# taz.de -- Debatte Abbiegeunfälle von LKW: Lastwagen raus aus den Städten! | |
> Wenn Lastwagen Kinder töten, müssen nicht die Kinder von der Straße | |
> verschwinden – sondern die Laster. Auf dem Weg zur lasterlosen Stadt. | |
Bild: Insgesamt kamen im letzten Jahr 38 Radfahrer durch rechts abbiegende Last… | |
Es sind Nachrichten, die nicht nur diejenigen erschaudern lassen, die | |
selbst Kinder haben: In Berlin wurde ein achtjähriger Junge, der mit dem | |
Fahrrad auf dem Weg zur Schule war, vor den Augen seiner Mutter von einem | |
abbiegenden Lastwagen überrollt und getötet. In Köln starb ein | |
Siebenjähriger, der mit seinem Vater unterwegs war, durch ein abbiegendes | |
Müllauto, in München wurde ein neunjähriges Mädchen von einem Kipplaster | |
überrollt, [1][in Hannover starb ein Elfjähriger unter einem Sattelzug]. | |
Alle diese Unfälle fanden innerhalb von sechs Wochen statt. Alle Kinder | |
verhielten sich vorschriftsmäßig. Alle hatten keine Chance gegen die | |
tonnenschweren Monster, die sie überrollten. Insgesamt kamen im letzten | |
Jahr 38 Radfahrer durch rechts abbiegende Lastwagen zu Tode. | |
Die Betroffenheit ist bei jedem dieser tragischen Unfälle groß. Und manche | |
Eltern reagieren darauf, indem sie ihre Kinder nicht mehr mit dem Fahrrad | |
auf die Straße lassen. Das mag individuell verständlich sein, | |
gesellschaftlich ist es aber die falsche Konsequenz. Wenn Lastwagen Kinder | |
töten, müssen nicht die Kinder von der Straße verschwinden – sondern die | |
Laster. | |
Doch während bei anderen Themen ein einzelner Todesfall hektische | |
politische Konsequenzen auslösen kann, wird bei den Lastwagen nicht einmal | |
darüber diskutiert, das Problem ernsthaft anzugehen. Hier gilt es schon als | |
revolutionär, getrennte Ampelphasen für Autos und Fahrräder zu fordern, | |
oder an die EU zu appellieren, die Voraussetzungen zur Einführung eines | |
[2][elektronischen Abbiegeassistenten] zu schaffen, der die Lkw-Fahrer | |
[3][vor Zusammenstößen akustisch warnt]. | |
## Es könnte Verteilzentren geben | |
Das mag daran liegen, dass es auf den ersten Blick wenig realistisch | |
erscheint, Laster aus den Städten zu verbannen. Irgendwie, so höre ich | |
schon die KritikerInnen, müssen die Güter, die wir alle täglich brauchen, | |
doch in die Städte kommen. Das müssen sie ohne Frage – aber weder in | |
40-Tonnern noch in 7,5-Tonnern, die offensichtlich nicht dazu geeignet | |
sind, die engen Straßen in der Stadt so mit FußgängerInnen und | |
RadfahrerInnen zu teilen, dass es keine Toten gibt. | |
Stattdessen könnten die Schwerlaster ihre Waren zu Verteilzentren am | |
Stadtrand transportieren, wo diese in kleine Transporter umgeladen werden. | |
Das löst natürlich nicht alle Probleme, denn auch Pkw und Kleintransporter | |
könnten Unfälle verursachen. Die Statistik zeigt aber, dass die tödliche | |
Gefahr bei Lastwagen weitaus größer ist – durch ihr gewaltiges Gewicht, den | |
größeren Abbiegeradius und den „toten Winkel“, mit dem viele Unfälle | |
begründet werden, obwohl es sie bei korrekt installierten und eingestellten | |
Spiegeln eigentlich nicht mehr geben dürfte. | |
Und natürlich führt es – auch wenn der Durchgangsverkehr entfällt und | |
direktere Wege gefahren werden können – insgesamt zu mehr Fahrten, wenn die | |
gleiche Menge Güter mit kleineren Fahrzeugen in die Stadt transportiert | |
wird. Dafür wären die Verteilfahrzeuge natürlich komplett elektrisch | |
unterwegs, so dass Lärm und Abgase in den Städten trotz der höheren | |
Fahrzeugzahl abnehmen würden. Und wenn die Verteilzentren neben einem | |
Straßen- auch einen Schienenanschluss haben, steigt durch ein solches | |
Verkehrssystem zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn. | |
Auch dass eine solche Lösung nicht ganz billig wäre, darf kein | |
Gegenargument sein. Im Verkehrssektor werden ohnehin ständig große Summen | |
investiert. Die Städte sparen zudem viel Reparaturkosten, wenn keine | |
Schwerlaster über ihre Straßen rollen. Wenn Transportkosten ein bisschen | |
steigen, geht die Welt nicht unter. Und überhaupt gilt hier: Lebensqualität | |
– und erst recht Leben! – ist schwer in Geld aufzuwiegen. | |
Nicht wirklich zu entkräften ist hingegen das Argument, dass auch mit noch | |
so viel politischem Willen und noch so guter Planung nicht alle Lkw-Fahrten | |
in der Stadt vermieden werden können. Solange Müll produziert wird und | |
Häuser gebaut werden, wird es auf den Straßen Müllautos und Betonmischer | |
geben. Manche Transportgüter sind zudem schlicht zu groß, um in kleinere | |
Fahrzeuge umgeladen zu werden. Und Reisebusse, die in vieler Hinsicht | |
ähnliche Probleme machen wie Lastwagen, wird man auch nicht aus den Städten | |
verbannen können. | |
## Sinkt die Zahl der Lkw, steigt die Sicherheit gewaltig | |
Dass es Ausnahmen geben müssen wird, spricht aber nicht gegen ein | |
grundsätzliches Laster-Verbot. Auch wenn die Lkw in den Städten nicht | |
völlig verschwinden, sondern ihre Zahl nur deutlich sinkt, steigt die | |
Sicherheit schließlich schon gewaltig. Und die verbliebenen Fahrzeuge | |
müssten dann eben durch Auflagen so sicher wie möglich gemacht werden. | |
Da kommen dann wieder die eingangs erwähnten Abbiegeassistenten ins Spiel – | |
die aber natürlich nicht nur warnen sollten, sondern den Lkw tatsächlich | |
stoppen müssen, wenn eine Kollision droht. Die Politik verweist darauf, | |
dass diese Geräte nur mit Zustimmung der EU vorgeschrieben werden können. | |
Doch dass die Kommunen noch nicht einmal ihre eigenen Fahrzeuge (Stichwort: | |
Müllwagen!) damit ausgerüstet haben, zeigt, wie wenig ernst die Politik das | |
Problem bisher genommen hat. | |
Daneben – oder bis dahin – könnte das Laster-Risiko mit vielen weiteren | |
Maßnahmen sofort verringert werden: ein durchgängiges Tempolimit von 30 | |
Kilometern pro Stunde für alle Lastwagen und Busse in der Stadt – | |
standardmäßig kontrolliert per Fahrtenschreiber. Eine Beifahrer-Pflicht für | |
Fahrzeuge, die über keinen elektronischen Abbiegeassistenten verfügen. Ein | |
Rechts-abbiege-Verbot an allen gefährlichen Kreuzungen (dreimal links | |
abbiegen führt auch ans Ziel). | |
Doch abgesehen von den absolut unvermeidbaren Fahrten dürfen diese | |
Maßnahmen nur Zwischenschritte zur lasterlosen Stadt sein. Dass dafür | |
derzeit die Rechtsgrundlagen fehlen, darf kein Hinderungsgrund sein – dann | |
muss man sie eben schaffen. Das Recht der Kinder auf Leben muss einfach | |
höher wiegen als das Recht der Lkw-Fahrer auf europaweite Freizügigkeit. | |
Wer das anders sieht, sollte es nach dem nächsten Unfall den trauernden | |
Eltern bitte direkt ins Gesicht sagen. | |
24 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Unfaelle-durch-rechtsabbiegende-LKW/!5497221 | |
[2] /Nach-Rechtsabbieger-Unfall-in-Hamburg/!5501346 | |
[3] /Kommentar-Toedliche-Fahrradunfaelle/!5476121 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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