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# taz.de -- Dialog mit dem Tanz: Im Riesenluftballon verschwinden
> Bewegtes Erinnern: Wie sich das Berliner Festival Tanz im August über 30
> Jahre hinweg mit dem eigenen Leben verwoben hat.
Bild: Hängt seit 1999 im Badezimmer: Szene aus „appetite“ von Meg Stuart �…
Meg Stuart steht in der Mitte, umringt von Frauen und Männern. Einer hat
schon den Mund an ihrem Ohr, zärtlich greifen ihre Hände nach ihm, die
anderen recken die Hälse, als würden sie gleich ihre Köpfe auf Megs
Schulter legen wollen.
Jeden Morgen sehe ich dieses Foto hinter mir im Spiegel. 1999 habe ich es
im Badezimmer aufgehängt, ich war nun allein in einer Wohnung, in die wir
zu zweit gezogen waren. Das Foto ist verbunden mit der Erinnerung an ein
wunderbares Tanzstück über Haut, Berührung und die Sehnsucht nach
Verschmelzung, „appetite“ von Meg Stuart, an das Festival Tanz im August,
und an mein erstes Interview mit der Choreografin.
Das Festival Tanz im August, 1988 in Berlin gegründet von Nele Hertling,
feiert diesen August seine Fortführung über 30 Jahre. Ein Archiv des
Festivals existiert nicht; erst jetzt wird an einer Website gearbeitet, die
Elemente der Geschichte zusammenträgt. Das ist ein Anlass für mich, noch
einmal in vielen der Texte zu lesen, die ich über das Festival geschrieben
habe.
An manche Stücke kann ich mich gut erinnern, andere habe ich komplett
vergessen. Was mich aber, bei der Relektüre über den Textstapel gebeugt,
überrascht, ist, welche große Rolle für die Erinnerung spielt, mit wem ich
im Theater war und wie sich die Tanzstücke mit der eigenen Befindlichkeit
vermischen.
## Wie Marie sich ergreifen ließ
Eine langjährige, tolle Begleiterin war Marie. In ihrer
Begeisterungsfähigkeit vermittelte sie mir auch oft das gute Gefühl, dass
über Tanz zu schreiben etwas Schönes und Sinnvolles sei. Wir haben
zusammen 1998 das erste Mal ein Stück von Alain Platel gesehen, „Iets op
Bach“, von artistischer, chaotischer Schönheit, irgendwo zwischen
Campingplatz und Zirkus angesiedelt, mit einem großen Herzen für
Außenseiter und Gestörte. Marie war Lehrerin, und schon dass in diesem
Stück so darum gerungen wurde, einen Ausdruck für die wilden Kinder zu
finden, die man nicht durchschaut, ging ihr nahe.
Mit ihr habe ich auch viele Stücke von Anna Teresa de Keersmaeker und den
Rosas besucht, jedes Mal eine neue aufregende Begegnung von klaren
Strukturen, Musik und Emotionen. Wie Marie sich von Tanz ergreifen ließ,
hat sie Stücke auch für mich weiter geöffnet. Seit sie vor acht Jahren
starb, vermisse ich diese Freundin, nicht nur beim Festival Tanz im August.
Wie wir selbst schwitzten in einer heißen Augustnacht im Podewil, alles
klebte feucht am Körper, das gehört zu Erinnerung an Akram Khan, der 2004
mit „Ma“ nach Berlin kam. In dieser Lecture-Performance erläuterte der
Choreograf den Dialog zwischen Körper und Musik im indischen Khatak
wunderbar und in nachvollziehbare Elemente zerlegt. Das fühlte sich an, als
könne man plötzlich eine neue Sprache verstehen.
Ich war damals selbst in eine neue Dialogphase eingetreten mit dem neben
mir langsam zerfließenden Mann, sehr verliebt und aufgeregt, ob er denn
auch als einfühlsamer Begleiter von Tanzstücken taugte. Das hat bei Akram
Khan ganz wunderbar funktioniert.
Beim Wiederlesen der alten Texte fällt mir auf, dass ich Christoph, einen
befreundeten Philosophielehrer, oft zu Stücken mitgenommen hab, die mir
selbst nicht ganz geheuer waren, bei denen ich ob der Betonung des
radikalen oder forschenden Ansatzes der KünstlerInnen nicht einschätzen
konnte, was da kommt. Nichts davon hat ihn abgeschreckt, gerne dabei zu
sein. Nicht die in eine rosafarbene Wolke von Sexyness und Skandal gehüllte
Performerin Ann Liv Young, die bei ihrem [1][Auftritt im Jahr 2006] mal so
nebenbei in ein Regal sprang, das unter ihr zusammenkrachte, und nicht der
meist jede Erwartung unterlaufende Hermann Heisig. Seit der in einem
Tanzstück in einem riesigen aufgeblasenen Luftballon verschwand und sich
später daraus selbst wieder auf die Welt brachte, erinnert Christoph diese
Szene als persönliches Highlight der Tanzgeschichte.
## In Sprache übersetzen
Man braucht eben auch solche Freunde, die Entdeckerlust ebenso teilen wie
die Freude auf eine Wiederbegegnung mit Companien wie den Rosas, die
achtmal zum Tanz im August eingeladen waren, um sich auf das Festival zu
freuen.
Natürlich hängt, wie ich Tanzstücke erinnere, auch davon ab, was ich damals
über sie geschrieben habe, wie intensiv die Übersetzung in Sprache, der
Versuch der Vermittlung war. Manchmal ist in der Erinnerung aber mein Text
auch viel umfangreicher als die tatsächlich erschienene Tanzkritik.
1997 war die Seite für Berlinkultur auf einen schmalen Streifen geschrumpft
mit sehr kurzen Texten. Damals zeigte Kei Takei, eine Performerin aus New
York, [2][mehrere Kapitel aus „Light“, ein 24-stündiges Tagebuch], das den
Rhythmus von Tag und Nacht mit biografischen Situationen zusammenbrachte.
Ich war vierzig und sehr berührt von einem mir noch immer in leuchtenden
Herbstfarben vor Augen stehenden Bild über das Nachlassen der Kräfte,
während man älter wird.
## Müde empfinden, wie älter werden geht
Kei Takei war zuerst mit anderen Tänzern im Theater am Halleschen Ufer
aufgetreten, weit nach Mitternacht fuhr man mit dem Shuttle-Bus zur
Klosterruine neben dem Podewil. In der Morgendämmerung, in der die Dinge
erst langsam wieder Konturen gewinnen, trat sie allein vor die Bögen der
Ruine, in einem Kimono-ähnlichen Gewand mit vielen Taschen, aus denen bei
ihren äußerst verlangsamten Bewegungen unentwegt Laub rieselte. Man war ja
selbst müde zu diesem Zeitpunkt, fast wie in Trance, und was man sah,
synchronisierte sich mit dem eigenen Körperempfinden. Ich dachte, ich hätte
das alles so erzählt damals, aber es steht nicht im Text.
Überhaupt, das Schreiben über Tanz, es hat einen Teil meines Berufslebens
ausgemacht. Dafür überhaupt Platz zu bekommen. Gegen die Vorhaltungen von
Kollegen anzuschreiben, dass Tanzkritiken gefühlig oder kitschig seien oder
doch immer dasselbe darin stünde. Zwanzig Jahre lang freiberuflich
unterwegs, war jede ausgehandelte Tanzkritik auch ein kleiner Triumph.
Und wenn die Stücke den Erwartungen nicht entsprachen oder es langweilig
wurde auf der Bühne, blieb die Herausforderung, trotzdem keinen gequälten
Text zu schreiben, der Redakteure schnell dazu bringt, auf dieses Genre
beim nächsten Mal lieber zu verzichten. Deshalb verbindet sich damit, an
den meisten der 30 Festivalausgaben teilgenommen zu haben, auch ein wenig
Stolz.
11 Aug 2018
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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Tanz
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