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# taz.de -- Spaniens „Zimmermädchen“ wehren sich: Miese Jobs
> Auch bekannt als „Las Kellys“ kämpft die Berufsvereinigung der
> Zimmermädchen gegen Auslagerungen und prekäre Arbeitsbedingungen.
Bild: Zumeist sind sie nicht zu sehen: Zimmermädchen in einem Hotel beim Bette…
Madrid taz | Wer Merche nach dem Tag fragt, an dem aus Jorge Mario
Bergoglio Papst Franziskus wurde, bekommt prompt die richtige Antwort. „13.
März 2013“. Nicht etwa, weil die 48-Jährige aus Madrid besonders religiös
wäre. Nein, es war jener Tag, an dem sich für sie auf der Arbeit alles
ändern sollte – zum Schlechten.
Merche ist „Camarera de piso“, Zimmermädchen. Sie putzt Hotelzimmer, Flurs
und Gemeinschaftsräume. „Ich weiß das so genau, weil die Nachricht vom
Papst den ganzen Tag im Fernseher lief, als ich nach ein paar freien Tagen
wieder zur Arbeit kam“, erzählt die Frau, die sich nicht fotografieren
lässt und auch ihren Nachnamen nicht gedruckt sehen will. „Aus Angst vor
Repressalien“, sagt sie. Denn Merche gehört zur Bewegung der Kellys, einem
Zusammenschluss von Zimmermädchen, die gegen die ständige
Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen im spanischen Hotelgewerbe Front
macht.
An jenem 13. März, kaum auf der Arbeit angekommen, berichteten ihr die
Kolleginnen ganz aufgeregt, dass die Geschäftsführung des 5-Sterne-Hotels
im Zentrum der spanischen Hauptstadt eine Betriebsversammlung einberufen
habe. „Wir wurden alle gekündigt“, erinnert sich Merche. Fortan wurden die
Zimmer von einer externen Firma hergerichtet.
Wer auf einen Teil seiner gesetzlich verbrieften Abfindung verzichtete,
wurde von der neuen Firma übernommen und putzte weiterhin dasselbe Hotel –
zu viel schlechterem Lohn und zu miserablen Bedingungen. Merche lehnte ab,
zog vors Arbeitsgericht und bekam zumindest die Abfindung in voller Höhe.
„Eine feste Anstellung in einem Hotel fand ich jedoch nie wieder“, sagt
sie. Auch Merche arbeitet nun in einer dieser ausgelagerten Putzkolonnen.
Seither reicht das Geld hinten und vorne nicht. Merches Mann arbeitet bei
einem Wachdienst auf Abruf. Sie haben zwei Kinder, denen sie nach einer
Berufsausbildung kein weiteres Studium finanzieren konnten. Die Familie
wohnt in einer kleinen 3-Zimmer-Wohnung in einem der Arbeiterviertel
Madrids. An Urlaub ist nicht zu denken. Jede noch so kleine
unvorhergesehene Ausgabe sprengt die Haushaltskasse.
## Immer nur bergab
„Anstatt aufwärts ging es mit uns in den letzten Jahren ständig bergab. Ich
verdiene heute bei der externen Putzfirma so viel oder, besser gesagt, so
wenig wie vor 19 Jahren, als ich im Hotelgewerbe anfing“, beschwert sich
Merche.
Vor der Entlassung 2013 kam sie auf 1.200 Euro netto im Monat und bekam
inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld 14 Monatslöhne ausgezahlt. Jetzt sind
es nur noch um die 850 Euro pro Monat, und das ohne Sonderzahlungen. Aus 30
Tagen Urlaub plus 14 Tagen Feiertagsausgleich wurden 22 Tage pro Jahr.
Putzen Merche und Kolleginnen Gemeinschaftsbereiche, erhalten sie 5,77 Euro
die Stunde. Putzen sie Zimmer, geht das im Akkord, 2,30 Euro pro Zimmer,
egal ob Einzel-, Doppel- oder Dreibettzimmer. Und wenn das Hotel schlecht
belegt ist, erhält sie auch schon mal einen Anruf, dass es keine Arbeit
gebe.
„Die Zimmer kosten pro Nacht je nach Größe und Saison 90 bis 250 Euro. Da
siehst du mal, was die auf unserem Rücken verdienen“, schimpft Merche. Und
das im wahrsten Sinne des Wortes. Merche nimmt ständig entzündungshemmende
Tabletten. Ihr Rücken schmerzt, sie hat es an den Bandscheiben, die Sehnen
an den Handgelenken tun weh, der Ischiasnerv meldet sich regelmäßig. „Ich
habe von allem etwas, aber ich ignoriere es, soweit es geht“, eine
Krankschreibung kann sie sich einfach nicht leisten. Denn ein Krankheitstag
wird nur mit 26 Euro vergolten. Früher im Hotel bekam sie den normalen
Tageslohn.
„Ende 2012 und 2013 kam im Hotelgewerbe eine Massenentlassung nach der
anderen“, erinnert sich Angela Muñoz, eine der Gründerinnen der Kellys, nur
zu gut. Der Grund: Die konservative Regierung unter Mariano Rajoy hatte das
Arbeitsrecht reformiert. Für Massenentlassungen war es nicht mehr nötig,
eine Reihe von verlustreichen Monaten vorzuweisen, es genügte die
Vorhersage schlechter wirtschaftlicher Zeiten für das Unternehmen.
## Umgehung des Branchentarifvertrags
„Externalización“ – wie der neudeutsche Begriff Outsourcing auf Spanisch
heißt – ist seither die Regel. Die Hotelketten, die nach wie vor mit einer
eigenen Belegschaft arbeiten, lassen sich an weniger als einer Hand
abzählen. „Die ausgelagerten Unternehmen richten sich nach eigenen
Haustarifverträgen anstatt nach dem Branchentarifvertrag der Hotels“, sagt
die 55-jährige Muñoz. Auch das ist Folge der Arbeitsmarktreform und der
eigentliche Grund für die Auslagerung.
Zuerst organisierten sich die Kellys lose auf einer Seite in einem sozialen
Netzwerk, tauschten Erfahrungen aus und diskutierten über mögliche
Forderungen, um ihrer Situation zu verbessern. Dann – im März 2016 – wurde
daraus eine Vereinigung. „Das Treffen mit Vertreterinnen aus ganz Spanien
war bei mir zu Hause“, berichtet Muñoz stolz.
Der Name Kellys war nicht die Idee der Frauen. Sie nannten sich „Las que
limpian“ – „Die, die putzen“. „Damit werdet ihr in den Netzwerken kei…
Erfolg haben“, erklärte ihnen die Tochter einer der Gründerinnen im
Teenageralter. So kamen sie darauf, aus „Las que limpian“ – „Las Kellys…
machen.
Der Name hat sich mittlerweile so eingebürgert, dass viele in Spanien das
Wort als Synonym für Zimmermädchen benutzen. Von über 100.000 Zimmermädchen
in ganz Spanien gehören mittlerweile 2.000 der unabhängigen
Berufsvereinigung an.
Die Wohnung von Muñoz in einem Vorort von Madrid, in der die Versammlung
stattfand, zeugt von besseren Zeiten. Sie ist nicht gerade klein, sie ist
hell und hat eine Dachterrasse. Muñoz arbeitet seit 1999 im Hotelgewerbe,
zuerst als Zimmermädchen und dann als Hausdame, die die Schichten einteilt
und organisiert. Bis 2012, da wurde auch sie entlassen und ihr Job wurde
ausgelagert. Jetzt arbeitet die geschiedene Mutter zweier Söhne in einer
dieser neuen Servicefirmen und verdient rund ein Drittel weniger.
Muñoz ist unermüdlich, wenn es um die Anliegen der Zimmermädchen geht. Sie
tritt bei Fernsehtalkshows auf, steht im ständigen Kontakt mit Abgeordneten
im spanischen Parlament und wurde selbst schon vom mittlerweile abgewählten
konservativen Regierungschef Rajoy empfangen. Schließlich geht es nicht um
irgendeine Branche. Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist wichtig für
Spaniens Wirtschaft. Allein 2017 nahm das Land mit seinen 46,5 Millionen
Einwohnern 82 Millionen Touristen auf – Tendenz seit Jahren steigend.
## In den Hotelalltag eingebunden
Bei ihren Auftritten fordert Muñoz immer wieder, dass auch auf die
ausgelagerten Arbeitskräfte der Branchentarifvertrag angewendet wird und
dass bei Auslagerungen alle Arbeitskräfte zu denselben Bedingungen wie
zuvor übernommen werden müssen, wie dies in anderen Bereichen, etwa im
öffentlichen Dienst, üblich ist. Ihre Begründung: „Reinigung und
Instandhaltung sind strukturelle Bereiche des Hotelgewerbes. Ein Hotel
verkauft doch nichts anderes als saubere, ordentliche Zimmer. Die
Zimmermädchen sind bei einem eigenen Unternehmen angestellt, aber in den
Hotelalltag eingebunden, als wäre sie hauseigenes Personal“, beschwert sich
Muñoz. Ein Blick auf den Arbeitsalltag zeigt, was sie meint.
Die Hotelbesitzer kontrollieren alles, trotz Auslagerung. Das geht so weit,
dass manche sogar das Personal, das ihnen geschickt wird, selbst aussuchen.
Dania García weiß dies nur zu gut. Die 26-jährige Frau arbeitet als
Zimmermädchen in einer der Servicefirmen. Sie stammt aus der
Dominikanischen Republik und ist schwarz. „Ich hatte nie Probleme auf der
Arbeit, bis sie mich eines Tages in ein Aparthotel im Norden Madrids
schickten.“ Nach wenigen Tagen bekam sie zufällig mit, wie ihre Vorgesetzte
mit dem Besitzer telefonierte. „Es ging darum, dass ich wegen meiner
Hautfarbe nicht bleiben könne“, berichtet García.
„Du musst verstehen, er hat eben seine Vorlieben“, erklärte ihr die
Hausdame, warum sie nicht mehr kommen solle. Dania protestierte, machte
das, was ihr passierte, auf den Seiten bekannter Politiker in den sozialen
Netzwerken öffentlich und wandte sich schließlich an die Kellys und an SOS
Rassismus. Mehrere Tage stellte sie sich mit einem Pappschild vor das Hotel
und klagte das an, was ihr passiert war. Dann ließ sie es, aus Angst zu
bekannt zu werden und keinen Job mehr zu finden. Jetzt hat sie einen
Anwalt. Was sie genau unternehmen will, weiß sie auch nicht. „Es geht mir
nicht um eine Abfindung oder sonst was. Ich will einfach meine Ehre
verteidigen“, sagt sie nur.
„Wir sind völlig eingebunden“, erklärt auch Pili. Die 56-Jährige ist
Hausdame in einem der größten Serviceunternehmen. „Ich muss je Buchungslage
Personal anfordern oder nach Hause schicken“, sagt Pili, die ihren
Nachnamen nicht öffentlich machen will. „Die Hotelbesitzer dulden keinerlei
Widerspruch“, weiß Pili nur zu gut. „Ich wurde dazu angehalten, kranke
Zimmermädchen zu melden und zu entlassen“, berichtet sie. Als sie sich
weigerte, flog sie selbst aus dem Job.
## Neuer Streit
Das war vor zwei Jahren, jetzt arbeitet sie erneut in einem anderen
Serviceunternehmen. Neuer Streit zeichnet sich bereits ab. Denn das Hotel
will, dass die Zimmermädchen zahlen, wenn ihnen etwas kaputtgeht, zum
Beispiel ein Parfüm oder eine Vase auf den Boden fällt. „Illegal“ sei die…
sagt Pili.
Die verheiratete Mutter zweier Kinder ist von den Gewerkschaften
enttäuscht. Sie schloss sich vor wenigen Monaten einer der beiden großen in
Spanien an, fand aber nur wenig Verständnis für die Lage der ausgelagerten
Zimmermädchen und Hausdamen. „Die Gewerkschaften denken in alten
Kategorien“, sagt Pili. Und die seien mit der Auslagerung und den prekären
Arbeitsbedingungen nicht mehr gültig.
„Der Betriebsrat im Hotel ist für die Zimmermädchen nicht zuständig“, we…
sie. Und in den Serviceunternehmen wird gewerkschaftliche Arbeit nicht
geduldet.
„Vor den Betriebsratswahlen wurden wir gezwungen, in eine kleine
Gewerkschaft einzutreten, die die Chefs ausgewählt hatten“, berichtet Pili.
Spätestens da reichte es ihr. Pili schloss sich den Kellys an, „um endlich
etwas zu machen“. „Wir haben schlechte Zeiten erwischt“, sagt Pili zum
Abschied.
14 Jul 2018
## AUTOREN
Reiner Wandler
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