# taz.de -- Kommentar Sami A.: Gericht und Rechtsstaat missachtet | |
> Die Abschiebung von Sami A. ist „rechtswidrig“, bestätigt das OVG | |
> Münster. Der verantwortliche Minister Stamp (FDP) muss Konsequenzen | |
> ziehen. | |
Bild: In der Kritik: NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (l.) | |
Eigentlich gibt es keine neue Lage. Schon am Nachmittag des 13. Juli hat | |
das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen beschlossen, dass Sami A. nach | |
Deutschland zurückgeholt werden muss. Der Islamist A. (angeblich ein | |
früherer Leibwächter von Osama bin Laden) war am Morgen dieses Tages in | |
einer dubiosen Aktion nach Tunesien abgeschoben worden. [1][Das | |
Verwaltungsgericht hat in dieser Sache am 3. August sogar ein Zwangsgeld | |
gegen die zuständige Stadt Bochum verhängt], weil zuwenig für eine | |
Rückholung von Sami A. getan wurde. | |
Doch das Land wollte diese Rückholpflicht nicht wahrhaben und legte | |
Rechtsmittel ein, die das Oberverwaltungsgericht Münster nun ablehnte. Die | |
Rückholpflicht bleibt also bestehen. Insofern wundert etwas die Aufregung, | |
die [2][der OVG-Beschluss] verursacht hat. Eigentlich ist es | |
selbstverständlich, dass eine rechtswidrige Abschiebung rückgängig gemacht | |
wird. Aber für manche Medien ist das eine Seite-1-Sensation, selbst wenn | |
nur eine bereits vorliegende Gerichtsentscheidung bestätigt wird. | |
Vielleicht hat die Aufregung auch damit zu tun, dass das OVG die | |
zugrundeliegenden Bewertungen der Gelsenkirchener Richter ebenfalls | |
bestätigte. Erstens: die Abschiebung von Sami A. war „offensichtlich | |
rechtswidrig“. Es bestand ein Abschiebehindernis, weil es keine | |
diplomatische Zusicherung Tunesiens für eine menschenwürdige Behandlung | |
Sami A.s gab. Das hatte das VG Gelsenkirchen am Abend des 12. 7. | |
beschlossen. Zweitens: Die bereits laufende Abschiebung hätte noch gestoppt | |
werden können. Von dem Gelsenkirchener Beschluss erfuhren das Bochumer | |
Ausländeramt und NRW-Integrationsminister Joachim Stamp zwar erst am Morgen | |
des 13.7., aber da war Sami A. noch nicht an die tunesischen Behörden | |
übergeben. Stamp blieb dennoch untätig. | |
Der Skandal beginnt aber schon im Vorfeld der Abschiebung. So hat Stamp | |
versucht, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen auszutricksen und ihm trotz | |
mittelbarer Nachfrage den Abschiebungstermin vorenthalten. Stamp hat dies | |
damit gerechtfertigt, er sei nicht verpflichtet, dem Verwaltungsgericht | |
Auskunft über Abschiebetermine zu geben. Stattdessen sei sein Ziel gewesen, | |
Sami A. „so schnell und diskret wie möglich“ abzuschieben, solange dessen | |
Anwältin keinen Eilantrag stellt. | |
## Eklatantes Fehlverhalten von Stamp | |
Dass die Abschiebung geglückt ist, beruhte nur teilweise auf der Täuschung. | |
Der Abschiebeflieger war zwar schon in der Luft, weil sich die getäuschten | |
Richter gefährlich lange Zeit mit der Übermittlung des | |
Abschiebehindernis-Beschlusses ließen. Aber er kam eigentlich nicht zu | |
spät, wie das OVG jetzt feststellte. Stamp musste dann zusätzlich noch den | |
Kopf in den Sand stecken, damit seine Täuschung auch Erfolg hat und A. an | |
die Tunesier übergeben wird. Beides zusammengenommen zeigt jedenfalls eine | |
eklatante Missachtung von Gericht und Rechtsstaat. | |
Wie eklatant Stamps Fehlverhalten war, bestätigt ausgerechnet die | |
Verteidigungstrategie von Stamps FDP-Parteifreunden in den Stunden nach der | |
Abschiebung. Sie rechtfertigten Stamps Täuschung nicht, sondern leugneten | |
sie einfach. Alle zeigten auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge | |
(Bamf). Es sei doch das Bamf (und nicht Stamp) gewesen, von dem das | |
Verwaltungsgericht unvollständig informiert worden war. Und für das Bamf | |
sei doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verantwortlich. Es ehrt | |
Stamp, dass er eine Woche später im Rechtsausschuss des NRW-Landtags | |
einräumte, er habe auch das BAMF bewusst nicht über den Abschiebetermin | |
informiert. Das Bamf war also selbst nur ein getäuschter Bote. | |
Die ehrliche Übernahme der Verantwortung wurde aber dadurch konterkariert, | |
dass Stamp das Verwaltungsgericht wohl gezielt ausgetrickst hat. Denn der | |
Fall hat eine Vorgeschichte. 2014 hatte das Bamf im Fall Sami A. schon | |
einmal versucht, das Abschiebehindernis zu widerrufen und war damals vom VG | |
Gelsenkirchen gestoppt worden. Das wollte Stamp diesmal offensichtlich | |
verhindern. Die lästigen Richter sollten nach Möglichkeit erst aus der | |
Zeitung von der bereits vollzogenen Abschiebung erfahren. | |
Wenn Stamp etwas am Rechtstaat liegt, sollte er selbst ein deutliches | |
Zeichen setzen, dass es sich nicht lohnt, den Rechtstaat zu foppen. | |
*** | |
Aktualisierung, Anmerkung der Redaktion: Die letzten zwei Absätze wurden am | |
17. August geändert. Der Vorwurf, dass Stamp den Landtag belogen hat, wird | |
in dieser Beitragsversion nicht aufrecht erhalten. Eine Stellungnahme des | |
Autors Christian Rath findet sich in den Kommentaren (17. August, 6.22 | |
Uhr). | |
16 Aug 2018 | |
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[2] /Urteil-des-NRW-Oberverwaltungsgerichts/!5528632 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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