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# taz.de -- Kolumne Schlagloch zu Populismus: Dem Volk etwas vormachen
> Linkspopulismus, gibt es das? Nö. Es gibt nur Populismus, der sich linker
> Inhalte bedient. Eine Bewegung nach links könnte als Gegengift dienen.
Bild: Diese Demo fand 2016 vor dem Kanzleramt statt. Abgenommen hat der Populis…
Wenn man es aus dem Bauch heraus erklären wollte, dann wäre „Populismus“
nichts anderes als eine Form von Bewegung gegen Macht und Regierung. Eine,
die sich dadurch legitimiert, dass sie auf „die Stimme des Volkes“ hört.
Du kannst, sangen einst die Folksinger gegen die Regierung, allen Leuten
für kurze Zeit etwas vormachen. Und du kannst einigen Leuten für immer
etwas vormachen. Aber du kannst nicht allen Leuten für immer etwas
vormachen. Eine populistische Revolte findet dort statt, wo die Instrumente
der Macht dabei versagen, eine offene, gerechte und verlässliche Beziehung
zwischen Regierung und Regierten herzustellen. Sie findet natürlich auch
dort statt, wo eine Regierung vermeintlich zu wenig für Sicherheit und
Ordnung sorgt.
Die populistische Revolte ist weder von vornherein gut noch gar von
vornherein demokratisch. So wie die Regierenden stets damit drohen können,
den Ausnahmezustand zu verhängen, so können die Regierten stets mit einem
populistischen Gegenschlag drohen. Die Möglichkeit einer populistischen
Reaktion gehört, zumindest theoretisch, zu den Garantien der Demokratie,
wie auch das Widerstandsrecht gegen ihre Gefährdung oder Abschaffung.
Nun aber beginnt der Unterschied. Soll die populistische Reaktion dazu
führen, die demokratischen Instrumente zu erneuern, Fehlentwicklungen (wie
Korruption, Bürokratie oder soziale Gleichgültigkeit in einem Staat) zu
beseitigen, oder soll sie umgekehrt ebendiese Demokratie abschaffen, um ein
anderes Regime zu ermächtigen?
## Jede Bewegung will auch wieder zur Ruhe kommen
Populismus als Institution ist, wiederum theoretisch, ein Widerspruch in
sich selbst. In der Praxis hingegen führt sie dazu, dass die Demokratie
technisch nicht mehr allein von Parteien, sondern mehr noch von
„Bewegungen“ bestimmt wird, die sich weniger auf Programme und Modelle,
dafür mehr auf Bilder und Erzählungen beziehen. Jede Bewegung, so viel weiß
man aus der Physik, will aber auch wieder zur Ruhe kommen. Sie wird
Richtungen ändern, neue Bewegungen auslösen. Populismus muss also entweder
zu einer „verbesserten“ Stabilisierung der Demokratie führen oder zu einer
Auflösung.
Ist also der Populismus, mit dem wir es derzeit in Europa und anderswo zu
tun haben, noch mit einer populistischen Reaktion im Sinne der
Gegenbewegung gegen Ungerechtigkeit und Entfremdung zwischen Regierung und
Regierten zu vergleichen? Einige Exponenten dieser Reaktion haben es ja
tatsächlich in die Regierungen geschafft und sehr deutlich gezeigt, was
geschieht, wenn aus einer solchen Reaktion eine Institution wird. Es
entstanden Regierungen, die zwar für sich in Anspruch nehmen, „in Volkes
Stimme“ zu sprechen, die aber demokratisch nicht mehr kontrolliert werden
können und die demokratische Opposition verfolgen. Könnte man tatsächlich
so etwas von links statt von rechts wollen?
Unter einem linken Populismus könnte man sich zunächst eine
„Sammlungsbewegung“ vorstellen, in der, statt auf theoretische Modelle,
politische Überzeugungen und moralische Gewissheiten zu setzen, nun eben
eine Idee davon tritt, „auf das Volk zu hören“ und daher Konflikte
untereinander möglichst klein zu halten oder auf später zu verschieben,
weniger von Ideologie und Utopie zu sprechen als von „Sorgen und Nöten“,
und vor allem eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Schon da, wir wissen
es, wird es gefährlich. Denn „das Volk“, auf den sich jede Art von
Populismus bezieht, existiert ja nicht, es wird durch Sprache, Bild und
Erzählung geformt.
Es geschieht auf selbstverstärkende Weise, es soll vor allem die
demokratische Zivilgesellschaft als Basis von Regierungshandeln ablösen. In
den Institutionen, die Volkes Stimme empfangen, verstärken und umwandeln,
wird aus einer kollektiven Reaktion eine ideologische (manchmal auch
materielle) Droge, die, wie es bei Drogen so der Fall ist, nach immer mehr
und immer stärkeren Dosen verlangt. So mag es, im Notfall einer kranken
Demokratie, zwar eine populistische Reaktion von links geben, aber
keinesfalls eine „linkspopulistische“ Bewegung. Die dauerhafte Ersetzung
von Diskurs, Kritik und Debatte durch Emotion, Bild und Mythos lassen
„Linkspopulismus“ absurd erscheinen.
## Potenzial der Faschisierung in populistischen Bewegungen
Die Inauguration jener Empfänger und Verstärker von „Volkes Stimme“ als
fundamental antidemokratische Führer der populistischen Bewegungen, die
sich über alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Regeln
hinwegsetzen. Die Umwandlung von „Volk“ als Ensemble der (unzufriedenen)
Regierten in eine mythische Gemeinschaft, die sich als „Wir“ gegen „die
anderen“ definiert und diese anderen als Projektionsfläche für Aggression
und Verachtung ansieht.
Jede populistische Bewegung trägt das Potenzial ihrer Faschisierung in
sich, denn nur durch sie bleibt sie in Bewegung, nur durch sie wird aus der
populistischen Reaktion ein neues Machtkonstrukt, das sich eben aus ihr
legitimiert. Um wieder die Physik zu bemühen: Um in Bewegung zu bleiben,
werden neue Energien benötigt. Während man vorgibt, auf die Stimme des
Volkes zu reagieren, schafft man die Kontrollmöglichkeiten und
demokratische Instrumente ab, entzivilisiert man die Gesellschaft, erzeugt
das Chaos, vor dem man zu warnen nicht müde wird.
Die populistische Regierung in Italien, nur zum Beispiel, demonstriert an
der medialen Oberfläche vor allem ihre unmenschliche Härte gegen Menschen
auf der Flucht, doch zur gleichen Zeit werden Antikorruptionsgesetze
abgeschafft, wird die Militarisierung der Politik vorangetrieben, werden
die Regularien für den Waffenbesitz fundamental verändert.
Es gibt Populismus, der sich linker Inhalte und Begriffe bedient. Es gibt
Linke, die sich des Populismus bedienen. Aber einen „Linkspopulismus“ gibt
es nicht. Der Populismus ist eine Kraft, die das Linke zersetzt, von außen
wie von innen. Vielleicht gilt auch die Umkehrung: Nur durch eine Bewegung
nach links kann der Populismus als Todkrankheit der Demokratie überwunden
werden.
27 Jul 2018
## AUTOREN
Georg Seeßlen
## TAGS
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