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# taz.de -- Kreuzfahrten in der Kritik: Schadstoffe und Ausbeutung
> Immer mehr Kreuzfahrtschiffe laufen Kiel an. Aber die weißen Riesen
> bringen schlechte Luft und eine volle Innenstadt. In der Stadt formiert
> sich Protest.
Bild: Zweischneidige Angelegenheit: Das Eine sind die Sonnendecks – das Ander…
NEUMÜNSTER taz | Es schien so ein guter Plan zu sein: Vom Bahnhof direkt
aufs Schiff, vom Schiff direkt in die Fußgängerzone – Kiels Hafen liegt
mitten in der Stadt. Möwengeschrei und das Tuten der Schiffssirenen dringen
wie ein Gruß von der See in die Cafés, Büros und Läden. „Aber inzwischen
landen hier viel zu viele Kreuzfahrer“, sagt einer der Kieler, die an
diesem Abend in die „Friedenswerkstatt“, ein alternatives
Kommunikationszentrum, gekommen sind. Das Bündnis „Kreuzfahrt nirgendwo“
hat zu dem Treffen eingeladen.
Die Gruppe will auf die Schattenseiten des angeblichen Traumurlaubs
hinweisen, vor allem auf die Umweltbelastung, die zusammen mit der
Kreuzfahrtindustrie immer größer wird, gerade in Kiel: Der „Port of Kiel“
brüstet sich damit, der drittgrößte „Reisewechselhafen in Nordeuropa“ zu
sein.
Und der Markt wächst weiter. 166 „Anläufe“, also Landungen der weißen
Riesen, sind für 2018 geplant – ein Rekord. Der Höhepunkt der
Kreuzfahrtsaison wird die Kieler Woche vom 16. bis 24. Juni: 14 Luxusliner
werden zum größten Seglerfest der Welt erwartet, allesamt mit Dieselmotoren
statt Segeln.
Dazu gehören vor allem Schiffe von Aida, der „Mein Schiff“-Flotte und MSC,
etwa die MSC Preziosa, die mit einer Länge von 333 Metern zu den größten
Brechern im Kieler Hafen gehört. Die Schiffe bedeuten Hunderttausende
Reisende, die oft kaum Zeit in der Stadt verbringen, sondern entweder kurz
in die Innenstadt strömen oder von hier wieder nach Hause fahren. Während
der Liegezeiten am Kai laufen die Motoren der Schiffe weiter und belasten
damit die Luft der Fördestadt.
Von den Folgen berichtet ein Mann, der unweit des Wassers wohnt: „Ich bin
lungenkrank und mein Arzt rät mir, an die Nordsee zu fahren, wenn ein
großes Schiff angekündigt ist.“ Wenn es so weitergehe, müsse er seine
Wohnung aufgeben, fürchtet er.
Angst um die Umwelt, Ärger über Krach und Dreck und grundsätzliche Kritik
am Kreuzfahrttourismus sind die Gründe für das knappe Dutzend Menschen, die
zum Treffen des Bündnisses „Kreuzfahrt nirgendwo“ erschienen sind.
Sprecherin Paula Lange ist mit dem Erfolg zufrieden: „Das war ein guter
Anfang. Es zeigt, dass es eine Reihe von Leuten gibt, die mit Lust und oft
auch persönlichem Bezug bereit sind, sich für dieses Thema zu engagieren.“
Lange, die selbst über ihr Engagement gegen Atomkraft zum Klimaschutz und
von dort zur Kritik am Kreuzfahrttourismus kam, sieht das Thema „überall
brodeln“. Tatsächlich wurde eine erste Aktion des Bündnisses gut
angenommen: Eine Gruppe von Aktiven verteilte Flugblätter und versuchte,
mit PassagierInnen eines Aida-Schiffes ins Gespräch zu kommen. Kleiner
logistischer Fehler: „Die meisten waren bereits an Bord, das hatten wir
falsch eingeschätzt.“ Dennoch sei es mit einigen Gästen zu guten Gesprächen
gekommen.
Auf ihren Flugblättern weist „Kreuzfahrt nirgendwo“ auf die zahlreichen
Probleme hin, die im Gefolge der Riesenschiffe schwimmen: Umweltbelastung
und gesundheitliche Probleme durch das Verbrennen von Schweröl, oft
miserable Löhne für das Personal und große Belastung und wenig Gewinn für
die Häfen, in denen die Schiffe festmachen.
## Die Branche weiß um ihr schlechtes Image
Dass die Branche ein schlechtes Image hat, ist ihr selbst bekannt. Ende
April wurde eine „Absichtserklärung zur gemeinsamen Förderung eines
umweltfreundlichen Kreuzfahrttourismus im Seehafen Kiel“ unterzeichnet. Für
Land und Stadt unterschrieben Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und
Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) sowie Dirk Claus, Geschäftsführer des
Seehafens Kiel. Für die Aida-Gruppe unterzeichnete deren Geschäftsführer
Michael Thamm.
Aida Cruises will das Land, die Landeshauptstadt und den Hafen „mit
verschiedensten Initiativen unterstützen“, heißt es in einer Mitteilung.
Unter anderem geht es um eine Landstromanlage, die der Hafen bauen will.
Zudem sollen Strom und Wärme, die auf den Schiffe verbraucht werden,
während der Liegezeiten am Ostseekai durch die Verbrennung von
Flüssigerdgas statt von Schweröl erzeugt werden.
Auch von „modernen Abgasreinigungssystemen“ ist die Rede. Für den
Landstromanschluss ist ein Testbetrieb geplant, der erstmals 2019 starten
könnte. Das Problem: Selbst wenn die Anlagen im Hafen stehen, sind nur
einzelne Schiffe in der Lage, auf Landstrom oder Erdgas umzuschalten.
## Eher Greenwashing als ein ernsthafter Umbruch
Für die Kreuzfahrt-KritikerInnen sind die Maßnahmen daher eher
werbewirksames „Greenwashing“ statt ein echter Umbruch: „Auch wenn jetzt
erste Schiffe eingesetzt werden, die mit Hybridtechnik fahren und auf
Energiesparen setzen, wird es Jahre dauern, bis die gesamten Flotten
ausgetauscht sind“, sagt einer in der Runde.
Aber die Pro-Kreuzfahrt-Lobby ist groß: Beim Frühjahrsempfang der CDU, der
im Kieler Landeshaus mit Blick auf die Förde stattfand, durften sich bei
einer Podiumsdiskussion VertreterInnen des Hafens, der Touren-Anbieter und
der Schiffslogistik-Branche gegenseitig zu ihren Erfolgen gratulieren.
Kritische Stimmen fehlten auf dem Podium. Und Kiels Bürgermeister Kämpfer
freute sich über den geplanten Landstrombetrieb als „Signal für die
Zukunft“, das „hervorragend zum gerade erarbeiteten Blue-Port-Konzept des
Seehafens“ passe. Kämpfer dankte der Costa Gruppe und Aida Cruises zudem
für ihre Unterstützung der Kieler Woche: Unter anderem wird Aida das
Abschlussfeuerwerk präsentieren.
Dass Widerstand den Kreuzfahrttourismus einschränken kann, bewies die
Bevölkerung von Venedig, die per Bürgerentscheid im November 2017 verbot,
dass die Riesenschiffe so dicht wie zuvor an die Stadt heranfahren. „Das
könnte ich mir für Kiel auch vorstellen“, sagt Lange. Zunächst aber will
die Gruppe weiterwachsen.
15 May 2018
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Kreuzfahrt
Kiel
Abgase
Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022
Blockade
Kreuzfahrt
Eisbären
Hamburger Hafen
Reiseland Mexiko
Tourismus
Umwelt
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