# taz.de -- Behördlicher Umgang mit NS-Opfern: Deutsche Gründlichkeit | |
> Der Sohn von Wehrmachtdeserteur Ludwig Baumann soll mehr als 3.000 Euro | |
> zurückzahlen. Die seien zu Unrecht als NS-Opferrente überwiesen worden. | |
Bild: Ein mutiger Mensch, der einst das einzig Richtige tat, was ein deutscher … | |
BERLIN taz | Der Brief vom Amt erreichte ihn nicht mehr. Und das war wohl | |
auch besser so. In vortrefflichem Bürokratendeutsch schrieb die | |
Generalzolldirektion Köln am 17. Juli an Ludwig Baumann, sie habe seine | |
monatliche „Härtefallbeihilfe“, die er als NS-Opfer erhielt, rückwirkend | |
stark gekürzt. | |
Die Begründung: Schließlich sei er ja nach Mitteilung des Bremer | |
Altenpflegeheims St. Brigitte schon seit März 2017 „vollstationär im Heim | |
untergebracht“ – was seinen Anspruch reduziere: „Wie Sie aus der Berechnu… | |
der Überzahlung entnehmen können, wurde Ihnen ab dem 01.04.2017 bis zum | |
31.05.2018 ein Gesamtbetrag in Höhe von 4.157,46 € zu viel überwiesen.“ Z… | |
Ausgleich werde sie „daher die Überweisung des Heimtaschengeldes bis zum | |
30.04.2019 einstellen“, teilte die zuständige Sachbearbeiterin mit. | |
Ludwig Baumann brauchte das nicht mehr zu scheren. Er war bereits am Morgen | |
des 5. Juli gestorben. Aber dafür wird jetzt sein Sohn zur Kasse gebeten. | |
## Kein Platz für Pietät | |
Nur einen Tag nach ihrem ersten Schreiben bemerkte besagte | |
Sachbearbeiterin, dass sie einem Toten geschrieben hatte, und verfasste ein | |
zweites, das der taz ebenfalls vorliegt. Diesmal an Andre Baumann. | |
Nach einer kurzen Beileidsfloskel kam die Beamtin direkt zur Sache: „Wie | |
Sie der beigefügten Anlage entnehmen können, wurde ein Gesamtbetrag in Höhe | |
von 4.157,46 € zu viel an Ihren verstorbenen Vater überwiesen.“ Abzüglich | |
der zwei Beihilfen, die bereits in seinen letzten beiden Lebensmonaten | |
einbehalten worden seien, verbliebe ein Betrag von 3.453,46 Euro, den der | |
Sohn innerhalb eines halben Monats an die Bundeskasse Trier zurückzuzahlen | |
habe. | |
Der Fall klingt unglaublich. Doch mag der Frau im Service-Center der | |
Generalzolldirektion Köln auch ein angemessenes Pietätsgefühl abgehen, so | |
hat die dem Bundesfinanzministerium unterstellte Behörde durchaus formal | |
völlig korrekt gehandelt. Die deutschen Vorschriften sind halt so. | |
Was Ludwig Baumann von diesem Vorgang gehalten hätte? Sicher hätte er sich | |
bestätigt gefühlt, dass es auch nach jahrzehntelangem Kampf immer noch | |
einen eklatanten Mangel an Gerechtigkeit in diesem Land gibt. | |
## Mit viel Glück die NS-Zeit überlebt | |
Als [1][Ludwig Baumann] vor einem Monat im Alter von 96 Jahren in Bremen | |
starb, verlor die Bundesrepublik mit ihm einen mutigen Menschen, der einst | |
das einzig Richtige tat, was ein deutscher Soldat damals tun konnte. | |
Deswegen wurde er im Juni 1942 von der NS-Justiz wegen „Fahnenflucht im | |
Felde“ zum Tode verurteilt. | |
Nach langen Monaten in der Todeszelle wurde seine Strafe in zwölf Jahre | |
Zuchthaus umgewandelt. Mit viel Glück überlebte Baumann erst das | |
emsländische [2][Konzentrationslager Esterwegen], dann das | |
[3][Wehrmachtsgefängnis im sächsischen Torgau] und schließlich auch noch | |
das Himmelfahrtskommando im [4][Strafbataillon 500] an der Ostfront. | |
Als er nach dem Krieg traumatisiert aus russischer Kriegsgefangenschaft in | |
seine Heimatstadt Hamburg zurückkehrte, wurde Baumann als „Feigling“, | |
„Dreckschwein“, „Verräter“ und „Volksschädling“ beschimpft. | |
## Erfolgreicher Kampf für Rehabilitierung | |
Erst mit der Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre fand er Verbündete, | |
die ihm die Kraft gaben, für seine und die Rehabilitierung aller anderen | |
Wehrmachtsdeserteure und „Kriegsverräter“ zu kämpfen. Längst im | |
Rentenalter, gründete er 1990 mit 37 Mitstreitern die [5][Bundesvereinigung | |
Opfer der NS-Militärjustiz]. | |
Baumann trotzte allen Anfeindungen und Widerständen. Auch im hohen Alter | |
noch unermüdlich pazifistisch im Einsatz, war sein Engagement letztlich | |
nicht vergebens: Mit dem [6][NS-Unrechtsaufhebungsgesetz] wurden 1998 | |
Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“ rehabilitiert, mit dem | |
ersten Ergänzungsgesetz 2002 folgten die Deserteure der Wehrmacht und mit | |
dem zweiten NS-Unrechtsaufhebungsgesetz 2009 schließlich auch die wegen | |
„Kriegsverrats“ verurteilten Opfer der NS-Militärjustiz. Späte Triumphe. | |
Dass damit keineswegs alles gut ist, lässt sich nach seinem Tod | |
ausgerechnet an Baumanns Fall exemplarisch dokumentieren. | |
## NS-Opfer im Pflegeheim bekommen weniger | |
Auf der Grundlage der „[7][Richtlinien der Bundesregierung über | |
Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im | |
Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes]“ erhielt er seit 1993 eine | |
monatliche Opferrente, zuletzt in Höhe von 645,91 Euro. | |
In diesen AKG-Härterichtlinien heißt es zwar, die gewährten Leistungen | |
„sollen den Betroffenen als Ausgleich für das erlittene Unrecht zugute | |
kommen“, weswegen sie auch nicht auf andere staatliche Leistungen | |
angerechnet werden. Doch eigentümlicherweise wird in der | |
Verwaltungsvorschrift danach unterschieden, wo der jeweilige Betroffene | |
lebt. Falls er sich in einem Alten- oder Pflegeheim befindet, ändert sich | |
die Berechnung seines Anspruchs – und er bekommt weniger. Weswegen Baumann | |
in den letzten 15 Monaten seines Lebens nur noch 352 Euro zustanden. | |
Der Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Jan Korte hält das für skandalös. | |
„Das erlittene Unrecht wird ja nicht kleiner, wenn einer ins Pflegeheim | |
gehen muss“, sagte er der taz. „Wenn hochbetagten Überlebenden des | |
NS-Terrors in ihren letzten Lebensjahren so eine Diskriminierung angetan | |
wird, läuft etwas gewaltig schief und nach meiner Auffassung widerspricht | |
dies auch völlig der Intention der NS-Opferrente.“ Die entsprechende | |
Regelung müsse deshalb „schnellstmöglich geändert“ werden. | |
Die Linkspartei werde „unverzüglich“ eine entsprechende parlamentarische | |
Initiative starten, kündigte der Parlamentarische Geschäftsführer der | |
Linksfraktion an. Auch auf Rückzahlungsaufforderungen an Hinterbliebene | |
sollte verzichtet werden. Korte hofft auf fraktionsübergreifende | |
Unterstützung: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies eine Mehrheit im | |
Bundestag oder der zuständige Bundesfinanzminister anders sehen.“ Das wird | |
sich nach der parlamentarischen Sommerpause zeigen. | |
2 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://ludwigbaumann.de/leben/index.html | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Esterwegen | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrmachtgef%C3%A4ngnis_Torgau | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Strafdivision_500 | |
[5] http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/ | |
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/ns-aufhg/BJNR250110998.html | |
[7] http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_28032011_BMF.htm | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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