| # taz.de -- Identitäre Linke und rechte Hegemonie: Die einen sagen ‚auf‘, … | |
| > Rechte machen alle Migranten zu Kriminellen, Linke machen sie zu Opfern. | |
| > Niemand zeigt auf die für Flucht und Migration politisch | |
| > Verantwortlichen. | |
| Bild: Nicht jeder Migrant ist politischer Flüchtling | |
| Die derzeitige Stärke der Rechten liegt auch an der Schwäche der Linken. Es | |
| läge für die radikalere Linke zum Beispiel auf der Hand, zu fragen, warum | |
| man in Russland gerade Fußball spielt, während Putins Luftwaffe in Syrien | |
| die letzten verbliebenen Gebiete der Rebellen in Schutt und Asche legt. Tut | |
| sie aber nicht. Dabei ist die Fifa-Fußball-WM 2018 das überragende Symbol | |
| einer Politik des Zurückweichens vor Regimen, die das Völker- und | |
| Menschenrecht brechen. Ein Zurückweichen vor Diktaturen, die permanent | |
| Fluchtgründe für Hunderttausende und Millionen von Menschen schaffen, die | |
| sich derzeit weltweit auf der Flucht befinden. | |
| Über die für verbrecherische Politiken Verantwortlichen diskutiert die | |
| Öffentlichkeit aber weit weniger als über die durch sie erzeugte Migration. | |
| Über deren Abwehr wurde auch in den Nachrichten der Halbzeitpausen der | |
| Fifa-Fußball-WM in der Vorrunde ausdauernd berichtet. Die Fluchtgründe | |
| spielten aktuell kaum eine Rolle. | |
| Zu den Diktaturen und auch zu ihren Gegnern hat die politische Linke | |
| überwiegend keine Meinung, zumindest die sich radikaler fühlende Linke in | |
| Deutschland nicht. Die Extremeren auf der Rechten haben es leichter. Sie | |
| fraternisieren oft mit den Putins oder Assads. | |
| Auch die Nationalisten im Spektrum von CSU und Seehofer machen sich vor | |
| allen Gedanken darüber, wie sie sich die Opfer weltweiter Repression und | |
| Ungerechtigkeiten vom Hals halten können. Doch wer die Kaltherzigkeit der | |
| Seehofers kritisiert, sollte auch von einer vor sich hin moralisierenden | |
| Linken nicht schweigen, die den politischen Kontext der Debatten (Flucht- | |
| und Migrationsursachen!) fast ebenso gerne ausblendet wie der politische | |
| Gegner auf der Rechten. Die einen sagen „auf“, die anderen „zu“. | |
| Aber beide Lager an den größer werdenden Rändern vermeiden Diskussionen | |
| über internationale Politik. Dabei wäre es die Pflicht demokratischer | |
| Politik, auf korrupte oder staatsterroristische Regime mehr Druck | |
| auszuüben, damit nicht Millionen Menschen vor ihnen fliehen müssen. Doch | |
| keine Debatte, nirgendwo. Politischer Internationalismus? Komplette | |
| Fehlanzeige. | |
| ## Pauschalisierende Opfer-Vokabel | |
| Der moralisierende, identitäre Teil der Linken gefällt sich derzeit | |
| vielmehr darin, in jedem Migranten einen politischen Flüchtling zu sehen. | |
| Ein Opfer, dem es ohne Weiteres und unmittelbar zu helfen gelte. Man hat | |
| ein wenig das Gefühl, dass der alte Eurozentrismus hier die wohl bekannte | |
| Figur des edlen Wilden wieder auferstehen lässt. Im Spektrum der | |
| identitären Linken will man ohne individuelle Unterscheidung das nackte | |
| Leben Bedrohter retten. Aber ist es so schlicht? | |
| Nicht nur Rechtsradikale zweifeln daran, dass es immer und ohne Prüfung um | |
| dieses geht. Auch pragmatische Linke sagen: Wer nicht die ganze Gruppe | |
| unter Generalverdacht stellen will, muss individuell genauer hinschauen. | |
| Die links-identitäre Rhetorik stellt politisch Verfolgte, von Tod und | |
| Folter bedrohte Oppositionelle, auf eine Stufe mit Menschen, die manchmal | |
| auch nur auf der Suche nach einem höheren Konsumniveau sind. Auch Letzteres | |
| mag berechtigt sein, kann allerdings nicht die gleiche existenzielle | |
| Dringlichkeit für sich beanspruchen. | |
| Die derzeitige pauschalisierende Opfer-Vokabel vom Flüchtling überdeckt | |
| zudem mögliche Handlungs- und Unterstützungsansätze in den Herkunftsstaaten | |
| selbst. Eine politische und nicht rein karitativ tätige Linke sollte aber | |
| die politischen Subjekte der Veränderung dort aufspüren und unterstützen. | |
| Eine internationalistische Idee eines vom Staat unabhängigen Handelns ist | |
| jedoch kaum mehr feststellbar. | |
| Die völkisch-identitäre Rechte belegt ihre noch hemmungsloseren kollektiven | |
| Projektionen mit ausschließlich negativen und phobischen Attributen. Im | |
| Fokus steht hier der dunkle (muslimische) Mann, über den und dessen | |
| Herkunft man zwar im Einzelfall wenig weiß, den man jedoch kollektiv als | |
| sexuellen Gefährder und potenziellen Kriminellen betrachtet. Das riecht | |
| eher nach einem rassistisch aufgeladenen Klassendiskurs als einem Disput | |
| über unterschiedlich vorgestellte Kulturen oder gar Religionen. | |
| ## Islamisten und Diktaturangehörige abweisen | |
| Dabei gilt die Annahme, vielleicht auch die Hoffnung, dass beide, die | |
| rechtsvölkischen Reinheitsfanatiker wie auch die linksidentitäre „Grenzen | |
| auf für alle“-Fraktion, ohne eine qualitative Differenzierung beim Thema | |
| Einwanderung und Asyl künftig nicht sehr weit kommen werden. Migration ist | |
| bei voranschreitender Globalisierung der Welt eine unumkehrbare Tatsache, | |
| man kann sie nicht, wie die (extreme) Rechte das tat, dauerhaft | |
| ignorieren. Man wird sich aber auch nicht wie die identitären Linken | |
| dauerhaft weigern können, sie aktiv zu regulieren und zu gestalten. | |
| Auch der Syrer und die Syrerin, die vor den Mordbanden Assads oder des | |
| Islamischen Staats geflüchtet sind, wünschen, dass sie im (demokratischen) | |
| Exil nicht wieder den Fratzen der Finsternis ausgesetzt werden und sicher | |
| sind. Sie sind die Ersten, die auf einer wirksamen Kontrolle an den | |
| europäischen Außengrenzen bestehen, die kriminelle Elemente wie Islamisten | |
| oder Diktaturangehörige abweist. | |
| Die persönlichen Migrationsgründe müssen einer individuellen Überprüfung | |
| standhalten. Auch in den Augen des politischen Flüchtlings. Und es ist ja | |
| auch so, dass dies teilweise geschieht. Der Rechtsstaat schützt zudem die | |
| vor dem Schurkenstaat Geflohenen. Wie etwa am letzten Juni-/ersten | |
| Juli-Wochenende. Da vereitelten die europäischen Polizeibehörden ein | |
| Bombenattentat auf eine Versammlung der iranischen Exilopposition in | |
| Paris. Der Drahtzieher, in der iranischen Botschaft in Wien sitzend, musste | |
| die Europäische Union mittlerweile verlassen, wie der ORF berichtet. Auch | |
| unterhalb von Atomabkommen spielt sich also einiges ab. Man muss politische | |
| und behördliche Vorgänge nur wahrnehmen wollen – und schon hat man ganz | |
| andere Bezüge und Diskussionen. | |
| Eine Hierarchisierung der Migrationsgründe zur Anerkennung von politischen | |
| Asyl ist unvermeidlich, will man halbwegs gerecht handeln. Aber auch um die | |
| Bevölkerung aufnehmender Nationen in ihrer Mehrheit für sich zu gewinnen. | |
| Es ist nun mal nicht jeder Migrant ein politischer Flüchtling. Für Arbeits- | |
| und Armutsmigration braucht es andere Möglichkeiten und Kriterien als die | |
| des politischen Asyls, um sich legal Zutritt zum Raum der EU verschaffen zu | |
| können. Es braucht ein Einwanderungsgesetz, wie es die Grünen seit | |
| Jahrzehnten fordern, damit das Grundrecht auf politisches Asyl oder | |
| Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention nicht in der Praxis | |
| ausgehöhlt werden. | |
| ## Katastrophismus der identitären Linken | |
| Es ist nicht die Zeit für Maximalforderungen, gefragt ist ein | |
| humanistischer Pragmatismus, durch den man dem Katastrophismus der | |
| identitären Linken sowie auf der anderen Seite der völkischen Rechten | |
| selbstbewusst begegnen kann. Dies könnte auch helfen, die Ethnisierung des | |
| Sozialen, der Sprache, des Denkens und des Alltags zu stoppen, damit über | |
| die Lager hinweg rationaler kommuniziert werden kann. | |
| Angela Merkel hat mit der Aufnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien | |
| 2015/16 nicht die Islamisierung Deutschlands betrieben, sondern ist | |
| humanitären Grundsätzen, Grund- und Menschenrechten im Rahmen des sozial | |
| Machbaren gefolgt. Geht es irgendjemandem in Deutschland deswegen | |
| persönlich heute etwa materiell schlechter? | |
| Aber auch der linke Kulturrelativismus, der meint, Menschenrechte seien ein | |
| Produkt des westlichen Imperialismus, die nicht für außereuropäische | |
| Ethnien und die mit eingewanderten religiösen Institutionen gelten, muss | |
| entschieden zurückgewiesen werden. Moscheen und Organisationen, die | |
| finanziell und personell von ausländischen Diktaturstaaten abhängen, sind | |
| für demokratisch verfasste Gesellschaften eine Gefahr. Es dient keineswegs | |
| einer toleranten Lebensweise, wenn unter dem Deckmantel der | |
| Religionsfreiheit tatsächlich verfassungsfeindliche Propaganda betrieben | |
| wird. Das ist nicht nur ein Thema bei der Salafistenszene. | |
| ## Wir brauchen einen neuen Internationalismus | |
| Auch hier gilt es, zu differenzieren und nicht der Islamphobie der | |
| extremeren europäischen Rechten auf dem Leim zu gehen. Doch die | |
| überdurchschnittlich hohe Anzahl etwa von Erdoğan-Anhängern in Deutschland | |
| ist nicht anders als mit der relativ ungehinderten | |
| religiös-nationalistischen AKP-Propaganda in Deutschland zu erklären. | |
| Türkische Lobbyverbände, die dies verharmlosen und meinen, das Problem der | |
| (bio)deutschen Gesellschaft in die Schuhe schieben zu können („verweigerte | |
| Integration“), verharmlosen dies und sind selber eher Teil des Problems – | |
| gerade wenn sie von der identitären Linken als die angeblich legitimen | |
| Repräsentanten der Migrationen hofiert werden. | |
| Und, auch wenn nun während der schönen Fifa-Fußball-WM so viel über | |
| Transitzentren und neues CSU-Denken zu hören ist: Der Ball ist rund, und | |
| die Welt ist es auch. Wir brauchen einen neuen Internationalismus. Einen, | |
| der sich traut, verbrecherische Regime beim Namen zu nennen, und | |
| Solidarität nicht nur mit Flüchtlingen, sondern mit den politisch aktiven | |
| Oppositionsbewegungen sucht. | |
| 7 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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