# taz.de -- Regierungsbildung in Italien: Gute Nachricht, schlechte Nachricht | |
> Der Koalitionsvertrag ist da: Schuldenschnitt und Euro-Austritt stehen | |
> nicht drin, leicht wird es die EU mit dieser Regierung trotzdem nicht | |
> haben. | |
Bild: Luigi di Maio (M5S) und Matteo Salvini (Lega) haben zueinander gefunden �… | |
ROM taz | Am Mittwochabend kam eine gute ebenso wie eine schlechte | |
Nachricht für die EU aus Rom. Die gute Nachricht: Das von dem | |
Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) unter Luigi Di Maio und der Lega | |
unter Matteo Salvini vorgelegte Regierungsprogramm sieht weder einen | |
Austritt Italiens aus dem Euro, noch ein Referendum über die Mitgliedschaft | |
in der Währungsunion oder einen Schnitt der öffentlichen Schulden vor. | |
Die schlechte Nachricht: Die beiden Anti-System-Parteien werden in Zukunft | |
auf diversen Feldern, von der Haushaltsdisziplin zur Flüchtlingspolitik, | |
einen offenen Konfrontationskurs mit der EU und der Eurogruppe einschlagen. | |
40 Seiten umfasst der von den beiden Wutbürger-Parteien ausgehandelte | |
Koalitionsvertrag – 40 Seiten, die es in sich haben. Vorneweg wollen die | |
Lega und die Fünf Sterne ihre zentralen Wahlversprechen umsetzen. | |
Das ist für die Lega die Flat tax bei der Einkommens- und | |
Unternehmensbesteuerung. Der Vertrag sieht vor, dass bei den Einkommen nur | |
noch zwei Steuersätze von 15 bzw. 20 Prozent gelten sollen, während | |
Unternehmen generell nur noch mit dem 15-Prozent-Satz besteuert werden | |
sollen. Diese Maßnahme kommt vor allem den Beziehern mittlerer und hoher | |
Einkommen zugute – und damit der nördlichen Hälfte des Landes, in der die | |
rechtspopulistische Lega ihre Hochburgen hat. | |
„Formel 100“ statt Rentenreform | |
Arbeitnehmer mit niedrigeren Einkommen gehen dagegen leer aus. Doch auch | |
für sie hat der Koalitionsvertrag eine Lega-Forderung aus dem Wahlkampf zu | |
bieten: Die Änderung der 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise | |
verabschiedeten Rentenreform. | |
Die sah eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre vor, die jetzt | |
teilweise zurückgedreht werden soll. In Zukunft soll die „Formel 100“ zum | |
Tragen kommen, wobei 100 für die Summe aus Lebensalter und Beitragsjahren | |
steht. Wer also 62 Jahre alt ist und 38 Jahre Beiträge abgeführt hat, darf | |
dann wieder mit 62 Jahren in Rente gehen. | |
Das M5S wiederum hatte vor allem in Süditalien mit der Forderung nach einem | |
„Bürgereinkommen“ abgeräumt, und auch dieses findet sich jetzt im | |
Regierungsprogramm. Arbeitslose im erwerbsfähigen Alter genauso wie | |
Bezieher von Kleinstrenten sollen in Zukunft 780 Euro pro Monat erhalten. | |
Allerdings handelt es sich hierbei nicht, wie der Name suggeriert, um ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen, sondern eher um Hartz IV: Der Bezug ist an | |
die Bereitschaft geknüpft, Arbeitsangebote anzunehmen, alternativ | |
Fortbildungen zu besuchen oder gemeinnützige Arbeiten zu verrichten. | |
Eingeführt werden soll das Grundeinkommen allerdings erst im Jahr 2020, da | |
im nächsten Jahr erst einmal – mit Ausgaben von zwei Milliarden Euro – die | |
Arbeitsverwaltung auf Vordermann gebracht werden soll. | |
Woher das Geld kommen soll, ist nicht klar | |
Schon diese drei Programmpunkt sind teuer. Die Steuermindereinnahmen mit | |
einer Flat tax werden auf ca. 50 Milliarden Euro jährlich geschätzt, das | |
Bürgereinkommen brächte Ausgaben von 17 Milliarden mit sich, die | |
Rentenreform ca. 26 Milliarden. | |
Den zukünftigen Koalitionspartnern macht all das keine Sorgen. Die | |
Steuerreform sorge für „höheren Konsum und höhere Investitionen“, heißt… | |
im Vertrag, damit erweitere sich in Zukunft die Summe der besteuerbaren | |
Einkommen. | |
Und wenn Defizitlatten gerissen werden, ist das kein Problem: „Die | |
„europäische ökonomische Governance“ beginnend beim Stabilitätspakt müs… | |
einer Generalrevision unterzogen werden, natürlich „gemeinsam mit den | |
anderen europäischen Partnern“. Wie das gehen soll, verschweigt der | |
Vertrag; ebenso wenig enthält er eine Antwort auf die Frage, was Italiens | |
Regierung denn tun wird, wenn aus Brüssel und Berlin ein kräftiges Nein | |
kommt. | |
Ein Nein aus Brüssel ist ganz gewiss zu zwei Forderungen zu erwarten: Dazu, | |
in Zukunft Investitionsausgaben aus dem staatlichen Defizit rauszurechnen, | |
ebenso wie dazu, die Gesamtschuldenquote mit dem Rechentrick zu senken, | |
dass die in den letzten Jahren über das Quantitative Easing von der EZB | |
aufgekauften Staatsschuldtitel einfach nicht beim Schuldenstand | |
mitgerechnet werden soll, der für Italien ja stolze 132 Prozent des BIP | |
beträgt. | |
Massenabschiebungen – aber wie? | |
Die Lega, die sich in den letzten Jahren verstärkt fremdenfeindlich | |
aufgestellt hat, konnte sich zu guten Teilen auch auf dem Feld der | |
Flüchtlingspolitik durchsetzen. Massenabschiebungen abgelehnter | |
Asylbewerber stehen oben auf der Liste. Erneut aber wird verschwiegen, wie | |
das praktisch umgesetzt werden soll. | |
Außerdem fordert der Koalitionsvertrag eine Revision des Dublin-Abkommens; | |
an seine Stelle soll die Aufteilung der Flüchtlinge auf alle | |
EU-Mitgliedstaaten treten. Außerdem würden Lega und Fünf Sterne sich | |
freuen, wenn Asylbegehren in Zukunft in den Herkunfts- und | |
Durchreisestaaten – also zum Beispiel in Libyen – geprüft würden. | |
Für reichlich Konfliktstoff in Europa wäre also gesorgt. Doch ehe es so | |
weit kommt, muss die Regierung erst einmal gebildet werden. Noch konnten | |
die beiden Partner sich nicht auf einen Regierungschef einigen. Außerdem | |
wollen sie am kommenden Wochenende ihre Mitglieder über den | |
Koalitionsvertrag abstimmen lassen. | |
17 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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