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# taz.de -- Staatlicher Umgang mit NS-Opfern: Regierung will sich Zeit lassen
> Die Linksfraktion fordert, dass NS-Opfer im Alten- oder Pflegeheim
> schnell eine höhere Opferrente erhalten. Die große Koalition hat es nicht
> eilig.
Bild: Olaf Scholz (SPD) lässt bislang keine größere Bereitschaft zu einer ba…
Berlin taz | Es gibt Sätze, die lassen frösteln. Dieser, den das
sozialdemokratisch geführte Bundesfinanzministerium im besten
Bürokratendeutsch formuliert hat, gehört dazu: „Es wird geprüft, in den
nächsten Jahren in mehreren Teilschritten die pauschalisierten Leistungen
auf das Niveau der gesetzlichen Mindestrente nach dem
Bundesentschädigungsgesetz anzuheben.“
Was harmlos daherkommt, ist in Wahrheit ein nur schwer erträglicher
Zynismus. Denn bei denjenigen, um die es geht, handelt es sich um Opfer der
NS-Diktatur. Wenn die Bundesregierung ihre Prüfung abgeschlossen hat, ob
ihre Leistungen in den nächsten Jahren in mehreren Teilschritten angehoben
werden können, dürfte kaum noch einer von ihnen am Leben sein.
Der oben zitierte Satz stammt aus der Antwort der Bundesregierung auf eine
kleine Anfrage der Linksfraktion, bei der es um die Kürzung von Leistungen
für NS-Opfer beim Umzug in ein Alten- oder Pflegeheim geht. [1][Anlass war
der Fall des am 5. Juli verstorbenen 96-jährigen Wehrmachtdeserteurs Ludwig
Baumann], dessen monatliche „Härtefallbeihilfe“ die zuständige
Generalzolldirektion Köln rückwirkend von 645,91 Euro auf 352 Euro
monatlich heruntergekürzt hatte. Die Aufforderung der Behörde, insgesamt
3.453,46 Euro zurückzuzahlen, wurde an ihn zwölf Tage nach seinem Tod
verschickt. Nun soll sein Sohn André Baumann zahlen.
Ludwig Baumann erhielt eine Opferrente nach den [2][„Richtlinien der
Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen
Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes“]. Derzeit
bezieht nur noch ein sehr kleiner Kreis auf dieser Grundlage Leistungen,
die laut den Härterichtlinien „den Betroffenen als Ausgleich für das
erlittene Unrecht zugute kommen“ sollen.
## BEG-Mindestrente zwischen 500 und 600 Euro
Nach Auskunft der Bundesregierung geht es um gerade mal noch 130 NS-Opfer.
Davon leben 29 inzwischen in einem Alten- oder Pflegeheim. Dass sie weniger
Geld bekommen, hält die Linksparteiabgeordnete Ulla Jelpke für
unakzeptabel. Es sei ein Unding, „bei pflegebedürftigen NS-Opfern pauschal
den Rotstift anzusetzen“. Das sei „kein würdiger Umgang mit Menschen, die
von den Nazis gequält und auch von der Bundesrepublik über Jahrzehnte
verachtet worden sind“, sagte sie der taz.
„Der ganze Ansatz der Entschädigungspolitik ist schon falsch“, kritisiert
Jelpke. „Es gibt doch überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dass Anträge
nach dem Bundesentschädigungsgesetz seit 1969 nicht mehr gestellt werden
können.“ Diese Einschränkung ist der Grund dafür, dass Baumann wie auch
zahlreiche andere ehemalige KZ-Insassen, Zwangssterilisierte und
Euthanasie-Geschädigte überhaupt die Härterichtlinien in Anspruch nehmen
mussten und keine Mindestrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz bekamen.
Die BEG-Mindestrente bewegt sich zwischen 500 und 600 Euro. Jelpke fordert,
„so schnell wie möglich“ die Opferrente auch für Betroffene im Alten- oder
Pflegeheim auf dieses Niveau anzuheben. Das würde „das jetzige Unrecht in
den Entschädigungsregelungen zumindest abmildern“, so Jelpke. „Wir werden
in den nächsten Wochen einen entsprechenden Antrag einbringen.“
Die Erfolgsaussichten sind allerdings mehr als ungewiss.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) lässt bislang jedenfalls keine
größere Bereitschaft zu einer baldigen Änderung der bestehenden Regelungen
erkennen. Mit Blick auf den Fall Baumann rechtfertigt er stattdessen in
einem Brief an die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz die
bisherige Praxis.
Ludwig Baumann sei ein „herausragender Zeitzeuge“ gewesen, der ihm „aus
mehreren persönlichen Begegnungen in lebhafter Erinnerung“ geblieben sei,
schreibt Scholz. Doch die Leistungskürzung in seinen letzten Lebensmonaten
und die Rückzahlungsforderung an seinen Sohn seien trotzdem völlig korrekt:
„Nach dem uns hier ersichtlichen Unterlagen ist das Verfahren entsprechend
den Vorgaben der AKG-Härterichtlinien durchgeführt worden und daher nicht
zu beanstanden“, heißt es in dem Schreiben vom 5. September, das der taz
vorliegt.
Die [3][Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz] will sich damit
jedoch nicht abfinden. „Aus Gründen des Respekts und der Billigkeit
gegenüber den wenigen überlebenden NS-Opfern und ihren Angehörigen“ solle
sich der Finanzminister doch bitte dafür einsetzen, dass die derzeitigen
Vorschriften „schnellstmöglich geändert werden“ und Kürzungen künftig
unterbleiben, appelliert Schriftführer Günter Knebel an Scholz.
14 Sep 2018
## LINKS
[1] /Behoerdlicher-Umgang-mit-NS-Opfern/!5520833
[2] http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_28032011_BMF.htm
[3] http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/
## AUTOREN
Pascal Beucker
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