# taz.de -- Rentner für unbeliebte Jobs gesucht: Wenn Alte Alte pflegen | |
> In Oldenburg wirbt ein ambulanter Pflegedienst um Rentner. Denn es zu | |
> wenig Bewerber, aber immer mehr Pflegebedürftige. Kritik kommt von | |
> Ver.di. | |
Bild: Fachkräfte fehlen überall in der Pflege | |
HANNOVER taz | Die Löhne sind oft mies, die Arbeitsbedingungen hart. Der | |
Job des Altenpflegers ist für viele Menschen unattraktiv und der | |
Fachkräftemangel in der Pflege dementsprechend hoch. In Oldenburg wirbt ein | |
ambulanter Pflegedienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in einer | |
Zeitungsanzeige deshalb nun sogar um Rentner. „Wir versuchen eine Lösung zu | |
finden, um unsere Mitarbeiter zu entlasten“, sagt die Pflegedienstleiterin | |
Kerstin Feldmann – denn normale Bewerbungen auf freie Stellen bekomme sie | |
keine. | |
Die derzeit elf einsatzfähigen Mitarbeiter des Pflegedienstes arbeiten | |
zwölf Tage am Stück, bevor sie zwei freie Tage haben. An den Wochenenden | |
schieben sie Früh- und Spätschichten an einem Tag. „Das ist eine sehr große | |
Belastung“, sagt Feldmann – und kein Ausnahmefall in der Pflege. Gerade an | |
Wochenenden sollten die Mitarbeiter dadurch entlastet werden, dass Rentner | |
aus der Pflegebranche Schichten übernehmen. | |
An die Berufsaussteiger stellt Feldmann hohe Ansprüche, denn jeder kann den | |
körperlich anstrengenden Job nicht machen. Schließlich fahren die Pfleger | |
allein zu den Patienten nach Hause, müssen diese waschen oder im Bett | |
drehen. „Wir suchen nur Menschen, die schon in der Pflege gearbeitet haben, | |
die ausgebildet sind und wissen, was auf sie zukommt“, sagt Feldmann. | |
Kritik an der Idee, Rentner zu reaktivieren, kommt von der Gewerkschaft | |
Ver.di. In der Regel zahle das DRK in der Altenpflege nicht nach Tarif, | |
sagt die Sprecherin des Landesverbandes Niedersachsen, Lea Arnold. | |
Tatsächlich bestätigt das DRK in Oldenburg, dass die Löhne „gerade an den | |
Tarif angepasst werden“. Bisher zahlte der ambulante Dienst also weniger | |
als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vorgesehen. | |
Berufseinsteiger sollen nach dem TVöD 2.333 Euro brutto und Mitarbeiter, | |
die mehr als 15 Jahre im Beruf sind, 3.028 Euro brutto pro Monat verdienen. | |
Das Statistische Bundesamt ermittelte, dass ausgebildete Altenpfleger im | |
Durchschnitt 2.628 Euro brutto in Deutschland bekommen. Zum Vergleich: | |
Ausgebildete Krankenpfleger verdienen im Schnitt 3.036 Euro. | |
Der Beruf des Altenpflegers müsse durch bessere Arbeitsbedingungen | |
attraktiver gemacht werden, „anstatt für die arbeitsintensiven Tätigkeiten | |
auf Rentnerinnen und Rentner zurückzugreifen“, fordert Arnold – das gelte | |
vor allem für die Bezahlung. Doch gerade in der ambulanten Pflege sei der | |
Anteil privater Anbieter und damit der Preisdruck besonders hoch. | |
Zudem bestehe die Gefahr, dass für Pfleger, die in ihrem Berufsleben wenig | |
verdient haben und bei denen deshalb auch die Rente gering ist, „der Anreiz | |
groß ist, sich noch etwas dazuzuverdienen“, sagt Arnold. | |
Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege bestätigt, dass Pfleger in | |
Niedersachsen „von allen westlichen Bundesländern besonders schlecht | |
bezahlt“ würden. „Da ist der Personalnotstand hausgemacht.“ Dennoch sei … | |
Idee, auf Rentner zurückzugreifen, keine schlechte: „Es ist nicht so, dass | |
Menschen heute mit 65 Jahren körperlich alt sind.“ Da aber der Pflegealltag | |
durch viele Patienten mit mehreren schweren Krankheiten anstrengender | |
werde, müssten Pflegedienste genau überlegen, wo sie die älteren | |
Mitarbeiter einsetzten. | |
Genau das habe das DRK in Oldenburg vor, sagt Pflegedienstleiterin | |
Feldmann. Die als Minijobber angestellten Rentner bekämen „Touren, die sie | |
bewältigen können“. Das Interesse sei schon jetzt groß. Zwei Bewerberinnen | |
kämen in dieser Woche zum Probearbeiten, beide Frührentnerinnen und Anfang | |
60. Die Not, eine kleine Rente aufzustocken, stehe bei ihnen nicht im | |
Vordergrund, sagt Feldmann. „Es ging eher darum, dass sie mal wieder | |
gebraucht werden.“ | |
Für den Pflegedienst seien die zwei Kandidatinnen ein Anfang. Da aber viele | |
ihrer Kollegen um die 50 Jahre alt seien, brauche der Pflegedienst dringend | |
Nachwuchs. „Wir haben allein drei offene Ausbildungsstellen“, sagt | |
Feldmann. Doch Bewerber gebe es keine. | |
2 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
## TAGS | |
Rentner | |
Pflege | |
Fachkräftemangel | |
Bremen | |
Alten- und Pflegeheime | |
Hamburg | |
Betrug | |
Tariflohn | |
Pflege | |
Bremen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Leiharbeit in der Altenpflege: „Ich geh da nicht mehr hin!“ | |
Leiharbeitsfirmen werden für Altenpflegekräfte immer attraktivere | |
Arbeitgeber. Unter anderem bietet sich ihnen dort die Möglichkeit, Einsätze | |
zu verweigern. | |
Patientenmörder in Niedersachsen: Beispiellose Tötungsserie | |
Der Delmenhorster Krankenpfleger Niels Högel soll mindestens 106 Menschen | |
getötet haben. Die juristische Klärung lief schleppend. | |
Trägerwechsel bei Pflegeheimen: Offensive gegen Spekulanten | |
Um die Standorte von Pflegen & Wohnen langfristig zu sichern, will der | |
Senat die Bebauungspläne, in denen die Heime liegen, verändern | |
Pflegedienste in Deutschland: Abzocke bei Kranken und Alten | |
Rund 230 ambulante Pflegedienste stehen unter Verdacht. Sie sollen | |
bundesweit ein System für Abrechnungsbetrug aufgebaut haben. | |
Tarifflucht in Deutschland: Weiße Flecken des Systems | |
Die Zahl der verbindlichen Tarifverträge ist seit 2014 rückläufig. Das | |
damals eingeführte Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie hat also nicht | |
geholfen. | |
Kommentar Rentner in der Altenpflege: Aus der Not einen Pfleger gemacht | |
Rentner sollen den Fachkräftemangel ausgleichen. Einen Gefallen tut man | |
damit weder den Pflegenden noch den Gepflegten. | |
Sparen in der Pflege: Die Alten sind zu teuer | |
Die Diakonie will ihren Beschäftigten deutlich weniger Geld zahlen – und | |
verweist auf den Wettbewerb. Laut Gewerkschaft ein „Riesen-Skandal“ | |
Ehrenämter in Deutschland: Arbeiten für lau | |
Schwimmbad streichen, Alte pflegen, Büchereien offen halten, Essen | |
ausgeben: Engagierte BürgerInnen helfen Kommunen und Wohlfahrtsverbänden | |
aus der Finanzklemme. | |
SOZIALES: Sozialgipfel will neue APO bilden | |
Gewerkschaften, Sozialverbände und Initiativen wollen dem neuen Senat auf | |
die Füße treten, um die Lobby von Armen, Alten und Behinderten zu | |
verbessern. | |
GESUNDHEIT UND PFLEGEBERUF: "Lernen am schlechten Beispiel" | |
Mehr als die Hälfte der Pflegeschüler hat schon gesundheitliche Probleme, | |
sagt eine neue Studie der Bremer Uni. Das Problem sind die schlechten | |
Vorbilder, sagt Stefan Görres. | |
Kommentar Pflege: Abgeschoben ins Private | |
Heime und ambulante Pflegestationen, ja der gesamte Pflegebereich muss | |
ausgebaut und finanziell besser ausgestattet werden. Denn Pflege ist etwas | |
für Profis. |