# taz.de -- Debatte Demokratieunterricht an Schulen: W wie Wertschätzen | |
> Sachsen will die Demokratieerziehung an den Schulen stärken. Bei manchen | |
> weckt der Wertekunde-Unterricht böse Erinnerungen an DDR-Indoktrination. | |
Bild: Ist diktatorische Indoktrination wirklich vergleichbar mit früher Demokr… | |
Das Referat 36 im sächsischen Kultusministerium ist derzeit mit einer | |
staatstragenden Mission betraut: Es soll nichts Geringeres retten als die | |
demokratische Kultur an den Schulen im Freistaat – und ganz nebenbei den | |
„autoritären und antidemokratischen Strömungen“, die sich dort immer | |
offener zeigen, entgegentreten. Die Wunderwaffe, mit der das gelingen soll: | |
die Handlungsempfehlung „W wie Werte“, die noch diesen Sommer | |
unterschriftsreif auf dem Tisch von CDU-Kultusminister Christian Piwarz | |
liegen soll – und für deren Umsetzung die schwarz-rote Landesregierung | |
schon eine Million Euro bereitgestellt hat | |
Fremdenfeindliche und rechtsradikale Einstellungen sind auch schon unter | |
Jugendlichen verbreitet. Ein Indiz dafür: Bei der letzten Juniorwahl, die | |
bundesweit mehr als 3.400 Schulen zeitgleich zur Bundestagswahl abhielten, | |
wählten 13 Prozent der sächsischen Schüler*innen AfD – mehr als in jedem | |
anderem Bundesland, mehr als doppelt so viele wie im Bundesschnitt. | |
In Anbetracht dieser Zahlen muss man dem sächsischen Kultusministerium | |
Respekt dafür zollen, dass es erstens das Thema nicht so beharrlich | |
ignoriert wie etwa der Nachbar Sachsen-Anhalt (12,4 Prozent AfD bei der | |
Juniorwahl). Und dafür, dass es zweitens für die Erarbeitung seines | |
Werte-Konzepts Wissenschaftler*innen, Menschenrechtsgruppen und | |
Schüler*innen mit ins Boot holte. Und drittens – wegen der Vorschläge | |
selbst. Die 31 Maßnahmen der Handreichung muss man als konsequent und mutig | |
würdigen. Endlich mal eine Bildungsreform, die mehr ist als reine Kosmetik | |
oder purer Aktionismus! | |
Kommt das Werte-Konzept in seiner jetzigen Form durch den Landtag, könnten | |
bald Lehrpläne geändert, neue Schulmaterialien gedruckt, Lehrer*innen | |
fortgebildet und die Lehramtsausbildung könnte umgestellt werden. An | |
Gymnasien und an Oberschulen würde das Fach Gemeinschaftskunde schon in der | |
7. statt bisher in der 9. Klasse beginnen. Vertrauenslehrer*innen würden | |
entlastet, zusätzliche Klassenleiterstunden geschaffen werden. Alle | |
Lehramtsstudierende müssten ein Demokratiemodul belegen, egal ob sie Sport, | |
Mathe oder Geschichte unterrichten wollen. Und: Sämtliche Schulleiter*innen | |
müssten eine Fortbildung zur Demokratieerziehung mitmachen – und da beginnt | |
das Problem. | |
Denn die ostdeutschen Bundesländer haben sich aufgrund der | |
Indoktrinationserfahrungen während des SED-Regimes, Stichwort | |
Staatsbürgerkunde, bis heute eine begründete Distanz zur „politischen | |
Kultur“ und zur „Demokratieerziehung“ bewahrt. Als sich der thüringische | |
Bildungsminister Helmut Holter (Linke) vor Kurzem gegen verpflichtende | |
KZ-Besuche von Schüler*innen ausgesprochen hat, begründete er dies mit | |
ebenjener Schulerfahrung in der DDR. Wenn das Wertepapier nun einfordert, | |
dass Schüler*innen bereits „in jungen Jahren Vorzüge, Leistungen und | |
Chancen der Demokratie erfahren“ sollen – wem kann man verdenken, dass da | |
sofort Erinnerungen an die „ideologische Erziehung“ vor 1989 wach werden? | |
Vielleicht verbunden mit der Sorge, dass ein staatlicher Erziehungsanspruch | |
ein weiteres Mal in Denkverboten münden könnte? | |
Die Frage, wie viel Unterstützung das Ministerium bei den Lehrkräften hat, | |
ist bei der Umsetzung aber entscheidend. Denn solange sich Lehrer*innen dem | |
Argument verschließen, dass die demokratische Erziehung im Unterricht | |
notwendig sei, kann keine Fortbildung sensibilisieren und kein Lehrplan | |
Erfolg haben. Nach ersten Treffen mit der „Basis“ haben die Referenten im | |
Ministerium – wie sie hinter vorgehaltener Hand einräumen – durchaus | |
Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Schulen. Fakt ist: Von den | |
33.000 Lehrer*innen in Sachsen ist ein Großteil in der DDR sozialisiert. | |
Ein Teil unterrichtet mit DDR-Abschlüssen. Es gehört eben auch zur | |
Wahrheit, dass unter ihnen auch solche sind, die in der BRD nicht das beste | |
Staatssystem sehen. | |
Zur fehlenden Kooperationsbereitschaft gehört aber auch die Gegenseite. | |
Sachsen hat sich lange gesträubt, seine Lehrer*innen zu verbeamten. Erst | |
2018, als die innerdeutsche Arbeitsmigration kein Zögern mehr zuließ, | |
reagierte die Staatsregierung. Allerdings: Nur Lehrkräfte bis 42 Jahre, | |
gerade mal jedeR Fünfte, werden nun nachträglich verbeamtet. Die große | |
Mehrheit erfährt eine Altersdiskriminierung. | |
Man muss die Beamtenfrage nicht überbewerten. Aber unterschätzen darf man | |
sie auch nicht. Sicher ist: Man kann Befindlichkeiten taktvoller begegnen. | |
Wie, zeigt passenderweise das Werte-Papier. Gruppen wie „Schule ohne | |
Rassismus“, die seit Jahrzehnten in Sachsen an Schulen Fremdenfeindlichkeit | |
bekämpfen, werden endlich als Partner mit einbezogen. Schüler*innen kommen | |
in dem Konzept als aktive Akteure vor, die sich etwa im Klassenrat aktiv | |
für ein besseres Schulklima einsetzen können. Und eine Maßnahme hat auch | |
die Nöte armer Familien im Blick: Wenn dank ausgebauter Förderinstrumente | |
künftig alle Schulkinder mit zur KZ-Gedenkstätte fahren können, schließt | |
das kein Kind von der politischen Teilhabe aus. Muss sich nur noch eine | |
Lehrkraft finden, die die Fahrt anbietet. | |
22 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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