# taz.de -- Madeleine Albright legt Buch vor: Tanz den Mussolini | |
> Der Faschismus ist nicht vergangen, sagt die ehemalige US-Außenministerin | |
> Madeleine Albright. „Faschismus. Eine Warnung“ heißt ihr neues Buch. | |
Bild: Madeleine Albright hat sie alle getroffen: die Demokraten, die Autoritär… | |
Viele Historiker beharren darauf, dass der Faschismus eine abgeschlossene | |
Epoche sei. Das ist ein Problem. Denn so richtig es ist, dass sich | |
Geschichte nie wiederholt, so fatal ist die Annahme, dass der Faschismus | |
ein Problem von gestern sei. Madeleine Albright zeigt sich in ihrem eben | |
erschienenen Buch „Faschismus. Eine Warnung“ als kluge Denkerin, wenn sie | |
darauf besteht, dass der Faschismus in der Moderne jederzeit als | |
Möglichkeit im Halbschatten wartet und uns immer öfter auch im hellen | |
Tageslicht vor der Nase steht. | |
„Wenn Menschen ihren alltäglichen Frustrationen Luft verschaffen, wird das | |
Wort millionenfach verwendet: Lehrer werden als Faschisten verunglimpft, | |
ebenso Feministinnen, Machos, Yogalehrerinnen, Polizeibeamte, Vegetarier | |
und Veganer, Bürokraten, Blogger, Radfahrer, Redakteure, Leute, die | |
kürzlich das Rauchen aufgegeben haben, und sogar die Hersteller | |
kindersicherer Verpackungen“, schreibt die ehemalige Außenministerin unter | |
Bill Clinton. | |
Man kann an dieser Reihe ablesen, dass Faschisten heute immer die anderen | |
sind, weil der Faschismus keinen guten Leumund hat. Nicht mal Faschisten | |
wollen heute mehr so genannt werden. | |
Für Albright stellt die Unschärfe des Begriffs keinen hinreichenden Grund | |
dar, nicht mit ihm zu arbeiten. Sie hält seine Beliebigkeit für ein Symptom | |
der Verharmlosung, die umso problematischer ist, je realer ihr die Gefahr | |
eines neuen Faschismus erscheint. Sie macht sich aber nicht die Mühe, die | |
sich oft widersprechenden Theorien über den Faschismus zu studieren: „Als | |
ehemalige Diplomatin interessieren mich vor allem die konkreten Handlungen | |
und nicht irgendwelche Bezeichnungen.“ | |
## Legal an die Macht | |
Albrights Arbeitshypothese lautet: „Was eine Bewegung faschistisch macht, | |
ist nicht die Ideologie, sondern die Bereitschaft, alles zu tun, was nötig | |
ist – einschließlich Gewaltanwendung und der Missachtung der Rechte anderer | |
– um sich durchzusetzen und Gehorsam zu verschaffen.“ Fair enough. Fragt | |
sich nur, wie weit man damit kommt. | |
Wenn Albright im ersten Drittel ihres Buchs die Geschichte des | |
faschistischen Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands | |
skizziert, aber auch die faschistischen Tendenzen im Stalinismus und das | |
faschistische Temperament des US-Senators Joseph McCarthy beleuchtet, folgt | |
sie dieser Linie. Mussolinis Faschismus und Hitlers Nationalsozialismus | |
haben Gemeinsamkeiten und sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. | |
Gemeinsam ist ihren Führern, dass sie auf legalem Weg an die Macht kamen. | |
## Faschist aus Korea | |
Albright beschäftigt sich sodann mit den politischen Karrieren von so | |
unterschiedlichen Männern (Frauen sind nicht darunter) wie Donald Trump, | |
Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, | |
Rodrigo Duterte oder Kim Jong Un. Sie fragt sich, welche Elemente | |
antidemokratischer, autoritärer oder faschistischer Herrschaft sich diese | |
zunutze machen. Unter ihnen hält Albright übrigens nur den koreanischen | |
Diktator für einen Faschisten reinen Wassers. | |
Diese Dossiers sind nüchtern, präzise und lesenswert – hier ist die | |
ehemalige Diplomatin in ihrem Element –, aber auch wenig überraschend. Im | |
Gedächtnis bleiben prägnante Formulierungen wie diese: „Putin ist nur | |
deshalb kein ausgewachsener Faschist, weil er es nicht nötig hat. Trump ist | |
der erste antidemokratische Präsident in der neueren Geschichte der USA.“ | |
So far, so good. Aber woraus bezieht der Faschismus heute seine Kraft? | |
Viele Bürgerinnen und Bürger unterstützen antidemokratische und illiberale | |
Politiker, unter anderem weil unsere Ansprüche gewachsen sind, meint die | |
Autorin: „Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer, unsere Erwartungen sind | |
höher geworden, und wir sind weniger geneigt, über Fehler hinwegzusehen, | |
zumal sie offensichtlicher geworden sind.“ Und: Wir wollen alles, ohne | |
dafür irgendetwas zu zahlen, kritisiert Albright. | |
Sie konzediert, dass der Umgang mit der Finanzkrise im Jahr 2008 „bei | |
vielen Bürgern Zweifel an der Kompetenz ihrer politischen Führung aufkommen | |
ließ. Die Menschen begannen, die Gerechtigkeit eines Systems infrage zu | |
stellen, das die Reichen auf Kosten aller anderen in Schutz nimmt“. Und | |
schließlich hat auch Albright mitbekommen, wie sich Propagandisten der | |
sozialen Medien bedienen, um Falschmeldungen zu lancieren und zu hetzen. | |
Albright fordert, die Betreiber der Plattformen müssten ihre Rolle dringend | |
überdenken. | |
## Alt-Right oder Alt-Lite? | |
Die Analyse des Phänomens fällt also eher dünn aus, was Albrights Prämisse | |
geschuldet ist, sich nicht mit Ideologiekritik befassen zu wollen. Sie will | |
auch nicht darüber nachdenken, worin die Lust von wohlgenährten Leuten am | |
Faschismus bestehen könnte. | |
Wo ist der Absatz über Milo Yiannopoulos, jenen offen schwulen, mit einem | |
afroamerikanischen Mann verheirateten Briten, der sich zum | |
römisch-katholischen Glauben bekennt und der Trump und den Brexit | |
unterstützt? Yiannopoulos hat das Trollen gegen Feministinnen und Linke zu | |
einer Praxis kultureller Intervention perfektioniert. Er hält sich im | |
schillernden Zwischenreich zwischen Alt-Right und Alt-Lite auf. Heißt, er | |
äußert sich zwar nie eindeutig antisemitisch oder rassistisch, zeigt sich | |
aber gerne mit Leuten wie dem weißen Suprematisten Richard Spencer und | |
spielt mit den Codes der Neonazis. | |
## Queere Faschisten | |
Yiannopoulos spricht eine junge Generation an, die von den exzessiven | |
Formen der Political Correctness an US-amerikanischen Universitäten | |
entnervt sind. Er verkörpert das faschistische Faible fürs Jugendliche und | |
das gefährliche Leben. Als „Dangerous Faggot“ (gefährliche Schwuchtel) | |
tingelte er durch US-amerikanische Unis. | |
Wenn es einen heutigen Faschismus geben sollte, dann ließe sich anhand von | |
Propagandisten wie ihm zeigen, dass dieser von Subjekten getragen wird, die | |
auch queer sein dürfen. Die psychische Dimension des Faschismus entfaltet | |
sich im lustvollen Ausleben des Verdrängten. | |
## Nationalismus + Sozialismus | |
Wo ist das Kapitel über Steve Bannon, den einstigen Chef von Breitbart News | |
und White House Chief Strategist, der gerade durch Europa tingelt, um den | |
transatlantischen Austausch unter extremistischen Bewegungen und Parteien | |
der Rechten und der Mitte zu organisieren? 1925 wurde in Frankreich eine | |
Gleichung aufgestellt, die in leicht abgewandelter Form auch das Programm | |
von Leuten wie Bannon beschreiben könnte: „Nationalismus + Sozialismus = | |
Faschismus.“ | |
Dieses Zitat findet sich in einer Abhandlung über „Faschistische Ideologie“ | |
des israelischen Historikers Zeev Sternhell aus den 1970ern. Bei Sternhell | |
ist auch diese Lektion über den alten Faschismus zu lernen: „Es war nicht | |
die Stärke der Rechten, sondern es war ihre relative Schwäche, ihre Ängste | |
und ihre Anfälle von Panik, die die wesentlichen Voraussetzungen für den | |
Erfolg des Faschismus bildeten.“ Klingt, als hätte Sternhell das | |
beschämende bayerische Schmierentheater dieser Tage beschrieben. | |
Wenn man es also polemisch formulieren will: Madeleine Albright hat ein | |
Buch geschrieben, das vor allem wegen seines Titels und seiner Grundannahme | |
wichtig ist. Das allerdings ist keine geringe Leistung. | |
29 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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