. | |
Freiwillige, die mit Alten, Kranken, Behinderten oder Kindern arbeiten, | |
bereicherten das Leben anderer unmittelbar – und 90 Prozent finden, laut | |
einer Evaluation des Bundesjugendministeriums, das FSJ habe ihre | |
persönliche Entwicklung positiv beeinflusst. Finanziell lohnt ein | |
Freiwilligendienst hingegen nicht: FSJler sind auch billige Arbeitskräfte, | |
bekommen nur ein monatliches Taschengeld von 428 Euro. Wer nicht zu Hause | |
wohnt, zahlt schnell drauf. | |
Wie dramatisch ist die Lage? Am besten sieht es noch bei den 70 Angeboten | |
im ökologischen Bereich aus – hier ist etwa die Hälfte der Stellen besetzt. | |
Von neun FSJ-Plätzen in politischen Einrichtungen sind noch sieben | |
unbesetzt. Für die sonst immer heiß begehrten zwei Stellen bei der | |
Deutschen Luft- und Raumfahrtgesellschaft hat sich noch niemand gemeldet. | |
Im Sport werden viele Stellen derzeit gar nicht ausgeschrieben, weil die | |
Vereine nicht wissen, was sie im nächsten Jahr erwartet. Und von etwa 30 | |
Kulturinstitutionen haben gerade mal sechs einen FSJler gefunden. Beim | |
Theater Bremen etwa ist von vier Stellen nur eine besetzt. Denn wer weiß | |
schon, was dort im Herbst überhaupt möglich ist? | |
Im sozialen Bereich ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) mit 100 Stellen der | |
größte Anbieter in Bremen. Die zuständige Mitarbeiterin Martina Horn | |
bestätigt, dass etwa die Hälfte der Plätze noch zu haben sei. Am besten | |
nachgefragt wären wie üblich die FSJ-Möglichkeiten im Krankenhaus und in | |
den Kitas. „Bei uns hängen an den FSJlern auch Arbeitsplätze, können wir | |
nicht alle Stellen besetzen, können wir auch nicht alle begleitenden | |
Pädagogen weiter beschäftigen“, so Horn. | |
Entspannt ist man bei der Lebenshilfe. Die Hälfte der zwölf Stellen sei | |
bereits vergeben, weitere würden folgen, heißt es, im Juli wäre das Problem | |
gelöst. Gravierender für die tägliche Arbeit aber könnte es werden, wenn | |
die acht gesuchten Auszubildenden nicht gefunden würden. „Da gibt es leider | |
auch deutlich weniger Interesse als zuletzt.“ | |
Alle Anbieter sind sich einig, ohne FSJler würden ihre Dienstleistungen | |
nicht zusammenbrechen, aber schwerer zu gewährleisten sein. „Wir brauchen | |
FSJler nicht nur als Unterstützer, sondern gerade auch, weil sie frischen | |
Wind reinbringen, neue Ideen haben, Sachverhalte anders beurteilen und uns | |
dazu bringen, über Abläufe neu nachzudenken“, erklärt Meineke für die | |
Werkstatt Bremen. Dort zeigt sich wie beim DRK, Arbeit mit beeinträchtigten | |
Menschen steht in der Beliebtheitsskala bei Jugendlichen eher unten, | |
dahinter rangieren nur noch Seniorenbetreuung und Pflege. | |
Träger und Anbieter des FSJ bedauern durchweg, dass in den letzten Monaten | |
die Jobbörsen, Berufsorientierungstage der Schulen und der Arbeitsagentur | |
sowie eigene Infoveranstaltungen ausgefallen seien als Werbeplattformen. | |
Daher hat der SFD jetzt 150 Stromkästen zum Plakatieren gemietet. Auch der | |
Elternbeirat soll noch einmal gezielt angesprochen werden. | |
2 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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