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# taz.de -- Rettungsaktion für Korallen: Der Riffretter
> Die Korallenriffe vor der mexikanischen Insel Cozumel könnten bald der
> Vergangenheit angehören. Schuld ist auch der Kreuzfahrttourismus.
Bild: German Méndez mit einer seiner Tauchergruppen an einem Korallenriff
Schwerelos tanzen die Sandkörner im klaren Wasser der Karibik. Die krummen
Arme der Korallen wiegen sich wie in Zeitlupe mit den Wellen. Mit seinen
Händen fächelt German Méndez Sand von den bunten Blättern vor ihm. Er
fischt nach der Zahnbürste, die um sein Handgelenk baumelt. Vorsichtig
setzt er den Bürstenkopf an eine der Korallen und streicht sanft über ihren
knorpeligen Körper. Er will ihr nicht weh tun.
German Méndez ist Tauchlehrer auf Cozumel, einer kleinen Insel in der
mexikanischen Karibik. Rund 100.000 Menschen leben in der einzigen Stadt
der Insel, San Miguel de Cozumel. An der Küste drängt sich Hotel an Hotel.
Jedes Jahr kommen rund 1,8 Millionen Urlauber hierher. Cozumel lebt von
Tauchfans und Kreuzfahrttouristen.
Méndez ist 60 Jahre alt und kommt aus Mexiko-Stadt. Mit einem
abgeschlossenen Veterinärstudium in der Tasche und einem Rucksack auf dem
Rücken steigt er in den 80er Jahren zum ersten Mal auf die Fähre in
Richtung Cozumel. Er macht seinen Tauchschein, verliebt sich hoffnungslos
in die Unterwasser-Welt. Ein Ort, an dem die Zeit stillsteht, die
Wirklichkeit entrückt mit jedem Meter den er sich von der Wasseroberfläche
entfernt. Nur der Tod, der ist auch am Meeresgrund ganz real.
Weltweit sterben Korallen. Die verheerende Korallenbleiche am Great Barrier
Reef in Australien sorgte im vergangenen Jahr für Aufsehen, ist aber nur
eines von vielen Beispielen dafür, wie bedroht der Lebensraum Unterwasser
ist. Die Nesseltiere sind sensibel. Sie leiden unter dem Klimawandel,
Stürmen, Sedimentablagerungen, Verschmutzung und Übersäuerung der Gewässer.
Innerhalb des letzten Jahrhunderts sind 50 Prozent des weltweiten
Korallenbestands abgestorben. Mit ihnen verschwinden auch die Lebensräume
für Fische und andere Meeresbewohner.
Die Regierung des mexikanischen Bundesstaats Quintana Roo beschloss bereits
1994 Schiffsanleger innerhalb des Naturschutzgebiets von Cozumel zu bauen.
So sollte der Tourismus angekurbelt werden.
## Du bist doch Tierarzt
German Méndez demonstrierte damals wochenlang. Er prophezeite
schwerwiegende Auswirkungen für die Korallenriffe um die geplanten Anleger.
„Die Verantwortlichen sagten da nur: ‚Du bist Tierarzt, was verstehst du
schon von Korallen?‘“, erzählt Méndez.
Also packt er seine Sachen, zieht nach Florida in die USA und studiert
Meeresbiologie. Während seines Studiums untersucht er die Unterwasserwelt
in Jamaica, Puerto Rico und Florida. „Es war überall dasselbe Bild –
umsatzorientierte Entwicklung auf Kosten der Umwelt, auf Kosten der
Koralle.“
Cozumel ist heute zum weltweit viertgrößten Hafen für Kreuzfahrtschiffe
gewachsen. Die Wasserriesen kommen aus den USA, der Schweiz oder
Deutschland, an manchen Tagen bis zu zehn Schiffe. Auch das größte
Kreuzfahrtschiff der Welt legt an der kleinen Insel an: die „Harmony of the
Seas“. Sie bringt 120.000 Tonnen auf die Waage, ist größer als der
Eiffelturm und bietet Platz für über 6.000 Personen an Bord.
## Aufgewirbelter Sand
An und für sich sind die Kreuzfahrtschiffe für die Korallenriffe in Cozumel
kein Problem. Schwierig sei aber das Anlegen, sagt Méndez. Viele der
Schiffe würden mit dem Heck voran an den Landungsstegen parken. Dabei
wirbeln die großen Propeller viel Sand auf, der sich auf die Korallen legt.
„Die Korallen ersticken unter dem Sand und sterben ab.“
Es ist noch früh am Morgen. Die Sonne kämpft mit den Wolken. An einem
kleinen Bootsanleger schleppen Tauchlehrer Sauerstofftanks in die
Motorboote. Für den nächsten Tag ist Sturm vorausgesagt, dann werden die
Boote nicht aufs Meer fahren dürfen. Heute sind sie ausgebucht.
Ein Bus hält am Straßenrand und spuckt eine Gruppe US-Touristen aus. Sie
alle haben ihr eigenes Tauchequipment dabei. Sie wollen heute die
Korallenbänke im Naturschutzgebiet durchschwimmen. Mit etwas Glück kann man
in Cozumel Rochen, Meeresschildkröten und sogar Haie sehen. Die Touristen
steigen an Bord der Tour-Boote. Der Motor röhrt kurz auf. Sie hinterlassen
eine schaumige Spur Gischt. Immer wieder ziehen große und kleine Boote voll
beladen mit Touristen vorbei. Viele der Kreuzfahrer bleiben nur wenige
Stunden auf Cozumel und wollen die Zeit nutzen.
German Méndez steht auf der anderen Seite des kleinen Anlegers und schraubt
den Sauerstofftank an seine Tauchweste. Der Atemregler zischt, als er ihn
testet. „Die Tauchlehrer hier auf der Insel müssen einen Kurs über den
Schutz der Korallen belegen. Und trotzdem werfen sie für ein paar Dollar
Trinkgeld ihre Prinzipien über Bord, reißen Korallen aus, oder weisen die
Taucher einfach nicht darauf hin, dass sie vorsichtig sein müssen, um die
Korallen mit den Flossen nicht zu verletzen“, schimpft Méndez. Tief graben
sich die Falten in sein sonnengegerbtes Gesicht. „Bleib ruhig und vermehre
die Korallen“, steht auf seinem blauen T-Shirt.
## Ein Todesurteil für die Korallen
Méndez setzt sich an den Steg, seine Beine baumeln über dem Wasser. Nur ein
paar hundert Meter weiter liegt die „Liberty of the Seas“. Aus ihrem Bauch
strömen scheinbar unendlich die Urlaubermassen. Die ganze Insel lebt vom
Kreuzfahrttourismus und seiner Hauptattraktion: dem Tauchen. Ein
Teufelskreis und Todesurteil für die Korallen in Küstennähe.
Als German Méndez aus den USA zurück auf die Insel kommt, untersucht er die
Korallenriffe rund um die Anleger. Das Ergebnis seiner Erhebung: über 90
Prozent der Korallen sind gestorben. Auf einem seiner Forschungstauchgänge
findet Méndez damals eine seltene Art der Steinkoralle. Verloren treibt sie
am Meeresgrund. Er packt sie vorsichtig, säubert sie und klebt das
Nesseltier mit einer speziellen Kleberknete wieder ans Riff. Kurz darauf
schwimmt ein Tauchlehrer mit seiner Truppe vorbei. Méndez beobachtet, wie
er die seltene Koralle wieder ausreißt, um sie schnell der Gruppe zu
zeigen, bevor er sie wieder wegwirft. „Ich war so wütend in dem Moment“,
sagt Méndez, „damals habe ich mir geschworen, für jede Koralle, die du
ausreißt, pflanze ich zehn neue!“
Vor vier Jahren gründet er die Initiative „Cozumel Coral Reef Restoration
Program“. Er will das Riff nachhaltig wiederaufbauen – gemeinsam mit
Touristen aus aller Welt. Sein Ziel ist es, eine neue Tauchkultur zu
etablieren, bei Einheimischen und Urlaubern.
Méndez zertifiziert die Besucher als Taucher, aber anstatt mit ihnen raus
aufs Meer zu fahren, taucht er mit ihnen an der Küste und zeigt ihnen, wie
sie abgebrochene Korallenstücke wieder ankleben, und erstickende
Nesseltiere säubern, bis sie wieder atmen können.
German Méndez wagt einen großen Schritt über die Kante des Bootes und er
ist weg. „Elefantenschritt“ nennt er das. Luftblasen blubbern an der
Wasseroberfläche und bezeugen, dass er gerade noch da gewesen ist. Méndez
gleitet zügig in Richtung Meeresgrund. Seine neongelben Flossen leuchten im
Ozean. Dicht hinter ihm schwimmt Tonya Bauer. Die 44-jährige
US-Amerikanerin aus Nebraska kommt seit drei Jahren zwei Mal im Jahr nach
Cozumel.
## Nur 30 Meter vor der Küste
German Méndez bringt sie zu einem Stein so groß wie eine Tischtennisplatte,
auf dem mehrere Dutzend Korallen wachsen. Die Korallenfarm liegt nur 30
Meter vor der Küste und ist sein ganzer Stolz. Hier wachsen
Hirschgeweihkorallen, dünnblättrige Salatblattkorallen und die
kleinpolypige Steinkoralle. Ein Kugelfisch lugt skeptisch zwischen den
Korallenköpfen hervor.
Eine halbe Stunde lang treiben Méndez und Tonya Bauer über der Farm,
begutachten jede einzelne Pflanze. Tonya Bauer hat eine Zahnbürste, mit der
sie die Korallen von Ablagerungen reinigt. Eine handgroße Steinkoralle
dümpelt am Meeresboden. Méndez hebt sie auf und fährt mit seiner
Plastikbürste über den Korallenkelch. Er knipst einen Plastikbeutel von
seinem Hüftgurt und holt daraus eine graue Knetmasse, die er um den
Korallenkelch spachtelt. Dann klebt er die Koralle an einen Stein am Riff.
Tonya Bauer schaut auf ihr Finimeter, sie hat nur noch 300 Liter Luft.
Langsam paddeln die beiden zurück an Land.
Eine Woche lang arbeitet Tonya Bauer jeden Tag an der Korallenfarm,
manchmal mehrmals am Tag. „Das fühlt sich nicht wie Arbeit an“, sagt die
blonde Frau und zieht sich die Taucherbrille vom Kopf, „im Gegenteil, es
fühlt sich sogar sehr gut an, nicht nur um des Tauchens Willen zu tauchen.
Ich will die Möglichkeit nutzen, dem Meer etwas zurückzugeben.“ Ihren
nächsten Urlaub auf Cozumel hat sie schon gebucht. Im Frühjahr will sie
wiederkommen.
## Vor der eigenen Haustür anfangen
German Méndez steht unter einer Hütte mit einem Dach aus getrockneten
Palmenblättern. Die Sonne hat den Kampf gegen die Wolken verloren. German
Méndez sieht zu wie die Regentropfen auf die Wasseroberfläche trommeln und
die See aufwühlen. Er lächelt ein Lächeln, dass sich wie ein Netz über sein
Gesicht zieht.
Über 50 Urlauber haben bereits an seinem Programm teilgenommen. „Die Welt
kann ich nicht retten“, sagt er, „aber ich kann vor meiner eigenen Haustür
anfangen und ein Beispiel für andere sein. Wir dürfen das Riff nicht zu
Tode lieben, sondern müssen lernen, wie wir ihm helfen können.“ Und wer es
nicht der Umwelt zu liebe mache, der solle halt wirtschaftlich denken.
Eine gemeinsame Studie des mexikanischen und deutschen Umweltministeriums
belegt: Sollte das Korallensterben fortschreiten, würden der Insel zwölf
Prozent ihrer Urlauber verloren gehen – das bedeutet Einbußen von mehr als
70 Millionen Euro pro Jahr. „Keine Korallen, keine Urlauber – so einfach
ist das“, sagt Méndez.
Mit der seltenen Steinkoralle hat alles angefangen. Mittlerweile hat er
über 600 Korallen gepflanzt. Und will mehr. Gerade hat er einen Kurs zur
künstlichen sexuellen Fortpflanzung von Korallen auf dem Festland belegt.
Schon nächstes Jahr plant er die Technik in einem Labor in Cozumel
anzuwenden. In nicht einmal einem Monat wird er dann über 20.000 Korallen
züchten.
14 Apr 2018
## AUTOREN
lisa maria hagen
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