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# taz.de -- Obdachlose Polen in Berlin: „No help, no life“
> Polnische Sozialarbeiter sollen ab Juli obdachlose Landsleute aus Berlin
> zur Rückkehr bewegen. Viele wollen aber nicht zurück.
Bild: Solche Obdachlosenlager im Tiergarten erregten Unmut
Der blonde Mann in Flipflops, Shorts und T-Shirt fuchtelt mit den Armen
energisch durch die Luft, als müsse er die Frage körperlich abwehren. Nein,
nach Polen wolle er auf keinen Fall zurück. „No money, no help, no life“,
sagt er.
Mit ein paar polnischen Freunden steht er am Mittag auf dem Bürgersteig
hinter dem Bahnhof Zoo in der Sonne. Ihre teils nackten Oberkörper sind
braun gebrannt, die Blicke trüb. In regelmäßigen Abständen wird Klarer in
Plastikbecher ausgeschenkt. Der junge Mann erzählt, er habe eine Zeit lang
auf einer Baustelle gearbeitet, im Moment sei er ohne Job. Er zeigt zur
Stadtmission, die ein paar Meter weiter ihre Essensausgabe hat. „Good food,
good help.“
Es dürfte nicht so einfach werden für die Sozialarbeiter der polnischen
Hilfsorganisation Barka: Ab Juli sollen vier von ihnen in Berlin unterwegs
sein, um in Berlin in der Obdachlosigkeit gestrandete Pol*innen zur
Heimkehr zu bewegen, hat die polnische Botschaft angekündigt. „Ziel des
Projekts ist es, dass den Leuten in Polen geholfen wird“, sagt der
Botschaftssprecher Dariusz Pawłoś. Er betont: „Wenn sie sich entscheiden
zurückzukehren, lassen wir sie nicht im Stich.“
## Grüner Bürgermeister forderte Abschiebung
Seit Jahren steigt die Zahl der Osteuropäer, die in Berlin auf der Straße
leben. Nachdem im vergangenen Herbst eine Frau auf dem Heimweg vom
Schleusenkrug mutmaßlich von einem Russen ermordet wurde, kochte die
Debatte hoch: Am problematischsten sei eine Gruppe von überwiegend
osteuropäischen Obdachlosen, die sehr aggressiv seien, sagte damals der
grüne Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, und forderte deren
Abschiebung. Eine Taskforce für den Tiergarten wurde gegründet, die Zelte
im Park geräumt.
Im Zuge dieser Debatte hatte die polnische Botschaft verkündet,
Sozialarbeiter nach Berlin holen zu wollen. Das klappt nun offenbar. Die
Organisation Barka habe vom polnischen Senat Gelder bewilligt bekommen,
bestätigt Pawłoś. Die polnischen Arbeitskräfte würden auch in Polen selbst
gebraucht, begründet er das Engagement gegenüber der taz. „Außerdem gibt es
kein gutes Bild ab, wenn die meisten Obdachlosen in Berlin Polen sind.“
## Etwa 2.000 obdachlose Polen
Etwa 2.000 Polen leben ohne feste Bleibe in Berlin, schätzt die Regierung
in Warschau. Die sozialen Träger in Berlin gehen von insgesamt 4.000 bis
6.000 Obdachlosen in der Stadt aus. Hinzu kommen weitere rund 30.000
Wohnungslose, die in Wohnheimen oder Hostels untergebracht sind.
Die Sozialarbeiter von Barka sollen in zwei Teams mit je zwei Leuten in
Berlin unterwegs sein, sagt Pawłoś. „Es ist immer einer dabei, der früher
selbst obdachlos war.“ Sie sollen vor allem an die Brennpunkte gehen. „Wir
denken an den Bahnhof Zoo und den Tiergarten, aber auch an den Ostbahnhof“,
so der Sprecher. Auch eine Zusammenarbeit mit deutschen
Hilfsorganisationen wünsche man sich, etwa mit den Straßensozialarbeitern
von Gangway oder Klik.
Die zeigen sich überrascht. „Mit uns hat bisher niemand Kontakt
aufgenommen, wir haben von einer möglichen Kooperation aus den Medien
erfahren, Klik ging es genauso“, sagt Juri Schaffranek von Gangway. Von
ihrer Seite gebe es dabei auch erhebliche Bedenken. „Barka hat nach unseren
Erfahrungen einen eher paternalistischen Ansatz. Sie wissen, was gut ist
für die Leute.“ Gangway entwickle dagegen gemeinsam mit den Betroffenen
eine Hilfeplanung. „Da gibt es kulturelle Unterschiede. Wenn das
Grundverständnis von Straßensozialarbeit nicht kompatibel ist, geht es
nicht.“
Schaffranek hält es auch nicht für sinnvoll, die Leute zur Rückkehr nach
Polen zu überreden. Schon jetzt sei es für Gangway möglich, ein Ticket zu
besorgen und Rückkehrhilfen zu organisieren. „In Einzelfällen haben wir das
gemacht. Aber viele wollen das gar nicht.“ Immer wieder komme es vor, dass
polnische Arbeiter in Berlin um ihren Lohn geprellt würden und dann auf der
Straße landeten. „Die haben die Hoffnung, das Geld doch noch zu bekommen.“
Manche schämten sich auch zurückzukehren.
## Häufig Suchtprobleme
Viele polnische Obdachlose hätten zudem ein großes Suchtproblem oder seien
in einem so elenden körperlichen und psychischen Zustand, dass man sie erst
mal stabilisieren müsse, so Schaffranek. „Was man braucht, ist ein
regelmäßiger Kontakt vor Ort, um überhaupt erst mal Vertrauen aufzubauen.“
Erst dann könne den Leuten geholfen werden.
Mittes Bürgermeister Stephan von Dassel dagegen findet das Projekt
grundsätzlich richtig. „Wir begrüßen es, wenn die Heimatländer
Verantwortung übernehmen“, sagt er der taz. Für eine mit den polnischen
Behörden vernetzte Organisation sei es sicherlich leichter, den Menschen
beispielsweise wieder eine Krankenversicherung zu verschaffen. Von Dassel
sagt, man müsse die Betroffenen zunächst in Berlin unterstützen, etwa mit
Überbrückungshilfen. Doch er ist nach wie vor überzeugt: Wenn es für sie in
Berlin keine Perspektive gebe, müssten sie zurück. „Die Frage des
Aufenthalts ist nicht eine, die jeder alleine entscheiden kann.“
Auf dem Bürgersteig hinter dem Bahnhof Zoo unterhalten sich die Männer
lautstark. Was Barka betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Die einen
sagen, die Hilfsorganisation mache schon gute Sachen. Andere winken ab:
„Barka no good.“
Während die Männer weitgehend unter sich bleiben, drängeln sich auf der
anderen Seite des Bahnhofs Passanten und Touristen vorbei. Neben dem Weg in
den Tiergarten stehen Blumen und ein Schild in Erinnerung an die ermordete
Susanne F. Zelte gibt es keine mehr. Nur ein paar Schlafsäcke im Gebüsch
deuten darauf hin, dass hier nach wie vor Menschen übernachten.
17 Jun 2018
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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Sozialarbeit
Grüne Berlin
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