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# taz.de -- Ehrenämter in Deutschland: Arbeiten für lau
> Schwimmbad streichen, Alte pflegen, Büchereien offen halten, Essen
> ausgeben: Engagierte BürgerInnen helfen Kommunen und Wohlfahrtsverbänden
> aus der Finanzklemme.
Bild: Umsonst und draußen eilen sie zur Rettung: Ehrenamtliche des Roten Kreuz…
ENGELSKIRCHEN taz | Die Tür des Besprechungszimmers gleich neben dem
Rathauseingang steht weit offen. Drinnen fährt Hans-Willi Rudloff den
Laptop hoch und wartet auf Kundschaft. Der 62-Jährige mit dem gepflegten
Bart und dem freundlichen Umgangston ist Standortlotse in der Gemeinde
Engelskirchen. So heißen im Oberbergischen Kreis östlich von Köln die
Mitarbeiter von Freiwilligenbörsen, die hier, wie in vielen Städten und
Gemeinden, Angebot und Nachfrage nach ehrenamtlicher Tätigkeit
koordinieren. Aber nur ein-, zweimal im Monat erscheint jemand auf der
Suche nach einem Engagement. Heute ist so ein Tag.
Anne, 60, wirkt jünger, hat einmal Bankkauffrau gelernt und sucht nach
Jahren in der Familie eine Beschäftigung. Rudloff will herausfinden, was
ihr gefallen könnte. Mitarbeit im Tierheim? Eher nicht. Auch den Bürgerbus
zu steuern, der in der Gemeinde mit den vielen Dörfern den öffentlichen
Personennahverkehr ehrenamtlich ergänzt, weckt bei ihr keine Begeisterung.
Eigentlich sucht sie eine Erwerbsarbeit. Vergeblich hat sie sich bei
Altenheimen der Gegend um 400-Euro-Jobs beworben. Rudloff erwähnt „die
Konkurrenz“, den Bundesfreiwilligendienst, der seit dem 1. Juli 2011 an die
Stelle des Zivildienstes getreten ist. Aktuell sucht eine Reha-Klinik im
Ort „Bufdis“, die den Fachkräften auf den Stationen, in der Küche und im
Garten zur Hand gehen.
Als Standortlotse hat Rudloff sich vertraglich im Rahmen der
„Freiwilligendienste aller Generationen“ verpflichtet, mindestens acht
Stunden in der Woche das Engagement vor Ort zu managen. Dafür erhielt er
eine Fortbildung unter anderem in Gesprächsführung, bekommt Fahrkosten und
Büromaterialien ersetzt, ist unfall- und haftpflichtversichert, erhält
aber, anders als die „Bufdis“, kein Taschengeld.
Im teils ländlich, teils mittelständisch-industriell geprägten
Oberbergischen ist die Ressource bürgerschaftliches Engagement weitgehend
ausgeschöpft: Laut „Engagement-Atlas 2009“ des „Generali Zukunftsfonds“
sind über die Hälfte der Erwachsenen im Landkreis in irgendeiner Weise
bürgerschaftlich eingespannt – weit mehr als im bundesdeutschen
Durchschnitt von 36 Prozent.
## Die Schönheit der Landschaft
Schon immer taten sich die Menschen hier gern in Sport- und Bürgervereinen,
in Chören und Karnevalsgesellschaften zusammen. Viele nicht erwerbstätige
Frauen engagieren sich nach der Kinderphase als Lesepatinnen oder bei der
örtlichen „Tafel“. Aber es dürften noch mehr sein, findet Birgit Steuer,
zuständige Referentin in der Kreisverwaltung, denn die Bevölkerung altert,
es droht der Pflegenotstand, und ein Ende der Finanzmisere der Kommunen ist
nicht in Sicht.
Eine Etage höher im Rathaus, das in einer ehemaligen Baumwollspinnerei
untergebracht ist, sitzt Rebecca Zakaria und tüftelt an einer
Geo-Coaching-Route (GPS-Schatzsuche) für die waldreiche Engelskirchener
Umgebung, die Touristen und Einheimischen die Schönheit der Landschaft
näher bringen soll. Zuvor hat sie eine Chronik über 40 Jahre
Städtepartnerschaft zwischen Engelskirchen und dem südfranzösischen
Plan-de-Cuques geschrieben.
Rebecca, 20, aus dem benachbarten Wiehl, ist „FSJlerin“. Das heißt, sie
absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich Kultur, erhält für
ihre Vollzeittätigkeit in der Gemeindeverwaltung 300 Euro Taschengeld im
Monat und hat an insgesamt 25 Stunden Fortbildung in Kulturmanagement und
Projektentwicklung teilgenommen. Das Jahr geht jetzt zu Ende, es hat ihr
Spaß gemacht, und sie hat viele Kontakte geknüpft. Auch weiß sie jetzt,
anders als nach dem Abi vor einem Jahr, dass sie ab Herbst in Köln
Betriebswirtschaft studieren will.
## Kommunen ohne Geld
Ein paar Türen weiter erklärt Bürgermeister Gero Karthaus (SPD) die
Finanzprobleme seiner Kommune. Der Bund hat sie – wie andere Städte und
Gemeinden – mit vielen Aufgaben betraut, ohne dass entsprechende Gelder
fließen. Engelskirchen (20.000 Einwohner) hat daher schon früh zu sparen
begonnen. Ergebnis: Die Gemeindeverwaltung ist heute, bezogen auf die
Einwohnerzahl, eine der schlankesten weit und breit.
Von 130 Gemeindebediensteten vor 15 Jahren sind aktuell noch 67 übrig. „Ein
moderner Dienstleister braucht moderne Strukturen“, sagt der Bürgermeister.
Und: Er könne guten Gewissens behaupten, es seien keine regulären
Arbeitsplätze durch Ehrenamtliche verloren gegangen.
Allerdings arbeiten die Wohlfahrtsverbände, Fördervereine und Initiativen,
die jetzt die ehemals kommunalen Dienste anbieten, zum Teil oder
ausschließlich mit Ehrenamtlichen. Beispiel: Die Engelskirchener
Kindertagesstätten, die noch vor zehn Jahren in kommunaler Trägerschaft
waren, sind heute alle bei Kirchen und Verbänden angesiedelt. Sie stehen
regelmäßig beim Standortlotsen auf der Matte, um Freiwillige zu werben, die
den Kleinen vorlesen, mit ihnen spielen und musizieren, bei der
Essensausgabe helfen und ihre Grünanlagen in Schuss halten.
## Ein Stück Lebensqualität
Insgesamt sind eben doch Erwerbsarbeitsplätze abgebaut worden, darunter
viele, die auch wenig qualifizierten Arbeitslosen Beschäftigung böten. Der
Bürgermeister preist dagegen das bürgerschaftliche Engagement als ein Stück
Lebensqualität, schließlich gehe es um das Zuhause der Menschen. Das sieht
Standortlotse Rudloff ähnlich. Der ehemalige Bundeswehrbeamte ist das
Musterbild eines Ehrenamtlichen, der sich an mehreren Stellen einbringt.
Im Frühjahr hat er die Eingangshalle des „Panoramabads“ gestrichen. Die
idyllisch hoch über dem Aggertal gelegene Schwimmstätte sollte bereits 1999
aus Kostengründen geschlossen werden. „Da sind wir schwer auf die
Barrikaden gegangen“, erzählt Barbara Frank, 53, Gemeinderätin und
Vorsitzende des Fördervereins Freibad Engelskirchen. Seitdem übernehmen
Ehrenamtliche wie Rudloff und Frank einen Teil der Arbeit, verkaufen
Eintrittskarten, helfen bei der Grünpflege, streichen die Umkleideräume und
säubern die Spinde. Einsparung für die Gemeinde: mindestens 20.000 Euro im
Jahr.
Ehrenamtliche haben auch die beiden Büchereien in Engelskirchen und im
Ortsteil Ründeroth gerettet, von denen sich die Gemeinde 2004 trennen
wollte. Der Förderverein Büchereien für Engelskirchen betreibt sie jetzt in
Eigenregie. Wo zuvor mehrere Halbtagskräfte beschäftigt waren, kümmern sich
jetzt 40 Ehrenamtliche um Ausleihe, Finanzen und Neubestellungen. Es sind
fast ausschließlich Familienfrauen oder Rentnerinnen, die ihre Liebe zur
Literatur und die Freude an der Teamarbeit verbindet. Sie entlasten den
Gemeindehaushalt um weitere 28.000 Euro jährlich.
## Traditionell weiblich
Karin Stiefelhagen, stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins, klagt,
es werde immer schwieriger, Engagierte zu finden. Grund: Auch im
Oberbergischen wandeln sich die traditionellen Familienstrukturen. Frauen,
die bisherigen Stützen des sozialen und kulturellen Ehrenamts, sind
häufiger berufstätig als früher, wenn auch oft nur in Teilzeit, wie auch
Stiefelhagen selbst, die im Krankenhaus arbeitet.
Die Bücherei ist im weitläufigen, hellen Erdgeschoss der Engelskirchener
Grundschule untergebracht. Nebenan sind die Räume der OGS, der Offenen
Ganztagsschule, in der unter Regie der Caritas rund 50 Kinder nach
Schulschluss betreut werden. Neben den amtlich bestellten Pädagoginnen
arbeiten Honorarkräfte und Ehrenamtliche.
Sie bieten beispielsweise auf dem Schulhof Sport an, helfen bei der
Essensausgabe, basteln oder malen mit den Kindern. Ihr Lohn: „Dank,
Anerkennung, leuchtende Kinderaugen, höhere Lebensqualität durch
Zufriedenheit“, wie es auf der Website des Standortlotsen heißt.
Anne, die sich bei Hans-Willi Rudloff nach einer ehrenamtlichen
Beschäftigung umgeschaut hat, verlässt den Raum mit der Telefonnummer der
„Grünen Damen“, die im Engelskirchener Krankenhaus Patienten betreuen. Wenn
es ihr dort gefällt, hat sich wieder einmal eine Lücke in der sozialen
Infrastruktur des Oberbergischen geschlossen.
4 Jul 2012
## AUTOREN
Claudia Pinl
## TAGS
Vereinssport
Rentner
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