# taz.de -- Bundesnachrichtendienst-Prozess: Im Inneren des BND | |
> Der Ex-Obmann des NSA-Untersuchungsausschusses sagt am Montag aus. Wurde | |
> Roderich Kiesewetter vom BND unter Druck gesetzt? | |
Bild: Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter sagt aus | |
Die Frau vom Geheimdienst steht mit dem Gesicht zur Wand. Ein Journalist | |
filmt sie mit seiner Kamera. Fünf, zehn, fünfzehn Minuten. Was er sieht: | |
einen breiten Rücken in einer weiten schwarzen Jacke, einen blauen | |
Hemdkragen, kurz geschorene graue Haare. Was sie sieht: ein Schild „B 139 | |
Teeküche“. Daneben den Hinweis auf den nächsten Notausgang. Als Leiterin | |
der Eigensicherung des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND ist Tanja | |
L. normalerweise diejenige, die andere checkt, überprüft, überwachen lässt. | |
Ende Januar aber soll sie vor dem Amtsgericht Tiergarten erzählen, wie es | |
im Innersten eines Geheimdienstes zugeht. | |
In den Abendstunden des 16. Oktober 2014 sitzen zwei Männer im Restaurant | |
„Habel am Reichstag“. Das Parlament ist nur wenige Meter entfernt auf der | |
anderen Seite der Spree. Die beiden kennen sich seit Jahren, wenn auch | |
nicht besonders gut. Der eine ist ein Abgeordneter der CDU und war früher | |
beim Militär, der andere arbeitet für den BND. | |
Um das, was die zwei an diesem Abend besprechen, geht es in dem Prozess. | |
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Mitarbeiter, Mark M., soll dem | |
Bundestagsabgeordneten die Identität zweier Männer verraten haben, die | |
damals mit dem BND zusammenarbeiteten. | |
Der Dienst hat seinen Mitarbeiter angezeigt, die Staatsanwaltschaft klagte | |
ihn wegen Geheimnisverrats an. Sein Handeln habe das Vertrauen in den BND | |
erschüttert und mache eine künftige „Gewinnung von Personen, die mit dem | |
BND und/oder anderen Nachrichtendiensten kooperieren“ künftig schwerer, | |
heißt es in der Anklageschrift. | |
## Kiesewetter war Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss | |
Die beiden Männer sollen als sogenannte Legendenwohnungsgeber für die | |
Abteilung Terrorbekämpfung tätig gewesen sein, so erzählt es Tanja L. vor | |
Gericht. Sie stellten ihre geschäftlichen Adressen unter anderem für | |
Hotelbuchungen von BND-Agenten zur Verfügung. Für den BND ist das die | |
brisante Frage in diesem Fall: Was ist das für ein Geheimdienst, der nicht | |
in der Lage ist, die Identität der Menschen geheim zu halten, die für ihn | |
arbeiten? | |
Der Abgeordnete, mit dem Mark M. im Oktober 2014 gesprochen haben soll, | |
heißt Roderich Kiesewetter. Der war damals Obmann seiner Partei in einem | |
besonderen Untersuchungsausschuss. Nach den Enthüllungen des | |
Whistleblowers Edward Snowden sollte der mehr darüber herausfinden, wen | |
der Geheimdienst NSA in Deutschland überwacht und wie er das tut. Offiziell | |
ging es um die Amerikaner. Tatsächlich aber auch um die Rolle des BND. | |
Kiesewetter war damals außerdem Präsident des Reservistenverbandes – genau | |
wie die beiden BND-Zuarbeiter, die ebenfalls in leitenden Funktionen waren. | |
Kiesewetter kündigte im Januar 2015 überraschend an, von seiner Position im | |
Untersuchungsausschuss zurücktreten zu wollen. „Um möglichen Zweifeln an | |
meiner Unvoreingenommenheit im NSA-Untersuchungsausschuss | |
entgegenzuwirken“, begründet er das in der Welt am Sonntag drei Wochen | |
später. Damit war Kiesewetter schon der dritte CDU-Mann, der dem Ausschuss | |
verlorenging. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner fragte damals „ob da | |
eine gewisse Regie abläuft“, ob es im Hintergrund „Ränkespiele des BND | |
gäbe, die CDU-Abgeordnete ins Straucheln bringen sollen“. Wurde Kiesewetter | |
auf irgendeine Weise vom BND unter Druck gesetzt – oder nicht? Er selbst | |
äußert sich mit Hinweis auf den Prozess nicht. | |
Im November 2014, ein paar Wochen nach dem Gespräch im Restaurant, trifft | |
Roderich Kiesewetter in einem Gebäude des Bundestags einen Mann aus der | |
Leitung des BND. Kiesewetter spricht den Geheimdienstler auf die beiden | |
BND-Mitarbeiter an, fragt, ob sie tatsächlich in seinem Verband arbeiten. | |
Im Dezember bekommt Kiesewetter dies bestätigt, sagt Sicherheitschefin | |
Tanja L. vor Gericht. Ihm sei aber deutlich gemacht worden, dass die beiden | |
niemanden ausforschen sollten. Anfang 2015 habe der Dienst die beiden von | |
ihren Aufgaben entbunden. | |
Da führt Tanja L. schon interne Ermittlungen. Mark M. gerät in den Fokus – | |
er hat die beiden BND-Zuarbeiter einst angeworben und verfügte über alle | |
notwendigen Informationen, erzählt L. Aber sie hat nur Indizien, keine | |
Beweise. Ihr würde es helfen, wenn der Abgeordnete den Namen seines | |
Informanten nennen würde. Doch der habe das zu diesem Zeitpunkt nicht | |
gewollt. | |
Sie wiederum habe noch im Dezember von der Leitung die Ansage bekommen, mit | |
Kiesewetter keinen Kontakt aufzunehmen, sagt Tanja L. Ihre Vorgesetzten | |
wollten ihn „nicht in eine schwierige Lage bringen“. Wenn das stimmt, wäre | |
Kiesewetter nicht vom BND unter Druck gesetzt worden. Sondern hätte aus | |
eigenem Antrieb einen Mann verraten, der sich ihm anvertraut hat. Sechs | |
Monate später gibt er den Namen nämlich preis. Kiesewetters Schreiben | |
trägt den Eingangstempel des BND-Leitungsstabs vom 19. Juni 2015. Und | |
betrifft einen Mann, den der BND schon länger loswerden möchte. | |
## Mark M. wurde schon 2012 observiert | |
Mark M., schmale Statur, graue Haare, war bereits Jahre vor dem | |
mutmaßlichen Geheimnisverrat von seinen eigenen Leuten observiert worden. | |
Sie hörten Telefonate ab, lasen seine E-Mails, sechs Monate lang. Das war | |
2012. Sie verdächtigten ihn, für einen russischen Geheimdienst zu arbeiten. | |
Was zutrifft: Russische Spione hatten sich für Mark M. interessiert. | |
Was damals passierte, lässt sich unter anderem anhand eines Urteils des | |
Oberlandesgerichts Stuttgart im Prozess gegen diese Spione rekonstruieren: | |
Ende August 2003 trafen sich Geheimdienstler, Angestellte der Bundeswehr | |
und Mitarbeiter anderer Bundesbehörden zu einer Konferenz in der Pfalz. | |
Mark M. arbeitete damals noch beim Bundesamt für Katastrophenschutz und war | |
als Redner eingeladen. Er fiel einem russischen Agenten auf, der sprach ihn | |
an. M. ging mit einem Geheimdienstmitarbeiter essen, der sich als Vertreter | |
des Generalkonsulats ausgab. Erst bei den Ermittlungen gegen russische | |
Geheimdienstmitarbeiter fiel M.s Vorgeschichte auf. Im Stuttgarter Prozess | |
sagte er als Zeuge aus. | |
Der BND fand keine Beweise für eine Agententätigkeit von Mark M. Trotzdem | |
leitete der Dienst ein Disziplinarverfahren ein. Den Überwachern soll | |
aufgefallen sein, dass M. einen Tarnnamen und Tarnausweise genutzt hat, um | |
eine Frau in einem Hotel zu treffen. Er soll Reisen zu Quellen nicht | |
sachgemäß dokumentiert haben und einen heimlichen Abstecher zu einem | |
Bewerbungsgespräch bei einer anderen Behörde gemacht haben. Mark M. wurde | |
versetzt. Danach sah er sich nach neuen Jobs um – arbeitete mit Erlaubnis | |
seines Arbeitgebers für den Axel-Springer-Verlag. | |
Hatte er also den Kontakt zu Roderich Kiesewetter, einem alten Bekannten, | |
gesucht, um sich bei ihm zu bewerben? | |
Die Strategie der Verteidigung zielt wohl eher darauf ab, Mark M. als | |
Whistleblower darzustellen, der einem Bundestagsabgeordneten vor einer | |
drohenden Gefahr warnen wollte und nun dafür vor Gericht steht. Die Fragen | |
und Anmerkungen des Verteidigers wiesen in diese Richtung. Für Roderich | |
Kiesewetter könnte es dann zumindest moralisch unangenehm werden. Am | |
heutigen Montag soll er aussagen. | |
19 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
Martin Kaul | |
Christina Schmidt | |
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