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# taz.de -- BND-Affäre um NSA-Ausschuss: Der Verrat
> Treffen sich ein Agent und ein Abgeordneter in einer Bar. Vier Jahre
> später sehen sie sich vor Gericht. Warum?
Bild: Roderich Kiesewetter (links) im Juni 2014 im NSA-Untersuchungsausschuss
BERLIN taz | Es ist der 16. Oktober 2014, schon spät am Abend. Ein paar
hundert Meter vom Deutschen Bundestag entfernt sitzen an einem Tisch im
Weinkontor Habel ein Bundestagsabgeordneter und ein Mitarbeiter des
Bundesnachrichtensdienstes zusammen. Ihr Treffen beginnt wie ein vertrautes
Gespräch unter alten Bekannten. Vier Jahre später wird einer von ihnen vor
Gericht sitzen, als Angeklagter. Und der andere wird als Zeuge gegen ihn
aussagen.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, Geheimnisse verraten und dadurch wichtige
öffentliche Interessen gefährdet zu haben.
Dem Zeugen wird vorgeworfen, seinen Informanten verraten zu haben.
Der Angeklagte ist der Geheimdienstbeamte Mark M., 46, graues Haar, BND.
Der Hauptbelastungszeuge ist der Bundestagsabgeordnete [1][Roderich
Kiesewetter], 54, graues Haar, CDU.
Viele Politiker im Deutschen Bundestag fragen sich bis heute, warum
Kiesewetter ausgerechnet einen Informanten ans Messer lieferte, der ihn
doch eigentlich warnen wollte. Viele fragen sich auch, ob Roderich
Kiesewetter überdrehte, als er fürchtete, in einen Geheimdienstkomplott
hineingeraten zu sein.
Am Dienstag ist vor dem Berliner Amtsgericht das Urteil gesprochen worden.
In den nüchternen Räumen des Gerichts hat die Sicherheitschefin des
Bundesnachrichtendienstes erzählt, wie ihr Dienst seine Helfer anwirbt; ein
Mann beschrieb, wie er als Bote einen Zettel mit einer anonymen
Telefonnummer von einem zum anderen trug und eine Bundestagsmitarbeiterin
schilderte, wie sie aus einem Bundestagsbriefkopf das Hoheitszeichen
löschte. Aus diesem Prozess und aus zahlreichen Gesprächen mit
Bundestagsabgeordneten, Behördenvertretern, BND-Mitarbeitern und
Funktionären des Reservistenverbandes lässt sich rekonstruieren, wie der
Abgeordnete Roderich Kiesewetter aus dem NSA-Untersuchungsausschuss
zurücktrat, weil er sich vom Bundesnachrichtendienst kompromittiert fühlte.
Und wie er einen Mann verriet, der ihm eigentlich helfen wollte.
## Abgeordneter und Offizier
Roderich Kiesewetter, ein ehemaliger Generalstabsoffizier der Bundeswehr,
der einst in Bosnien und Herzegowina selbst mit dem BND zu tun hatte, ist
Obmann der CDU im NSA-Untersuchungsausschuss als er 2014 gewichtige Fragen
aufklären soll: Hat der deutsche Auslandsgeheimdienst BND sich an der
massenhaften Überwachung des US-Nachrichtendienstes NSA beteiligt? Wieso
spionierten deutsche Dienste auch Botschaften in befreundeten europäischen
Staaten aus? Als Obmann der CDU soll er aufarbeiten – aber auch der eigenen
Regierung den Rücken freihalten. Der Bundesnachrichtendienst untersteht
direkt der Aufsicht des Bundeskanzleramts. Kiesewetter ist dafür eigentlich
der geeignete Mann, er hält die Arbeit des BND für wichtig, er hat den
Dienst immer wieder verteidigt.
Es gibt an diesem 16. Oktober 2014, ein Donnerstag, wieder Ärger im
NSA-Ausschuss: Ein Mitarbeiter des BND soll vor dem Ausschuss Bericht
erstatten und erwähnt, dass er zur Vorbereitung Unterlagen studiert habe,
die die Ausschussmitglieder nicht kennen, weil ihnen der Einblick
verweigert wird. Das Kanzleramt droht derweil mit Strafanzeigen, wenn
weiterhin Interna aus der Ausschussarbeit an die Öffentlichkeit gelangen.
Manche Abgeordnete fühlen sich in ihrer Arbeit behindert und unter Druck
gesetzt. Um 14.52 Uhr bricht der Untersuchungsausschuss seine Sitzung ab,
auf Antrag von Roderich Kiesewetter.
Kiesewetter hat also einen anstrengenden Tag hinter sich, als er an diesem
Donnerstagabend von seinem Bundestagsbüro aus hinüber läuft in das
Weinrestaurant, um einen alten Bekannten zu treffen. Er kennt Mark M. schon
länger, von einem EU-Lehrgang für junge Führungskräfte in den USA. Als am
11. September 2001 Terroristen mit Flugzeugen in das World Trade Center
fliegen, sitzen sie gerade in den USA zusammen. Sie diskutieren, was die
größte Gefahr für die Sicherheit in der Welt sei. Klimawandel, meinen die
Europäer, Terrorismus, sagen die Amerikaner. Als in New York die
Hochhaustürme einstürzen, ist Kiesewetter nachhaltig beeindruckt, sagt er
im Gerichtsprozess. Für ihn haben die Amerikaner recht behalten. Später
trifft er M. immer wieder mal. Sie duzen sich. Und irgendwann erfährt
Kiesewetter auch, dass sein Bekannter für den BND arbeitet.
Als sich Kiesewetter am Abend des 16. Oktober 2014 mit seinem alten
Bekannten trifft, ist der Abgeordnete misstrauisch. Er ist vorsichtig
geworden in den letzten Monaten, seit er bei einem Besuch in der
US-Botschaft sein Handy abgeben musste. Der CDU-Politiker hat Angst, von
der NSA überwacht zu werden. Und jetzt wundert ihn auch, dass sein
Bekannter ihn immer wieder nach Jobs in sicherheitsrelevanten Bereichen
fragt – erst beim Parlamentarischen Kontrollgremium, das die
Nachrichtendienste kontrolliert, dann im NSA-Untersuchungsausschuss. Wieso
will ausgerechnet ein BND-Mitarbeiter dorthin?
Es ist nicht erwiesen, ob Kiesewetter zu diesem Zeitpunkt auch von den
anderen Problemen seines Bekannten weiß: Dass M. beim BND weg will, weil
der ihn vor ein paar Jahren verdächtigte, sich von einem russischen Dienst
anwerben lassen zu wollen. Die interne Sicherheit des Nachrichtendienstes
observierte M. über Monate. Aber sie fand keine Belege für den Verdacht.
Kiesewetter jedenfalls ist an diesem Abend misstrauisch. Er will das
Treffen extra nicht im Kalender eintragen, wie sie es in seinem Büro
üblicherweise machen. Er will keinen Treffpunkt festlegen, M. soll sich
bereit halten, damit sie den Ort spontan ausmachen können, so sind sie
schwerer überwachbar. So wird Kiesewetter es später, im Frühjahr 2018, vor
Gericht schildern. Der Abend beginnt also schon wie eine
Geheimdienstgeschichte.
## Das Treffen in der Weinbar
Das Treffen dauert dann gar nicht sehr lange, etwa eine Stunde. Aber was
Mark M. Kiesewetter erzählt, hat es für den Abgeordneten in sich. Jetzt
wird Kiesewetter von seinem Duz-Freund erfahren: Ganz in seiner Nähe sitzen
zwei Mitarbeiter des BND. Dazu muss man wissen: Roderich Kiesewetter ist
damals neben seinem Job als Abgeordneter noch Präsident des
Reservistenverbandes der Bundeswehr. Und in den Führungsreihen dieses
Verbandes, sagt M., da säßen die beiden. Er weiß das sehr genau. Mark M.
hat die Männer selbst angeworben.
Das ist der Moment, in dem auch bei Roderich Kiesewetter Zweifel am BND
aufkommen: Was wird hier gespielt? Will ihn jemand diskreditieren?
Kiesewetter sagt vor Gericht, er habe befürchten müssen, „dass ich dastehe
wie jemand, der eine Auftragsarbeit verrichtet“ – wenn die Sache öffentlich
wird. Seine Angst: als Marionette des Bundesnachrichtendienstes im
NSA-Ausschuss dargestellt zu werden, wenn bekannt wird, dass sein eigener
Reservistenverband durchsetzt ist mit BND-Mitarbeitern. „Durchsetzt“, so
sagt es Kiesewetter später im Gerichtssaal selbst.
Doch der Abend in Habels Weinkontor wird noch merkwürdiger.
Als Mark M. Kiesewetter in kurzen Stichworten beschrieben hat, was die
beiden Geheimdienstmänner im Verband machen – Namen nennt er keine –,
betritt ein Mann das Lokal und geht auf die beiden zu. Er bleibt vor ihnen
stehen und sagt so etwas wie: „Sie sind Herr Kiesewetter. Wir sprechen uns
noch.“ Beim genauen Wortlaut gehen die Erinnerungen von Kiesewetter und M.
etwas auseinander. Dann verlässt der Mann das Lokal wieder. Der Auftritt
dauert etwa zwanzig Sekunden.
Mark M. und Kiesewetter schauen sich an. Was war das denn? Keiner weiß doch
von ihrem Treffen. Ich muss das dem BND erzählen, sagt M. Und ich der
Bundestagspolizei, sagt Kiesewetter. Der Abgeordnete ruft auf seinem
eigenen Anrufbeantworter im Büro an, er beschreibt kurz den Vorfall und
auch den Mann. Damit sie einen Beweis haben. Aber einer der beiden spielt
seine Aufregung an diesem Abend nur: Roderich Kiesewetter. Er hat diesen
Auftritt inszeniert: Der Mann war sein eigener Büroleiter.
Als der Richter und der Verteidiger Kiesewetter im Gerichtssaal fragen,
warum er diese Scharade veranstaltet hat, sagt der, er sei eben
misstrauisch gewesen. Er habe seinem Mitarbeiter gesagt, er solle im Lokal
auftauchen und etwas zu ihm sagen, so dass Kiesewetter die Chance habe, das
Gespräch abzubrechen. Im Gericht zieht Kiesewetter sogar die Tonaufnahme
von damals aus der Manteltasche, ja, die hat er noch. „Die Uhrzeit war mir
wichtig“, sagt er.
Was es wirklich mit diesem Auftritt auf sich hat, wird das Gericht nicht
erfahren: Kiesewetter verweigert seinem ehemaligen Mitarbeiter, mit dem er
inzwischen über Kreuz liegt, eine Aussagegenehmigung. Als Abgeordneter hat
er dieses Recht.
## Die Mitarbeiter des Abgeordneten
Es ist nicht das einzige Mal, dass ein Mitarbeiter Kiesewetters auf einer
ungewöhnlichen Mission unterwegs ist. Am ersten Prozesstag im Januar 2018
sitzt ein blonder schmaler Mann mit einem Notizblock auf einem
Zuschauerstuhl im Gerichtssaal. Er arbeitet im Büro des Abgeordneten. Der
Richter bittet ihn zu gehen, weil Roderich Kiesewetter, wie alle Zeugen,
nur unbefangen aussagen kann, wenn er nicht weiß, was vorher besprochen
wurde. Der Mann sagt, da müsse er erst seinen Chef anrufen und fragen. Erst
nach nochmaliger Aufforderung geht er wirklich. Als Kiesewetter bei einem
späteren Termin selbst im Saal sitzt, behauptet er, der Mitarbeiter habe
freiwillig an seinem Urlaubstag im Prozess sitzen wollen. Das habe er,
Kiesewetter, ihm natürlich nicht verwehren können. Als er das sagt, sitzt
sein Mitarbeiter hinter ihm und schaut auf den Boden.
Mark M. jedenfalls weiß nach dem Abend im Weinlokal, dass es einen Zeugen
für ihr Treffen gibt. Er fragt sich: Wie konnte das jemand wissen? Hat man
uns eine Falle gestellt? Dass alles ein Schauspiel Kiesewetters war,
erfährt er erst viel später. Aber die Frage bleibt für ihn bis heute: Hat
der Abgeordnete Mark M. eine Falle gestellt? Damit der BND den Mann, bei
dem mal irgendwas mit Russland war, endlich loswerden kann, zum Beispiel?
Während des Prozesses fragt der Verteidiger des Angeklagten den
Bundestagsabgeordneten Kiesewetter, ob die Spitze des
Bundesnachrichtendienstes versucht habe, Kiesewetter als Quelle anzuwerben,
„etwa im Hinblick auf Herrn M.?“ Kiesewetter weicht der Frage erst aus und
sagt dann, er könne sich nicht erinnern.
Einen Tag nach dem Gespräch im Oktober 2014 ruft Kiesewetter diejenigen im
Reservistenverband an, die er verdächtigt, für den BND zu arbeiten. Die
bestätigen das. Sie sagen aber auch: Alles halb so wild, sie seien doch nur
Legendenwohnungsgeber. Das ist BND-Sprech für Menschen, die dem
Geheimdienst die Adressen ihrer Wohnungen oder Firmen zur Verfügung
stellen, damit BND-Agenten darüber zum Beispiel Post erhalten können. Oder
damit im Pass eines Auslandsagenten in China eine Adresse steht, die
chinesische Agenten überprüfen können. Da sei doch nichts dabei, sagen sie.
Einer wirft Kiesewetter vor, eine jahrelange Zusammenarbeit wegen einer
Lappalie beenden zu müssen. Aber der Abgeordnete misstraut ihnen.
Dann, im November 2014, hat Roderich Kiesewetter die Gelegenheit, seinen
Frust endlich loszuwerden. Er läuft auf einem Flur im Deutschen Bundestag
dem damaligen Präsidenten des BND, Gerhard Schindler, über den Weg.
Kiesewetter nimmt ihn zur Seite und empört sich bei ihm über die
BND-Mitarbeiter in seinem Umfeld. Schindler, sagt Kiesewetter später vor
Gericht, habe lediglich geantwortet: „Die schalten wir heute noch ab.“
## Kiesewetter geht nicht mehr ans Telefon
Für den Abgeordneten wird die Sache damit noch größer. Es stimmt also,
denkt er. Selbst der BND-Präsident weiß es, der muss nicht einmal
nachdenken. Abgeschaltet werden die Mitarbeiter allerdings erst Monate
später.
Ende 2014 weiht Kiesewetter dann seinen Fraktionschef Volker Kauder ein,
und seinen Fraktionskollegen, den inzwischen verstorbenen Außenpolitiker
Philipp Mißfelder; und er bereitet seinen Rücktritt aus dem NSA-Ausschuss
vor. Erst begründet er es öffentlich mit zu viel Arbeit, doch dann sticht
ein Fraktionskollege von ihm die Geschichte durch. [2][Die Welt am Sonntag
berichtet darüber] und zitiert auch Kiesewetter: Er habe sich
kompromittiert gesehen.
Spätestens jetzt ist aus dem Gespräch im Weinkontor Habel ein Politikum
geworden: Die Bundesregierung muss Stellung beziehen, auch BND-Präsident
Gerhard Schindler geht an die Öffentlichkeit: „Die Unterstellung“, sagt er
im Februar 2015, „der BND habe die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses
kompromittiert, weise ich in aller Deutlichkeit zurück.“
Es sieht nicht so aus als ob Schindler und Kiesewetter zu diesem Zeitpunkt
viel eint. Dann aber, in den nächsten Monaten, passiert etwas
Interessantes: Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes persönlich,
Gerhard Schindler, macht Kiesewetter zu seinem Mann. Er wird der
Hauptbelastungszeuge in der Anklage gegen den Beamten Mark M., gegen den
der Bundesnachrichtendienst erst intern ermittelt und später, als er
Kiesewetter auf seiner Seite weiß, auch Anzeige erstattet – wegen
Geheimnisverrats. Der BND will M. loswerden. Doch ohne die Hilfe des
Politikers wird das nichts.
Für Kiesewetters Informanten Mark M. heißt das nichts Gutes. Der
Abgeordnete nimmt seine Telefonate nicht mehr an und geht ihm aus dem Weg.
Weil M. sich nicht anders zu helfen weiß, fragt er einen gemeinsamen
Freund, ob der ihm helfen kann. Von diesem gemeinsamen Freund bekommt
Kiesewetter schließlich einen Zettel überreicht, auf dem nur eine
Handynummer steht: Die hat Mark M. sich extra besorgt, für ein
vertrauliches Gespräch. Er braucht jetzt Kiesewetter. Doch Kiesewetter ruft
ihn nicht an.
Stattdessen meldet der die Telefonnummer dem Bundesnachrichtendienst.
## Dann kommt der BND-Chef ins Büro
Am Anfang sträubt Kiesewetter sich noch, seinen Informanten beim Namen zu
nennen und ihn damit zu belasten. Bei der internen Sicherheit des BND
würden sie Kiesewetter gerne befragen, doch sie haben die Weisung von oben,
den Abgeordneten in Ruhe zu lassen und selbst genügend Belege für den
Geheimnisverrat von M. zu finden. Sehr viel kommt dabei nicht heraus. M.
hat mal etwas von Kiesewetter bei Facebook geliked. Sie brauchen
Kiesewetter, wenn sie etwas gegen M. in der Hand haben wollen. Da übernimmt
der Präsident des Bundesnachrichtendienstes persönlich.
Gerhard Schindler trifft sich zwei Mal mit dem Abgeordneten, einmal im Mai
und einmal im Juni 2015. Sie reden im Bundestag unter vier Augen, weil
Kiesewetters Büro zu klein ist, setzen sie sich in einen Besprechungsraum
eine Etage tiefer. Das zweite Gespräch findet am 19. Juni 2015 statt, einen
Tag nachdem der BND seinen Mitarbeiter nochmal durch die Mangel gedreht hat
– ohne Erfolg. Unmittelbar nach diesem Gespräch verfasst Kiesewetter auf
Wunsch des BND-Präsidenten ein Schreiben, in dem er bestätigt, dass Mark M.
seine Quelle ist und dass er bereit ist, dies auch vor Gericht auszusagen.
Das Schreiben schickt eine Mitarbeiterin Kiesewetters direkt an das Büro
von Schindler. Es ist ein besonderes Schreiben, denn erstens steht kein
Empfänger darauf und zweitens fehlt auf dem Bundestagsbriefkopf der
Bundesadler, das Hoheitszeichen des Parlaments.
## Wie der Bundesadler verschwand
„Den Adler haben Sie rausgenommen, ja?“, fragt der Richter die
Mitarbeiterin, die ebenfalls als Zeugin vor Gericht geladen ist. Es ist der
14. Juni 2018, fast genau drei Jahre nachdem sie den Brief verschickt hat.
„Genau“, sagt die Mitarbeiterin.
„Warum?“, fragt der Verteidiger von Mark M.
„Ich gehe mal davon aus, das mir Herr Kiesewetter gesagt hat, ich soll das
ohne Adler tun.“
„Machen Sie das öfters?“, fragt der Verteidiger.
„Sehr, sehr selten.“
Hat Kiesewetter auch hier versucht, sich abzusichern? Ohne einen Empfänger
im Briefkopf wird aus einer Akte später erst einmal nicht hervorgehen, dass
das Schreiben direkt an den BND-Präsidenten persönlich gerichtet ist.
Während Kiesewetters Mitarbeiterin redet, sitzt wieder ihr Kollege aus dem
Abgeordnetenbüro auf der Zuschauerbank. Er protokolliert ihre Aussage. Er
schreibt „R“ für Richter und „S“ für den Vornamen seiner Kollegin.
Das Urteil
Seit dem Abend im Habel sind nun fast vier Jahre vergangen. Roderich
Kiesewetter ist erst als Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss
zurückgetreten und später, im Juni 2016, auch als Vorsitzender des
Reservistenverbands. Heute ist er ordentliches Mitglied im Auswärtigen
Ausschuss und Obmann für Auswärtige Politik der CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag, es ist seine dritte Legislaturperiode mit einem Direktmandat.
Politiker der Opposition schätzen ihn als einen umgänglichen, offenen und
freundlichen Mann, doch Mitglieder seiner eigenen Fraktion, die viel mit
ihm zu tun haben, sagen weniger schmeichelhafte Dinge über ihn: Er sei zu
argwöhnisch, misstrauisch, kontrollierend, er fühle sich zu schnell
bedroht.
Am Dienstag, dem 14. August 2018, verlesen der Staatsanwalt und der
Verteidiger ihre Plädoyers.
Der Raum 1002 des Amtsgerichtes in Berlin ist mit graugrünem Teppichboden
ausgelegt, ihn zieren zwei große Kaffeeflecken. Rechts vom Richter sitzt
der Angeklagte Mark M. mit seinen zwei Anwälten. Links sitzt der
Staatsanwalt, der an diesem Morgen mit seinem Hund Gassi gegangen ist. Er
sagt, er habe dabei noch einmal über sein Plädoyer nachgedacht. Es fällt
milde aus.
Der Angeklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt, sondern fahrlässig, sagt
der Staatsanwalt. Er fordert eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils
110,- Euro.
Die Verteidigung möchte einen Freispruch. Zwar habe ihr Mandant ein
Geheimnis offenbart, sagt einer der Anwälte, aber kein konkretes
öffentliches Interesse sei gefährdet worden. Die Öffentlichkeit könne doch
sogar froh sein, dass die BND-Mitarbeiter im Umfeld eines Abgeordneten
abgeschaltet wurden.
Um 12.38 Uhr darf Mark M. reden, als Letzter. Er steht auf und sagt: „Sie,
Herr Richter, haben jetzt die Aufgabe zu entscheiden, ob ein wichtiges
öffentliches Interesse gefährdet wurde, wenn man sich einem
Bundestagsabgeordneten anvertraut.“
Knapp eine Stunde später spricht der Richter das Urteil. 8.000 Euro muss
Mark M. zahlen, eine Strafe, die nicht im Führungszeugnis auftaucht. Beim
Bundesnachrichtendienst müssen sie ihn nun anders loswerden. Ohne Roderich
Kiesewetter.
14 Aug 2018
## LINKS
[1] http://www.roderich-kiesewetter.de/startseite.html
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/article137223755/Der-dubiose-Rueckt…
## AUTOREN
Martin Kaul
Christina Schmidt
Daniel Schulz
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